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„Die Walküre“ in Palermo. Foto Franco Lannino – Studio Camera Palermo
„Die Walküre“ in Palermo. Foto Franco Lannino – Studio Camera Palermo
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In den Trümmern der eigenen Welt: Graham Vick inszeniert in Palermo „Die Walküre“

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Palermo ist Wagner-Stadt. Hier hat der Meister auf ärztliches Anraten den kompletten Winter 1881/82 verbracht, den dritten Aufzug seines „Parsifal“ komponiert und seinen Schwanengesang dann auch vollendet. Hier hielt der sizilianische Conte Biagio Gravina um die Hand von Cosimas Tochter Blandine an. Hier stehen noch heute der Blüthner-Flügel und das Harmonium – Instrumente, die der Bayreuther für seine Arbeit im Grand Hotel Et Des Palmes nutzte. Und im Teatro Massimo haben Aufführungen der Musikdramen Richard Wagners eine für Italien außergewöhnliche Tradition. Nur einen kompletten Ring-Zyklus hat es hier noch nie gegeben. Bis zum Ende des Wagner-Jahres 2013 soll er fertig geschmiedet sein.

Die enorm mutige Produktion der „Walküre“ gibt Anlass zur Hoffnung, dass hier eine Ring-Deutung von internationaler Bedeutung entsteht, die sehr wohl eine Reise in die quirlige sizilianische Metropole rechtfertigt. Graham Vick bringt nämlich keinen koproduktionstauglich weichgespülten „Ring“ für alle Fälle auf die Riesenbühne des Massimo, er inszeniert eine Tetralogie, die konkret und heutig in Palermo selbst spielt. Walhall ist folglich keine germanische Götterburg, sondern das Theater selbst, dessen machtvolle Mauern des Bühnenhauses die imposante Kulisse abgeben. Brünnhilde und Wotan singen ihr großes Schluss-Duett auf der komplett leeren Bühne – das lenkt den Blick auf die wahren Wagner-Menschen hinter den Heroen-Rollen, die uns gleichsam ungeschützt, ja nackt gegenübertreten.

Vicks Ansatz ist am Ende sogar wörtlich in seiner puren Sinnlichkeit zu verstehen – als Wotan seine Tochter in den Schlaf singt, ist sie tatsächlich fast unbekleidet. Dank der model-ähnlichen Masse der amerikanischen Sopranistin Lise Lindstrom ist das keineswegs peinlich, drückt dafür die Erniedrigung der doppelt göttlichen Frau in aller körperlichen Direktheit aus.Überhaupt zeigt der Regisseur Richard Wagners erotische Gesellschaft zum Teil überdeutlich: Hundings Macho-Brutalität (Alexei Tanovitski) und sein sexueller Appetit auf Sieglinde kontrastiert trefflich die innige Erotik des Geschwisterpaares der Wälsungen. Und Wotan hegt eindeutig nicht nur väterliche Gefühle für seine Lieblingstochter Brünnhilde.

Graham Vick hört enorm genau auf den Text und seine Untertöne, er inszeniert hoch musikalisch und mit präziser psychologischer Tiefenschärfe, er differenziert die Spielarten von Sexus, Eros und ganzheitlicher Liebe in enorm poetischen Bildern. Wenn die Winterstürme dem Wonnemond weichen und der Lenz in den Saal lacht, stürmt eine Truppe von Liebespaaren ins Parkett: Man kost und küsst sich gar innig. Da sind dann wie selbstverständlich auch zwei schwule Jungs dabei, die in enger Umarmung als letzte aus der Logentür schlüpfen. Wagner heute.

Der Engländer kreiert Bilder, die nicht nur schön sind (wie gerade die Sizilianer es gerade in der Oper so sehr schätzen), sie bieten vielmehr einige politische Sprengkraft. Ja, dieser Ring wagt endlich wieder eine politische, eine gesellschaftskritische Wagner-Perspektive – im Nachgang von George Bernard Shaws antikapitalistischer Sicht („The Perfect Wagnerite“) oder den legendären Regiearbeiten von Chéreau oder Kupfer haben viele Interpreten diesen Ansatz behauptet, zu wenige haben ihn stimmig in die Tat umgesetzt. Vick benötigt keinen Kurzschluss-Rekurs auf Bankenkrise oder Polit-Chaos, er stellt das Theater-Walhall in den Kontext seiner Stadt. In ihr liegen Eleganz und Elend so nah beieinander wie in kaum einer anderen europäischen Metropole: Schicke Bars und Slums, Nobelhotel und Billig-Prostitution sind sich so nah, wie die Insel gefährlich, aber leidenschaftlich zwischen Ambition und Absturz balanciert.

„In den Trümmern der eigenen Welt“ bewegt sich Wotan nach eigenem Bekunden. Herabstürzende Brocken des (Theater-) Pracht-Gemäuers zieren den vermüllten Schlafplatz des traurigen Gottes im Zweiten Aufzug. Wotan haust – gemeinsam mit Brünnhilde! – in einem ollen Camper. Hier also übt Franz Hawlatas Wotan nun sein Götter-Amt im postheroischen Zeitalter aus. Ex-Turnschuhminister Joschka Fischer nicht unähnlich fehlt diesem Gott jede (prä-)potente Herrscher-Attitüde. Der entspannte, weiche Bass-Parlando-Ton Hawlatas, der ohne jeden heldenbaritonalen Protz auskommt, passt perfekt zu dieser gleichsam privaten Rollenanlage. Wenn denn „Die Walküre“ die eigentliche „Götterdämmerung“ ist, dann erleben wir sie hier. Diesem Gott hat das eigene Ende schon längst gedämmert, er hat es akzeptiert und spült seinen Rest-Frust mit Whiskey herunter. Wen mag es wundern, dass er mit seiner Ehefrau Fricka – Anna Maria Chiuri im erotikfreien Faltenrock jenseits aller damenhaften Prada-Attitüde – längst nicht mehr schläft, sondern die kess punkige Brünnhilde vorzieht.

In diesem Wotan steckt viel Wagner (der freilich selbst bei allerschlimmstem Geldmangel niemals in einem Wohnwagen genächtigt hätte). Der Eros aber als alle Konventionen sprengendes, allzu menschliches Movens, er bewegte Richard Wagner bis in seine letzten Lebensstunden in Venedig – das „Ewig Weibliche“, „Das Weibliche im Menschlichen“, über das der Meister noch kurz vor seinem tödlichen Herzanfall sinnierte, die Emanzipation durch Liebe – das waren und bleiben eben Wagners Hauptthemen. Davon ist, ausgerechnet im katholischen Sizilien, nun sehr viel Erhellendes und Gewagtes zu sehen.

So mutig und konzis die Inszenierung in ihrer gegenwartsnahen Gesellschaftsparabel, so risikofreudig und unkonventionell ist das Teatro Massimo in seiner Besetzungspolitik. Nicht die üblichen, oft abgesungenen Verdächtigen stehen hier auf der Bühne (John Treleaven als immer noch sattelfester, aber mittlerweile mehr charakter-, denn heldentenoraler Siegmund bildet die einzige Ausnahme), sondern frische Sängerdarsteller, die noch echten Wagner-Hunger besitzen. Lise Lindstrom singt die Brünnhilde mit mädchenhafter, mitunter soubrettenspitzer Höhe und bricht auch darstellerisch, ganz freche Göre, deutlich mit dem Bild hochdramatischer Mannsweiber. Stimmlich ist ihr Ausrine Stundyte als Sieglinde noch überlegen; die Lübecker Kundry wirft sich gleich einer an beiden Enden brennenden, wild flackernden Kerze in ihre Partie, die sie als keineswegs verhärmte, sondern selbstbewusst moderne, aktive junge Frau anlegt.

Pietari Inkinen am Pult des Orchestra del Teatro Massimo entwickelt dazu einen warm abgetönten, schwelgerischen Wagner-Klang. Die italienische Phrasierungskunst der Musiker bringt Wagner zum Blühen und Glühen, dass es eine Wonne ist. Inkinen lässt die Partitur agogisch ausmusizieren, nimmt sich Zeit für die vielen schönen Stellen der italienischsten aller „Ring“-Opern. So auch für das satt bildkräftige Feuerzauber-Finale, für das Graham Vick nochmals eine fulminante Lösung findet: Seine Komparserie-Mimen bilden nun als rot gewandete Gehilfen Loges einen menschlichen Feuerring um die schlummernde Brünnhilde und stecken sich Zigaretten an – mit einem Augenzwinkern und dem Minimalismus wie dem Inklusionsgedanken des teatro povero also endet diese „Walküre“, die gar keiner technischen Finessen bedarf, um ihre ganze Wirkungsmacht zu entfalten.

„Siegfried“ folgt ab 19. Oktober, „Die Götterdämmerung“ ab 23. November 2013.

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