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Das jahrelange Trommelfeuer auf die Gralshüter des Neuen Bayreuth zeigt Wirkung: Wolfgang Wagner zieht sich zurück, der Nachfolgestreit könnte brisant werden. Bei den Salzburger Festspielen will Gérard Mortier seinen Vertrag als künstlerischer Direktor nicht über die vereinbarte Zeit von 2001 verlängern. Was steckt hinter den zwar nicht ganz unerwarteten, gleichwohl in ihrer Abruptheit überraschenden Schritten? Und was bedeuten sie für die Festspiele in Bayreuth und Salzburg?
Für Bayreuth liegen die Dinge vergleichsweise klar vor Augen. Richard Wagners Werk steht im Zentrum der Festspiele, eine andere Stückwahl, obwohl immer wieder einmal ins Gespräch gebracht, steht im Prinzip nicht zur Debatte. Die Wagner-Familie bildet für die Nachfolgeentscheidung den Ausgangspunkt. Es gibt drei Parteien: Wolfgang Wagners Frau Gudrun Wagner, mit Tochter Katharina im Hintergrund; dann die im praktischen Opernbetrieb erprobte Eva Wagner-Pasquier, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe, die als Betriebsdirektorin in Paris und London hinreichende Erfahrungen sammeln konnte; schließlich Wieland Wagners Tochter Nike Wagner, eine streitbare Widersacherin des gegenwärtigen Bayreuth-Betriebs und deshalb von Wolfgang Wagner wenig geschätzt. Begrenzt man die Auswahl zunächst auf die Familienmitglieder – Außenstehende hätten erst bei Uneinigkeit der Familie Chancen auf den Bayreuth-Stuhl – dann erscheint, nimmt man das Neue Bayreuth als das, was es einmal war und eigentlich wieder werden sollte, Nike Wagner als einzig innovative Wahl. Sie allein besitzt das intellektuelle Format und die umfassende Bildung, dem Wagnerschen Werk neue, aus der Gegenwart begründete Perspektiven zuzuführen. Sie würde neue Dirigenten und Regisseure nach Bayreuth bringen, die den ermüdenden Zyklus der Barenboim, Levine, Sinopoli, Kupfer & Co. zu durchbrechen vermöchten. Warum muß Stuttgart auf die Idee kommen, den „Ring“ von vier verschiedenen Regisseuren inszenieren zu lassen? Warum dirigieren Zagrosek, Gielen, Michael Boder, Ingo Metzmacher nicht in Bayreuth? Erst nach Absagen hat sich Wolfgang Wagner entschlossen, für den neuen „Lohengrin“ mit Kenneth Warner und Antonio Pappano zwei attraktive Neulinge zu verpflichten. Schwieriger liegen die Verhältnisse in Salzburg. Ein Superfestival mit einem breiten Warenhausangebot, in das, will man nicht in Event-Kultur und populistischen Ramsch versinken, thematische Linien, Schwerpunkte, intellektuelle Perspektiven einzubringen wären. Mortier ist das in sieben Jahren hervorragend gelungen, es wird auch noch drei Jahre so weiter gehen. Interessante Projekte liegen vor, Opernuraufführungen von Berio, Pintscher, Katia Saariaho, vieles Neue auch in den von Hans Landesmann glänzend betreuten Konzerten. Doch irgendwo und irgendwie hängt in Salzburg der Haussegen schief. Mortier ist mit der Organisationsform der Festspiele nicht zufrieden: statt eines Dreierdirektoriums mit ihm als künstlerisch Verantwortlichen für die Oper, Hans Landesmann als Finanzdirektor und außerdem zuständig für die Konzertprogrammierung, und der Präsidentin Helga Rabl-Stadler möchte Mortier eine Festspiel-GmbH, in der er künstlerischer Geschäftsführer und Landesmann (oder jemand anderes) für Finanzen und Administration zuständig wäre. Der Präsident wäre auf repräsentative Funktionen zurückgestuft (siehe auch Seite 2). Über Budget-Fragen ist es jetzt offenbar zum Bruch gekommen, jedenfalls wurde der Etatentwurf für die Festspiele 2000 vom Kuratorium verworfen. Mit Mortiers Weggang würden die Salzburger Festspiele sicher ihre große Innovationskraft einbüßen. Die Namen möglicher Nachfolger signalisieren wenig Experimentierfreude. Alexander Pereira hat zwar die Zürcher Oper im letzten Jahrzehnt gut geführt, doch steht zu befürchten, daß er das Prinzip Zürich nach Salzburg übertragen könnte, was immer die Gefahr der Wiederholung und Ermüdung in sich trägt. Sogar Mortier ist in dieser Hinsicht das Opfer seiner Brüsseler Mozart-Erfolge geworden. In Salzburg wollte das Modell „Mozart und Brüssel“ nicht mehr so recht funktionieren. Das hat viele Gründe, unter anderem im Ästhetischen: der Brüsseler Mozart-Stil und der Mozart-Stil der in Salzburg den Mozart-Ton angebenden Wiener Philharmoniker paßt nicht zueinander. So erwächst aus nicht vereinbaren Positionen ein Dilemma, das die Atmosphäre oft vergiftete. Warum wird das alles hier ausgebreitet? Sind die personellen Dispositionen und Querelen wirklich so wichtig? Sind Festspiele überhaupt so ernstzunehmen? Die Antwort lautet: Ja! Festspiele, die sich nicht in touristischer Zerstreuung oder kulinarischem Genießen erschöpfen wollen, sind dazu bestimmt, in der allgemeinen Nivellierung zur Event-Kultur Maßstäbe zu setzen, hohe Qualitäten herzustellen, vor allem aber die innere Ruhe zu geben, die jeder, der ausübende Künstler wie der rezipierende Zuschauer, für eine produktive Reflexion benötigt. In Bayreuth gehört diese „Ruhe“ zur Kontemplation zum Prinzip der Festspiele, in Salzburg, unruhiger, gesellschaftlicher, oberflächlicher im Rezipieren, ist diese Ruhe schwerer zu gewinnen. Aber Mortier ist es doch gelungen, seine Zuschauer und Zuhörer zu Konzentration auf die Kunst zu verführen. Deshalb ist es zu bedauern, daß Mortier gerade in diesem Augenblick, wo das neue Salzburg erst halb vollendet scheint, aufgibt. Gibt es keinen gewichtigen Vermittler im Hintergrund, der das alles noch einmal zu wenden vermöchte? In Bayreuth liegen die Dinge anders: der Generationswechsel ist die natürlichste Sache der Kunst-Welt. Weniger sinnvoll ist die Ansicht, die natürlichen Erben eines künstlerischen Besitzes wären, wie im Bürgerlichen Gesetzbuch, Frau und Kind. Ein künstlerischer Erbe legitimiert sich durch künstlerische Qualität und geistiges Format. Das wäre an beiden Festspielorten als Allerdringlichstes zu bedenken.