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Eva Urbanová als Kundry am Nationaltheater Prag. Foto Hana Smejkalová
Eva Urbanová als Kundry am Nationaltheater Prag. Foto Hana Smejkalová
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Der heilige Sandkasten: Nach fast 100 Jahren kehrt Parsifal zurück ans Prager Nationaltheater

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Vor 97 Jahren durchwehten zuletzt Wagners Erlösungsklänge das Prager Nationaltheater. Fast 100 Jahre blieb im Haus an der Moldau der Gral verhüllt. Jetzt ist der heilige Ritter zurück gekommen. Wenn am Ende Parsifal, der einstige reine Tor, als der Gesalbte, der mitleidvoll Wissende, in der Neuinszenierung von Jirí Herman wieder ankommt in der Gralsburg, dann sind fünf Stunden vergangen wie im Fluge. Parsifal enthüllt den Gral. Das ist keine bombastische Szene mit glühendem Kelch, strahlender Monstranz oder gar abstruser Verfremdung. Er schöpft am Ende des Erlösungsmärchens klares Wasser aus einer Quelle in felsiger Höhenlandschaft.

Der Bühnenraum von Pavel Svoboda erweitert sich um die Dimensionen des berühmten Abendmahlsbildes von Leonardo da Vinci. Aber kein Tisch mit den Auserwählten ist darin. Die schiere Unendlichkeit des Raumes korrespondiert mit der Musik. Der Ausblick auf einen fernen Horizont lässt die Entsprechung jener Gebirgslandschaft erahnen, aus der Parsifal eben noch das frische Wasser schöpfte. Hier war er aufgebrochen zu Beginn, hier wird er nicht bleiben, der Weg ist das Ziel und nach dem Ziel ist vor dem Ziel.

Das Prager Premierenpublikum bereitet nach langer Wagnerabstinenz gerade diesem großen Lied von Tod einen höchst lebendigen Empfang. Die Begeisterung gilt zunächst in starkem Maße der musikalischen Seite der Aufführung. Das Orchester des Prager Nationaltheaters hat unter der Leitung von John Fiore einen großen Abend. Besonders die Streicher überzeugen mit geschmeidigem Klang, aber auch auf den großen Glanz strahlender Bläserpassagen muss nicht verzichtet werden. Der Dirigent findet jene Maße, die der Meditation den Raum lassen, der sublimen Dramatik des Stückes angemessen sind, vor allem dem Gesang verpflichtet bleiben. Das Prager Parsifal-Ensemble kann sich hören lassen. Gralsritter, Knappen, Blumenmädchen, die Mitglieder des Ensembles bewähren sich in diesen „kleinen“ Partien wahrhaft voller Größe. Noch nicht gänzlich ausgeglichen erscheint die Gesamtpräsenz der grundsätzlich überzeugenden Leistung in den Chorszenen, für die sich der Chor des Nationaltheaters und der Philharmonie zusammenfinden.

Das Ensemble der Solisten, mit lediglich zwei Gästen, Alfons Eberz in der Titelpartie und Matthias Hölle als Gurnemanz, wird einhellig und zu recht gefeiert. Da ist die schöne Bassstimme des Ondrej Mráz als sterbender Titurel, und die zerrissene Dramatik im Gesang des Baritons Tomasz Konieczny als Amfortas. Der so kernige wie markante und aufbrausende Gesang des Svatopluk Sem als Klingsor lässt das Publikum am Ende jubeln und Eva Urbanová als Kundry ist einfach ein Ereignis. Da ist zu bewundern, mit welch technischer Eleganz die Sängerin jene Sprünge der abgrundtiefen und hoch aufjauchzenden Partie singt. In irgendwelche deklamatorischen Tricks auszuweichen hat sie nicht nötig. In der Verletzlichkeit kann die Urbanová ganz zart sein. Schroff ist sie im Anspruch auf Selbstbestimmung. Ihre große Szene im zweiten Aufzug ist einer der Höhepunkte des außergewöhnlichen Abends.

Nicht gänzlich einhellig die Reaktionen auf die Inszenierung in und um den großen Sandkasten auf der Bühne. Dabei trägt dieses Bild als angemessenes Zeichen für den Verlauf des großen Zauberspiels. Das ist der Ort des Spiels in dem sich Traditionen und Religionen mischen im beinahe kindlich, naiven Versuch, das Rätsel aller Endlichkeit zu lösen. Allein die Akzeptanz der Sterblichkeit will nicht gelingen, was Wagners Ewigkeitsspieler wie so oft in wilde Fantasien der Unsterblichkeit treibt. Die Bildwelten dieser Aufführung führen vom ritterlichen Mittelalter in die strenge Ästhetik reduzierter Landschaften des Fernen Ostens und die erotische, verhüllte Exotik des Orients.

Manche Figuren, wie etwa Klingsor als schwarzer Ritter scheinen der Welt des modernen Comics anzugehören. Andere wie Titurel und der gealterte Gurnemanz finden Entsprechungen in früher christlicher Malerei. Auch die Naivität frommer Andachtsbildchen grüßt in volksfrommen Bonbonfarben. In Kundry finden sich alle Wagner-Frauen-Fantasien. Sie ist Zauberin, Verführerin, Madonna, Isolde, Senta und Elisabeth. Ihr allein wird in der Prager Sicht die lang herbei gesungene Erlösung zuteil. Während alle anderen, Parsifal am deutlichsten, ihr Menschsein zugunsten von Ideen und Idealen abgeben, zu Ideenträgern, singenden und schreitenden Symbolen werden, der tote Titurel gar aus dem Grab steigt und in den Kulissen verschwindet, darf Kundry Mensch sein. Sie darf sterben. Im heiligen Sandkasten sprießt frisches Grün. Das ist in jedem Frühjahr so. Auf jedem Friedhof.

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