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Biermanns Lebensbilanz: «Warte nicht auf bessre Zeiten!». Foto: nmzMedia
Wolf Biermann. Foto: nmzMedia
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Der bissige Barde ist zahnlos geworden: Wolf Biermann kratzt am eigenen Denkmal

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Er ist wieder auf Tour. Gesamtdeutsch sowie mit Abstechern nach Zürich und Wien. Wer Wolf Biermann (noch) einmal live erleben wollte, hatte in diesem Herbst die Gelegenheit. Neulich trat der Hamburger Barde, der Mitte November seinen 75. Geburtstag begehen konnte, im Dresdner Schauspielhaus auf. Die Reihen waren nur spärlich gefüllt. Nach diesem Abend schien es nur allzu verständlich, wenn an den anderen Stationen ähnliche Reserviertheit geherrscht haben sollte.

Biermann, der einst so bissige Barde, war mal ein wütender Wolf. Inzwischen wirkt er nahezu zahnlos, ist grau geworden und unternimmt die aktuelle Tournee nur mehr als einsamer Verlagsvertreter für neuestes Buch. „Fliegen mit fremden Federn“ heißt das, ist im Verlag Hoffmann und Campe erschienen und hat sehr wenig mit dem vorzeiten dort ebenfalls beheimateten Idol Heinrich Heine gemein. Die darin enthaltenen Nachdichtungen und Adaptionen sind lediglich „Biermanns Sammelsurium“ – sauer aufstoßen musste aber vor allem die Live-Präsentation des dicken Bandes.

Wer beim Namen Wolf Biermann noch immer zuerst an sein geschichtsträchtiges Konzert vom 13. November 1976 in Köln denkt, das Ost-Berlins Bonzen zum Anlass nahmen, den Liedermacher auszubürgern und ihn somit hoffnungslos überzubewerten (damit obendrein eine Welle des Protests loszutreten, die bis in den Herbst 1989 hinein brandete), dürfte ihn heute kaum mehr wiedererkennen. Auch jedes Erinnern an das einzige DDR-Konzert, das im September 1976 nur durch eine geradezu kafkaeske Panne im Spitzelsystem in einer brandenburgischen Kirche erklang, würde inzwischen fehlschlagen. Reichlich beschämt müssten Gedanken an unter der Hand weitergereichte Abschriften von Liedtexten, an Tonband-Kopien, an heimlich gehörte Langspielplatten verdrängt werden nach diesem Auftritt. Oder die Erinnerung an das wahrlich legendäre Konzert vom 1. Dezember 1989 in einer Leipziger Messehalle. Was sprang da für ein Feuer vom berechtigterweise wütenden Barden auf die riesige Besucherschar über!

Inzwischen kommt nur mehr ein spärliches Häuflein zum Biermann-Abend. Die Tour ist wie das Buch überschrieben und lässt – in Auszügen – Biermanns Aneignungen der „fremden Federn“ zu Wort kommen. Man mag dem Mann auf der Bühne die 75 Jahre kaum abnehmen, auch wenn er graues Haar auf dem Kopf und an der Oberlippe bekommen hat. Die Augen funkeln wie eh und je. Und auch seine Vortragskünste sind noch zu erkennen. Das Gitarrenspiel funktioniert bestens. Der Gesang ist, wie seit Jahrzehnten, kein Singen, kommt aber dennoch gut an. Geradezu propagandistisch, im Biermannschen Sinne jedenfalls.

Was stört und peinlich berührt, das ist in diesen zwei Sternstunden der Eitelkeit das selbstverliebte Gebaren, das am eigenen Denkmal ganz kräftig kratzt. Wolf Biermann gibt kein Konzert, klampft eingangs reichlich verlegen gegen die leeren Parkettplätze an und greift dann nur noch ganz selten in die Saiten. Statt dessen trägt er „fremde Federn“ vor, Texte von widerständigen Autoren à la Wyssozky und Okudschawa, Aragon, Burns, Montand und Villon. Ein Streifzug durch die Jahrhunderte also, den er während des Dutzends an Jahren unternahm, das ihm die DDR-Obrigkeit als Auftrittsverbot auferlegt hatte. Ein Sammelsurium, gewiss, aber ein durch und durch reizvolles. Wieso aber musste der Büchner- und Heine-Preisträger des Großen Bundesverdienstkreuzes diese Texte so weitschweifig an-kommentieren und nach-werten? Witz und Bärbeißigkeit blieben da längst auf der Strecke. Was Biermann an fremdsprachigen Lyrik- und Liedtexten „ans deutsche Ufer zog“, wie er es bezeichnet, hat Rang und Namen. Aber die blümeranten Einleitungskurven zu manch einem Text wirkten alles andere als filigran, waren ausuferndes Beiwerk, teilweise redundant, mitunter auch peinlich.

Ergreifend wurde es da, wo die kommentierenden Zusatzinformationen nichts allzu Bekanntes wiedergaben – wieder und wieder das eigene Auftrittsverbot und die Ausweisung als nachhaltige Stigmata des vormaligen Sängers –, sondern über wirklich berührende Schicksale wie die Gulag-Deportationen etwa von Juli Daniel und Abram Terz (Pseudonym von Andrei Sinjawski) informierten. Wäre der einst so pointierte Wolf Biermann doch nur nicht derart eitel und geschwätzig geworden! Selbst Einblicke in seine Übersetzerwerkstatt, die bei ihm immer eng mit sehr freier Dichtkunst verbunden ist, geraten zur Lehrstunde der Selbstgefälligkeit. So stürzt sich ein Denkmal aus eigener Kraft. Die Weisheit lächelt, hat er gesagt, und die Dummheit lacht. Da war wohl kein Spiegel in Sichtweite.

Man wird also auch in Zukunft eher die Berliner Chausseestraße, Biermanns einstigen Wohnort, die Konzertstätten Kölner Sport- und Leipziger Messehalle erinnern, wenn man an Biermann denkt. Die Lesetour in diesem Herbst, die von Biermanns Geburtsstadt Hamburg aus via Berlin, Dresden, München und Wien noch bis nach Zürich führt (12. Dezember, Theater am Hechtplatz), darf man getrost und mit Milde vergessen. Für Ablenkung sorgt eventuell das vom WDR seinerzeit live gesendete Köln-Konzert des 13. November 1976, das nun endlich aus den Archiven befreit und als DVD auf dem Markt ist.

Wolf Biermann: „Fliegen mit fremden Federn“ Nachdichtungen und Adaptionen
Verlag Hoffmann und Campe

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