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Liebesnest im Hinterkopf der Freiheitsstatue: Norma Fantini und Thiago Arancam in der Dresdner „Manon Lescaut“-Produktion. Foto: Matthias Creutziger
Liebesnest im Hinterkopf der Freiheitsstatue: Norma Fantini und Thiago Arancam in der Dresdner „Manon Lescaut“-Produktion. Foto: Matthias Creutziger
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Die Liebe ist ein Kind der Freiheit: Puccinis „Manon Lescaut“ an der Dresdner Semperoper

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Es ist Wagner-Jahr. Christian Thielemann, momentan der deutsche Wagner-Dirigent per se, leitet seit dieser Spielzeit die von Wagner einst als „Wunderharfe“ apostrophierte Sächsische Staatskapelle. In Dresden ist Richard Wagner Hofkapellmeister gewesen, Thielemann gilt sozusagen als dessen Amtsnachfolger am Pult der Kapelle. Und was dirigiert er als erste Opernpremiere an der Elbe? Keinen Wagner, sondern Puccinis „Manon Lescaut“.

Selten wird eine Premiere in der Semperoper von solch großen Erwartungen begleitet: Am ersten Märzwochenende strömte, was Rang und Namen hat im Musiktheater, nach Dresden. Alle wollten dabeisein, wenn Christian Thielemann die erste Neuproduktion an seinem Haus dirigiert. Bisher leitete der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle zahlreiche Orchesterkonzerte sowie die Wiederaufnahmen des „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und von Richard Wagners „Lohengrin“.

Man hätte drauf wetten können, dass der Bayreuth-erfahrene Berliner nun auch mit einem Werk von Strauss oder Wagner antreten wird, wenn er seine erste Opernpremiere in Dresden bestreitet. Aber nichts da, Thielemann überrascht mit einem Werk des Verismo. Treu bleibt er sich trotzdem, denn erstens startete er in seiner GMD-Zeit an der Deutschen Oper Berlin schon einmal einen Zyklus für Freunde der italienischen Oper. Nach Umwegen und längerer Unterbrechung hat er diese Ambitionen nun mit „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini fortgesetzt. Und zweitens klang die ganz schön wagnerianisch.

Dass diese Premiere gar keine Neuproduktion im eigentlichen Wortsinn gewesen ist, tat der enormen Aufmerksamkeit für diese Premiere keinerlei Abbruch, im Gegenteil: Regisseur Stefan Herheim sorgte nur noch für gesteigertes Interesse, denn schon seine Inszenierungen von „Rusalka“ und „Lulu“ stießen in Dresden auf heftige Anteilnahme von Publikum und Presse. Wie diese Opern von Antonín Dvorák und Alban Berg ist auch „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini eine Übernahme gewesen, mit der die voriges Jahr verstorbene Intendantin Ulrike Hessler Stefan Herheim verstärkt an ihr Haus binden wollte. Ob der als Hauptregisseur der Semperoper geadelte Norweger je eine neue Originalinszenierung für Dresden herausbringen wird, steht indes in den Sternen. Denn der wiederholt als „Regisseur des Jahres“ gekürte Theatermann schien über die künstlerische Führungslosigkeit des Hauses nicht eben glücklich gewesen zu sein. Die Zusammenarbeit mit Christian Thielemann bezeichnete er als eine eher virtuelle mit erheblichen zeitlichen Defiziten.

Nach dem Premierenbesuch darf gesagt werden, dass dies weder der musikalischen Seite noch der szenischen Umsetzung anzumerken gewesen ist. Vom ersten Ton an klang die Staatskapelle seidig, war optimal präpariert für Puccinis Schwelgerei und Dramatik. Ja, die „Wunderharfe“ hing als Instrumentarium wie ein einheitliches Ganzes am kleinen Finger von Thielemann – und der sorgte mit süffigen Variablen für ein Überschwappen der Emotionen, vermied aber jeglichen Ausflug ins unbegründet Gefühlige.


Und auch die szenische Reflexion Herheims erwies sich als gründliche Analyse von Oper und ihrem Entstehungsprozess. Puccini war geradezu besessen vom Zwang zum Erfolg. Das wieder und wieder überarbeitete Libretto sortierte er in eine halbwegs schlüssige Handlung, deren Grundmotive der unbedingte Freiheitsglaube sowie die Kraft entfesselter Liebe gewesen sind. Musikalisch gelangen ihm unangreifbar schöne Momente, die mit schroffen Brüchen versehen sind, als gälte es, jedes Zuviel an Harmonie sofort wieder zu stören.

Interessant ist daher die Ansiedlung der Herheimschen „Manon Lescaut“ in der Werkstatt von Frédéric-Auguste Bartholdi, wo just die so genannte Freiheitsstatue („Die Freiheit erleuchtet die Welt“) als Geschenk Frankreichs an den nordamerikanischen Staatenbund namens USA entstand, genau einhundert Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. Metaphorisch geschickt wird diese Immanation als Sinnbild auf die Sehnsucht nach unbevormundeter Liebe verwandt, werden individuelle Glückssuche und gesellschaftliche Umbrüche verbunden, um Alte mit Neuer Welt zu konfrontieren. Der Chevalier Des Grieux ist in dieser Sicht also der Bildhauer, der seine Liebe zu Manon ausleben will und dafür alles aufs Spiel setzt. In dieser Diktion rücken „La Bohème“ und „Tosca“ tragisch zusammen; tragisches Liebesgeschick mit dem Streben des Künstlers.

Aber da ist ja auch noch der Ursprung von „Manon Lescaut“, den Stefan Herheim hier manifestieren will. In einer stummen Rolle lässt er folgerichtig Giacomo Puccini sowohl im Pariser Part als auch in den amerikanischen Weiten als eine Art Strippenzieher auf der Bühne erstehen. Der gibt seine Partitur Blatt für Blatt preis, erschrickt auch mal über die sich daraus ergebenden Konsequenzen und verliert sich zunehmend im Desaster, das letztlich auf den tragischen Tod Manons in der Wüste hinauslaufen wird.

Das Inszenierungsteam hat zur Premiere in einem vehement ausgetragenen Zerwürfnis aus Buh- und Bravorufen gestanden, wobei unklar geblieben ist, ob die originäre Interpretation dieser Oper konservativen Teilen des Publikums nun missfallen hat oder ob sich vermeintlich aufgeschlossenere Besucher an der historischen Gründlichkeit gestoßen haben. Herheim sowie seinen Mitarbeiterinnen Heike Scheele (Bühnenbild) und Gesine Völlm (Kostüme) gelangen jedenfalls bestechend scharfe Momente, in denen äußere und innere Freiheit verschmolzen – ein Liebesnest etwa im Hinterkopf der Freiheitsstatue spricht doch genau das ewige Theorem an, dass Liebe nur als Kind der Freiheit gelebt werden kann.

Rokoko-Kostüme widerspiegeln die überkommene Welt, die gestrigen Gedanken, die Zwänge aus Standesschranken und zynischer Zügelung. Des Grieux in seiner Werkstatt und der omnipräsente Puccini stehen dagegen für die Ungebundenheit der Kunst ein, wollen das Einengen durch Äußerlichkeit nicht mehr wahrhaben. Da ist nichts auf die leichte Schulter genommen, dennoch wirkt diese Sicht nie überfrachtet. Musik, Text und Rezeptionsgeschichte von „Manon Lescaut“ wurden höchst ernst genommen, gerade dies macht den Reiz an der von Graz nach Dresden übernommenen Produktion aus.


Die feine Orchesterkultur erhöht diesen Reiz, die Spielfreude von Solisten, Opernchor und Komparserie steigern ihn noch. Mit „gefrosteten“ Bildern und einer quasi als Buch sich öffnenden Bühne kommen weitere sehr gelungene Momente hinzu. Mathias Kopetzki als stummer Puccini nimmt chaplinesk Maß, Norma Fantini in der Titelpartie singt und spielt überragend, auf dass sie die Köpfe nicht nur der Protagonisten um sie herum verdreht. Ihr Bruder Lescaut wird von Christoph Pohl mit charismatischem Ausdruck und bezwingender Sangeskraft verkörpert. Als ebenfalls in Manon verschossener Geronte di Ravoir besticht Maurizio Muraro, und den Edmondo gibt Giorgio Berrugi mit überzeugend leichtfüßigem Darstellungs- und Sangesvermögen. Einzig der von Thiago Arancam in dessen Semperopern-Debüt verkörperte Renato Des Grieux scheint absolut fehlbesetzt gewesen zu sein. Zur Premiere jedenfalls hat der Tenor gründlich versagt, kam nur sehr selten in die Nähe überzeugender Hörbarkeit, wirkte oftmals markierend, wo ganzer Einsatz erforderlich gewesen wäre. Vielleicht hätte ihm eine Ansage vorab oder spätestens zur Pause die Fülle der Buhrufe etwas erspart. Und der verdiente Applaus für Thielemanns erste Oper in Dresden hätte keinen so bitteren Beigeschmack erhalten.

Wie nebenbei galt dieses mit großen Erwartungen und reichlich Handschütteln verknüpfte Stelldichein zur Premiere – eine ganze Reihe namhafter Intendanten und Künstlerpersönlichkeiten gaben sich die Ehre – freilich auch dem Fakt, dass der Chefsessel des Hauses einer Neubesetzung harrt. Wer kommt da nicht gern einmal an die Elbe? Auch das ist eine Art von Verismo.

Termine: 6., 10.3., 28.4., 1., 4.5., 18., 23., 27.6.2013
www.semperoper.de

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