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Dieter Schnebel (l.) und Manfred Schreier bei einer Probe zu „Mild und leise...“. Links im Hintergrund Dieter Schnebels Gattin, rechts der Musikjournalist Patrick Hahn. Foto: Ralf Fassloff
Dieter Schnebel (l.) und Manfred Schreier bei einer Probe zu „Mild und leise...“. Links im Hintergrund Dieter Schnebels Gattin, rechts der Musikjournalist Patrick Hahn. Foto: Ralf Fassloff
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Der Schöpfer schnauft: Zum 9. Festival „Utopie jetzt!“ in Mülheim an der Ruhr

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Neue Musik und Kirche – seit 15 Jahren Ausgangspunkt eines Festivals, das die historische Würde einer fruchtbaren, wenn auch keineswegs konfliktfreien Verbindung wahrt, indem es sich den Zeitgeist-Moden verweigert. Kein Gospel, kein Musical, keine Neo-Gregorianik. Was dann? Zum Beispiel: „Mild und leise...“, uraufgeführt als „Utopie jetzt!“-Auftragswerk an einen Komponisten, der im Nebenberuf auch evangelischer Theologe ist – Dieter Schnebel.

Nein, ein Predigerton ist das nicht. Die psychologisierende Lebenshilfe neueren Datums ist ebensowenig sein Fall wie das Betulich-Klerikale, das man so kennt. Auch wenn Dieter Schnebel hinter der Kanzel der Mülheimer Petrikirche steht, angetan im Talar der evangelischen Pastoren mit weißem Luther-Bäffchen – das Ganze atmet mehr die Diktion eines theologisch-philosophischen Vortrags als einer Ich-red-dir-jetzt-mal-ins-Gewissen-Ansprache. Sein Thema: „Utopie und Schöpfungslust“ und wie davon erzählt wird am Anfang der hebräischen Bibel. Den von Luther mit „Geist Gottes“ übersetzten „Ruach Jahweh“ bestimmt Schnebel seinerseits von der Ursprungsbedeutung Atem/Wind, um von dort sehr nachvollziehbar zum „Schnaufen“ des Schöpfers zu gelangen. Nicht nur, dass man darin die kompositorische Ur-Situation (wieder)erkennt, insofern sich der schwer atmende Kreator über die nächtlich-finstre Chaos-Ursuppe hermacht – auf einmal versteht man auch die biographische Verbindung zum großen „Maulwerk“- und „Atemzüge“-Erforscher, den wir in dem unlängst 80 Jahre alt gewordenen Komponisten kennen. Eine Entdeckung.

Die nächste folgt in Gestalt des abendlichen Festival-Schlusskonzerts. Gerahmt von Solo-Violinwerken von Bach (BWV 1003) und Boulez (Anthèmes I) mit einer zum Schluss ganz und gar sicher gewordenen Kirsten Harms, ermöglicht uns Schnebel eine bewegende Begegnung mit einem anderen großen B der Kunstgeschichte: Ingeborg Bachmann. Als kompositorische Reibungsfläche fungieren die Gedichte, die sie 1963 während ihrer Berliner Entzugstherapie hingeschrieben, hingekritzelt hat. Folterphantasien, herbeigewünschte Trostarien, aufgeladene Protokollnotizen im Umfeld einer menschlich-klinischen Grenzsituation. Unter dem Titel „Ich weiß keine bessere Welt“ finden sie sich heute im Nachlass der Dichterin. Was Schnebel daran interessiert, besser: was ihn daran elektrisiert hat, sind Wendungen wie „mild und leise ...“

Ist das nicht aus Tristan? fragt er sich. Dass es in Bachmanns Texten, wie er bald entdeckt, vor Wagnerzitaten nur so „wimmelt“, wird zum Erfindungskern. Gemesssen an den expressionistischen Vorbildern mit den großen Sprüngen in der Linienführung, ist Schnebels Ambitus hier eher klein. Er selbst nennt das eine „konservative“ Vertonung. Dichtung, sagt Schnebel, ist selbst Musik. Rhythmus und Klang der Verse sei zu wahren. Und doch extrem weit, wie Situation und Seelenzustand der Patientin Ingeborg B. in der Entzugsklinik, sind Klangfarben und Ausdruck. Dramatisch braust der sonore Alt von Susanne Otto immer dann, wenn die Tristan-Welt beschworen wird. Dass sich Schnebel im Vorgespräch nebenbei als Wagnerianer outet – hier wird es hörbar. Doch so schnell das Wagner-Brausen kommt, so schnell weicht es wieder einem die Klinik-Welt repräsentierenden gebrochenen Sprechgesang.

Andererseits: Schnebel wäre nicht Schnebel, wenn er nicht die vorbewusste Welt, die noch nicht Sprache, Dichtung, noch nicht Kunstgesang geworden ist, miteinbeziehen würde. Was er uns nämlich zuerst hören lässt, wenn er uns ins Krankenzimmer der Bachmann führt, ist deren Husten, ihre erstickten Atmer, das Pumpen und Röcheln, ihre Schnarcher. Susanne Otto spricht, singt, atmet, schnauft mikrophonverstärkt, was die Verständlichkeit der Worte wie die Unwirtlichkeit der Szenerie gleichermaßen verstärkt. Passion. Musiktheater. Neue Musik im Raum Kirche.

Kirchenmusikdirektor Gijs Burger, der als Hausherr der Mülheimer Petrikirche für dieses schöne Festival verantwortlich zeichnet, bleibt zu wünschen, dass sein und das Programmierungscredo seines Teams weitere Biennale-Runden hält: „Neugier auf Dinge, die sich nicht im Alltag sehen und messen lassen“. Geprägt hat es Mitkurator Manfred Schreier, dessen Trossinger „Polyphonie T“-Solisten (V, Vc, Sax, Kl, Perc) Schnebels Bachmann-Liederzyklus klar und einfühlsam musizierten. 

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