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Die echten Gould-Verehrer werden sich mit dessen exemplarisch eigenwilliger Deutung des d-Moll-Konzerts von Brahms schon längst vertraut gemacht haben. In einem spartanisch ausgestatteten, gänzlich unkommentierten Doppelalbum ist seine zögernde, bis zur Arbeitsverweigerung lethargische Großbildaufnahme des Werkes unter der Leitung von Leonard Bernstein vor Jahren schon bei „Melodram“ auf LP erschienen.Sony nun offeriert diese Sternstunde musikalischer Problematisierung und des interpretatorischen Live-Diskurses erstmals in autorisierter CD-Qualität, wobei der Herausgeber neben der faszinierend gewitzten und sachlich aufschlußreichen Bernstein-Vorrede auch noch ein Interview zu bieten hat das James Passett mit dem Pianisten geführt hat. Es wurde knapp ein Jahr nach der denkwürdigen New Yorker Aufführung ausgestrahlt und es bekräftigt noch einmal, was Gould an der Seite des „fairen“ Dirigenten wider alle Brahms-Konventionen des Langen und des Breiten klavieristisch ausgeführt hatte. Das an sich schon schwerblütige d-Moll-Monster gerät unter der Regie Glenn Goulds zum klaviersinfonischen Klagelied, ohne jeden Ehrgeiz zum „konzertanten Wettstreit“, ja geradezu wie in Verachtung aller sportlichen Aspekte. Die drei Sätze ereignen sich gewissermaßen als monumentale Kammermusik auf dem Seziertisch. Hochinteressant ist es nun, diese von unwiderstehlich verlangsamtem Pulsschlag getragene Version mit der – vor allem in den ersten beiden Sätzen – entschieden rascheren Gould-Aufnahme unter Peter H. Adler zu vergleichen (Baltimore 9.10.1962). Bei der Beurteilung der beiden Interpretationen möchte ich Celibidache recht geben, wenn er meint: je reicher die Musik ist, desto mehr an erlebter Zeit bedarf es bei ihrer Vermittlung und Rezeption.
In jüngster Zeit bewies das ungarische Klavierduo Egri-Pertis einigen Mut, mit „Opernfantasien, Reminiszenzen und Transkriptionen“ für zwei Klaviere und für Klavier zu vier Händen auf sachdienliche Weise das Liszt-Repertoire aufzuarbeiten (Hungaroton HCD 31745-46). Nun erscheint ein „Budapest Piano Duet“ auf Folge 3 dieses ehrgeizigen Projekts, wobei die „Symphonischen Dichtungen“ für die Ausführenden sicher erheblich mehr Darstellungs- und Rechtfertigungsprobleme mit sich bringen als die – zumeist – klavierattraktiven Opernverschnitte. Tamás Kereskedö und Zoltán Pozsgai zeigen jedoch in atmender, zeitlich bestens aufeinander abgestimmter Allianz, wie einfühlsam, wie atmosphärisch Franz Liszt seine liebsten Orchesterkinder für Klavier „adoptiert“ hat. Unter so günstigen wiedergabepraktischen Bedingungen wie hier sind die Fassungen viel mehr als nur musikpädagogisches Intruktionsmaterial.
Mit einer von der Sache her mutigen spürbar sorgfältig vorbereiteten und im Endeffekt doch frisch gespielten Liszt-Zusammenstellung zeigt sich das Duo Johannes und Eduard Kutrowatz den Liszt-Aufnahmen etwa des Budapest Piano Duet überlegen. Die burgenländischen Brüder Kutrowatz haben neben dieser auch im ungarisch-rhapsodischen Teil sehr Genre-flexiblen Liszt-Zusammenstellung inzwischen auch eine zweite Schubert-CD vorgelegt. Märsche, Polonaisen und das lyrisch-gleitende A-Dur-Rondo bestätigen diese Künstlerallianz nicht nur als ein kräftiges Lebenszeichen österreichischen Nachwuchses, sondern auch die bei Liszt schon prägende Mischung aus Genauigkeit und verantwortungsvoller Freizügigkeit.
Die Brücke zum DG-Debütprogramm der Truppe Lakatos ist leicht zu schlagen, denn sie stammen in Stil und Machart aus der Heimat der Brüder Kutrowatz – oder zumindest aus der ungarisch-zigeunerischen Nachbarschaft. Die verwegene, im vielfältigsten Sinne des Wortes transzendentale Kunst des Geigers Roby Lakatos erinnert in ihrer Mischung aus Melancholie Nachdenklichkeit und furiosem Aberwitz an die frühen Transkriptions- und Improvisationsexperimente des Pianisten György Cziffras. So wie bei ihm wirken Lakatos’ Arrangements und im musikalischen Ernstfall sein Geigenspiel bis zur virtuosen Unbegreiflichkeit verschärft, wobei die stilistischen Grenzmarkierungen immer wieder mutwillig negiert werden. Die gewählten Schlager aus der unterhaltsamen Klassik und aus unseren Tagen werden aus der Perspektive des Zigeuner-Primas aktualisiert.
Lakatos stammt aus einer berühmten Zigeuner-Dynastie mit blendenden musikalischen Referenzen. Mit seinen fabelhaften Ensemble-Kollegen gelingt es ihm, jene kunstmerkantile Tendenz mit Leben zu erfüllen, die unter dem Schlagwort Crossover im allgemeinen zu verzichtbaren, unter Umständen zu geradezu peinlichen Resultaten führt (wie etwa die Nachthemd-durchsichtigen Klavierfummeleien von Clara Ponty auf Philips 536 155-2). Der Deutschen Grammophon dürfte es mit der Verpflichtung von Roby Lakatos gelungen sein, Musik aus unterschiedlichsten Sphären auf höchster Ebene für neue Publikums-schichten zu thematisieren.
Keine Sorge! Die Ankündigung von Einspielungen für „Klavier linke Hand“ bedeutet keinesfalls, daß der Pianist Leon Fleisher wieder mit Problemen seiner Rechten zu kämpfen hätte. Die Beschäftigung mit den beiden Fünf-Finger-Stücken der österreichischen Spätestromantik scheint eher so etwas wie der engagierte Nachtrag zu gesundheitlich prekären Zeiten zu sein. Für dieses Projekt hat er sich der Mitarbeit namhafter, in der Diktion verwandter und vom spielerischen Niveau gleichwertiger Partner versichert. Das Resultat kann sich hören lassen, weil man hier sowohl in Quartett-, als auch in Quintettformation auf Schlankheit und auf „Lesbarkeit“ der Hauptlinien abzielt. Auf diese Weise wird auch hörbar, daß die – musikmoralisch durchaus fragwürdigen – Zweihand-Versionen der Schmidtschen Stücke, die der Pianist Friedrich Wührer angefertigt hat, überhaupt keinen musikalischen Gewinn darstellen.
Dem 34jährigen Pianisten Francesco Caramiello aus Neapel verdankt der ASV-Katalog eine Reihe von prächtigen Martucci-Einspielungen, der Musikfreund mit Vorliebe für literarische Seitenblicke folglich eine Fülle von Hinweisen auf das spätromantische Italien. Wenn Caramiello nun mit Streichern, die sich 1987 aus dem in Venedig formierten „Ex Novo Ensemble“ als „Ex Novo Quartet“ ausgekoppelt haben, einem langwierigen, klanglich üppigen Klavierquintett von Giovanni Sgambati (1841 – 1914) widmet, dann folgen er und sein Herausgeber der musikdidaktischen und unterhaltenden Martucci-Linie. Das viersätzige Werk mit fast 50 Minuten Spieldauer entstand 1866. Es wirkt in seinen weiten, weichen Schwüngen und in seinen reizvollen Nebel- und Mischklängen wie ein italienisierter Franck. Das Klavier ist als Aromafaktor eingesetzt, wühlt und perlt zwischen den Streichern, deren sentimentales Unisono gelegentlich an abendliche „Caffe Venezia“-Stimmung denken läßt. Wie so viele spätherbstliche Romantiker, die sich nicht mehr mit einer harmlos-sportlichen Rondo-Auskehr anfreunden wollten, bereitet auch Sgambati der Finalsatz Mühe, auf schlüssige, vor allem aber auf kurzweilige Art aus der ehrgeizigen Sache herauszukommen. Caramiello tut hier, was zu tun ist, um dem zähen „Allegro moderato-Teig“ die wenigen Nährstoffe zu entlocken.
Peter Cossé
Diskographie
Brahms: Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15, Ansprache Leonard Bernstein, Interview mit Glenn Gould; Glenn Gould (Klavier); New York Philharmonic Orchestra, Leonard Bernstein. Sony ASK 60675
Liszt: Orpheus, Hamlet, Ce qu’on entend sur la montagne (Sinfonische Dichtungen in Transkriptionen für zwei Klaviere); Budapester Klavierduo. Hungaroton / Disco - Center MCD 31751
Liszt: Les Préludes, Mazeppa, Orpheus, Ungarische Rhapsodie Nr. 2; Duo Kutrowatz (Klavier); Organum OGM 980050
Schubert: Marche militaire D 733.1, Grand Marche et Trio D 819,2, Polonaisen D 599, Rondo D 951, Allegro D 947 und andere; Duo Kutrowatz (Klavier); Organum OGM 962025
Roby Lakatos and his ensemble play Brahms, Monti, Liszt, Dinicu, Williams, Lakatos, Khachaturian, Kodály u.a.; Roby Lakatos und László Bóni (Violine). Ernest Bangó (Cymbalon und Gitarre), Kálmän Cséki (Klavier), Oszkár Nómeth (Kontrabaß). DG 457 879-2
Korngold: Suite für zwei Violinen, Cello und Klavier (linke Hand) op. 23 Schmidt: Klavierquintett G-Dur: Leon Fleisher (Klavier), Joseph Silverstein, Jaime Laredo. Joel Smirnoff (Violine), Michael Tree (Viola), Yo-Yo Ma (Cello). Sony SK 48253
Sgambati: Klavierquintett Nr. 1 f-Moll op. 4, Zwei Stücke für Violine und Klavier op. 24, Gondoliera für Violine und Klavier op. 29, Romanze für Cello und Klavier op. 23; Francesco Caramiello (Klavier), Ex Novo Quartet. ASV / Koch DCA 1029