Die Rechnung erscheint einfach: Wenn hundert Privatpersonen pro Kopf vierhundert Euro spenden, kommen vierzigtausend Euro zusammen. Diesen Betrag könnte beispielsweise das in Hamburg ansässige „Ensemble Resonanz” in Zeiten sinkender Zuschüsse und zaudernder Konzertveranstalter gut gebrauchen. Die Sache, die sich die „Resonanz”-Musiker in diesen Tagen überlegen, hat aber einen aparten Nebenaspekt: Die jeweilige Privatperson zahlt die Zuwendung nicht pauschal an das Ensemble, sondern jeweils für einen einzelnen der insgesamt achtzehn Mitglieder des Orchesters.
Unwillkürlich denkt man dabei – um bei der Musik zu bleiben – an Flotows Oper „Martha“, in der sich hübsche Mägde auf dem Markt von Richmond gegen ein kleines Handgeld reichen Pächtern verdingen. Im „Resonanz“-Fall wäre zu befürchten, dass sich die betuchten Wohltäter zunächst alle auf die hübscheste Geigerin kaprizieren, während für den unscheinbaren Flötisten womöglich niemand einen Hunderter zu berappen bereit ist. Wie der musikalische Sklavenhandel auch ausgehen mag: Er wirft ein bezeichnendes Licht auf das Musikland Deutschland, in diesem Fall insbesondere auf die Situation freier Ensembles. Da kann der Bundespräsident noch so hochgestimmt das Hohe Lied auf Frau Musica und deren wichtige Aufgabe für die Erziehung des Menschengeschlechts anstimmen, es hört keiner drauf: Musikschulen werden weiterhin hinter seinem Rücken zugesperrt oder bis zur Unkenntlichkeit verkleinert, Kultur und Bildung müssen sich überall schmerzhafte Sparkuren verordnen lassen, obwohl sich häufende internationale Expertisen bedrohliche Defizite bei der deutschen Kopfarbeit diagnostizieren – es hilft alles nichts, weil der Fisch bekanntlich vom Kopf stinkt, und die uns regierenden Fische offensichtlich keine Nasen besitzen, um auch nur den eigenen Aasgestank zu bemerken.
Das Beispiel des „Ensemble Resonanz“ in Hamburg steht für vieles andere. Da finden sich vor zehn Jahren achtzehn junge, hochqualifizierte Instrumentalisten zusammen und gründen ein Ensemble: Eine freie Gruppe in der Rechtsform einer GmbH, in der jeder einzelne Musiker zugleich Gesellschafter ist, auch der Geschäftsführer besitzt diesen Gesellschafterstatus. Die Musiker rekrutieren sich vornehmlich aus der Jungen Deutschen Philharmonie, weshalb sich das Ensemble zunächst in Frankfurt am Main niederlässt. Zwei Jahre später wird der Sitz nach Hamburg verlegt, dort haben etliche Mitglieder studiert oder ihre Heimat, auch erscheinen die Entfaltungsmöglichkeiten günstiger. In Frankfurt agiert auch das Ensemble Modern, das eine ähnliche Organisationsstruktur aufweist, aller-dings konsequent auf Neue Musik und Avantgarde ausgerichtet ist. Das „Ensemble Resonanz“ pflegt dagegen ein breites Repertoire vom Barock bis in die Gegenwart. Auch die Besetzung unterscheidet sich erheblich, im „Resonanz-Ensemble“ finden sich vornehmlich Streicher.
In Hamburg hat man sich im Verlauf der Jahre seit 1996 eine solide Basis, künstlerisch und auch finanziell erarbeitet. Die Konzerte im Kleinen Saal der Musikhalle sind durchschnittlich von rund vierhundert Musikfreunden besucht. Wenn demnächst der Geiger Frank Peter Zimmermann mit Mozart-Konzerten auftritt, werden im Großen Saal zwölfhundert Besucher erwartet. Solche Auslastungen sind aber auch dringend notwendig, damit die Musiker des Ensembles zu Geld kommen, für Saalmieten, Materialkosten et cetera und natürlich auch für den privaten Lebensunterhalt, der ohnehin karg genug erscheint. Bisher brachte das Ensemble neunzig (!) Prozent seines Gesamtetats durch die Konzerte in Hamburg und auswärts selbst auf. Die öffentlichen Zuwendungen blieben so überschaubar wie ein Gericht auf den Tellern der einstigen Nouvelle Cuisine. Die Hamburger Kulturbehörde weist dem Ensemble aus dem Etat für Freie Gruppen gerade einmal dreitausend Euro zu. Dabei entfalten die „Resonanz“-Künstler über ihre Konzerte hinaus etliche Aktivitäten, die dem Musikleben ei ner Stadt und ihrer Bürger zum Vorteil gereichen: Man organisiert Gesprächskonzerte in Schulen, lädt zu sogenannten „Hörproben“ ein, gibt Einführungen in Konzerte und andere musikalische Darbietungen etwa beim Hamburger Musikfest, kurz und gut: Es sind alles Unternehmungen, die das komplexe Musikleben einer großen Bürgerstadt zum Vorteil der Musikfreunde bereichern und die mehr wert sein dürften als dreitausend Euro.
Das weitgehende Fehlen einer grundlegenden Förderung des Ensembles (und es steht als Beispiel immer auch für viele andere vergleichbare Institutionen) verschärft die existenzielle Situation in einem Augenblick, in dem das gesamte Kunst- und Kulturleben unter den finanziellen Restriktionen leidet. Das „Ensemble Resonanz“ stößt auch an die Grenzen der Konzertveranstalter. Diese reduzieren die Zahl ihrer Konzerte, verzichten zunehmend auch auf ungewöhnliche Programme und speziell auf Werke zeitgenössischer Komponisten, kürzen auch die bislang gezahlten Honorare. So kommt eines zu anderem, und wenn dann noch der Deutsche Musikrat seinen Einsatz für die Moderne (Konzerte des Deutschen Musikrats) „herunterfährt“, die Ensembleförderung auf Projektförderung umstellt, außerdem der Rundfunk sich immer sparsamer präsentiert, dann kommt für ein freies Ensemble die existenzielle Krise schnell in Sicht.
Wer nun achselzuckend antwortet, das sei eben das Risiko einer unabhängigen Existenz, dem müsste man antworten: Wer ermuntert denn junge Menschen zum Wagnis der freien beruflichen Arbeitsform? Wer freut sich in Sonntagsreden mit dem Bundespräsidenten über junge Musiker und deren Engagement für die Kunst? Nur wenn es Ernst wird und das eigene Engagement für die Kultur eines Landes gefordert wird, dann verstehen speziell Politiker immer nur den berüchtigten „Bahnhof“. Sie übersehen dabei geflissentlich auch die negative Wirkung, die ihr Handeln in der Welt auslöst. Nicht nur die Berliner Philharmoniker bewahren den guten Ruf des deutschen Musiklebens im Ausland. Orchester wie das Ensemble Modern (das ebenfalls derzeit mit finanziellen Problemen kämpft, aber dabei einige Hoffnungszeichen erhalten hat), das ensemble recherche, die Musikfabrik Nordrhein-Westfalen, die Deutsche Kammerphilharmonie, die Junge Deutsche Philharmonie, das Bundesjugendorchester und das Bundesjazzorchester tragen ebenso wie das „Ensemble Resonanz“ dazu bei, dass das geistige Niveau in Deutschland nicht nur mehr durch das Palavern im Bundeskabinett über Dosenpfand und Lastwagenmaut bestimmt wird. Dieses immer wieder sagen zu müssen, ist zwar lästig, aber unerlässlich solange, bis sich zumindest etwas zum Besseren wendet.