Ungeteilter Jubel ist selten nach Opernpremieren, und an der Deutschen Oper Berlin allzumal. Im Rahmen der Richard-Strauss-Wochen 2008/2009 erfolgte die Premiere von einer eher selten gespielten Oper des Garmischer Meisters: „Die Ägyptische Helena“, op. 75 entstand nach der „Frau ohne Schatten“ (sowie dem ebenfalls wenig gespielten „Intermezzo“) und vor „Arabella“. Das Libretto von Hugo von Hofmannsthal ist nicht, wie etwa die „Elektra“, eine Bearbeitung einer berühmten Vorlage, wenn auch mythisch verbrämt.
Das zweiaktige Libretto ist dramaturgisch nicht zwingend gebaut; es will literarischer sein als es ist, und bei den gereimten Versen trifft man auf arge Drechseleien. Nach Klärung heftiger Divergenzen zwischen Dichter und Komponist erfolgte1928 in Dresden die Uraufführung, aber nach dem Tod Hofmannstahls machte sich Strauss an erhebliche Umarbeitungen, die so genannte „Wiener Fassung“ stand dann erstmals 1933 in Salzburg auf dem Programm.
Die Deutsche Oper Berlin warb mit der Ankündigung, ihre Premiere sei die „erste Neu-Inszenierung in Berlin seit 1928“; bei William Mann (Richard Strauss. Das Opernwerk. München 1964) liest man hingegen über eine Inszenierung von Rudolf Hartmann, 1935 in Berlin, die den ersten Teil der Handlung „im Freien“ ansiedelte. In der Neuinszenierung von Marco Arturo Marelli spielt die gesamte Handlung in einem Bordell des nahen Ostens, mit Zauberin Aithra als Puffmutter und einer Reihe von Animierdamen, die den kämpfenden Soldaten eine Abwechslung vom Kriegsgeschehen bieten. Aithras alles wissende Muschel (die vor genau zwanzig Jahren in Joachim Herz’ Münchner Inszenierung erstmals als personifizierter Fernsehapparat in Erscheinung trat) benutzt hier sowohl eine Plexiglas-Muschel, als auch einen
Unverkennbar ist der Regisseur von Haus aus Bühnenbildner, der ästhetisch mit wehenden Vorhängen, Drehtüren und schwebenden Möbeln ansprechende Räume kreiert hat, die von der Dramaturgie des Hauses als „Hölle, Vorhölle und (trügerisches) Paradies“ definiert werden. Die Fläche der Drehscheibe ist dreigeteilt, auf der Bühne agieren Solisten und Statisten, während der Chor aus dem Off singt. Marelli zeichnet auch verantwortlich für die „Berliner Fassung“, eine Mischfassung der beiden Strauss-Versionen, die neben Verkürzungen aus der zweiten Fassung des Komponisten insbesondere das Terzett von Aithra, Helena und Menelas berücksichtigt, jenen späten Versuch des Komponisten, die Gefühlsseligkeit des „Rosenkavalier“-Terzetts noch zu toppen.
Die Wüste des zweiten Aktes gibt es bei Marelli nur als Beduinen-Video am Ende des ersten Aktes. Denn die neuen Werber um die Gunst Helenas – Altair und sein Sohn Da-du, mitsamt ihren Kriegern – erweisen sich hier nämlich als Mummenschanz der als Eheberaterin alle Register ziehenden Aithra. Eine derartige Lesart war nur durch heftige Striche zu bewerkstelligen (der auch die Zitate von Falke und Gazelle aus der „Frau ohne Schatten“ zum Opfer fielen). Die dabei offenbar angestrebte Komödienhandung à la „Operette“ stellte sich ob der Schwere von Strauss’ Musik allerdings nicht ein. Und das in einen penetrant auf die Kraft der Tonikawirkung bauenden Schluss mündende Unisono-Duett in D-Dur bleibt gleichwohl fatal, scheint es doch musikalisch (und nun in Berlin auch szenisch) zu verkünden: Mord und Totschlag sind unwichtig, wir gehören uns! – Da ließ sich 1933 leicht ergänzen, „...und morgen die ganze Welt“.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin musiziert unter Andrew Litton wohl disponiert und ohne die Sänger zuzudecken. Der mörderischen Heldentenorpartie des manischen Menelas muss Robert Chafin notgedrungen Einiges an Strahlkraft und Spitzentönen schuldig bleiben. Hingegen gefällt der Bariton Morten Frank Larsen als Altair. Ricarda Merbeth, die den sinnlichen Trumpf des Melos im Monolog zu Beginn des zweiten Aktes trefflich interpretiert, vermag insgesamt nicht die Imagination der weltschönsten, von allen Männern umschwärmten Frau zu erzeugen. Aber die großartig spielende und singende Sopranistin Laura Aikin als Aithra, wie auch die stimmgewaltige Altistin Ewa Wolak als Muschel, lassen keine Wünsche offen.