Besitzt eine Retortenstadt wie Dubai überhaupt eine Mitte? Nach der kompositorischen Annäherung an Istanbul und Johannesburg hieß es nun mitten hinein nach Dubai. Auch das „into Dubai“- Projekt von Ensemble Modern und Siemens Arts Program wurde wieder vom Goethe-Institut unterstützt. Es half Vykintas Baltakas, Jörg Widmann, Markus Hechtle und Márton Illés bei der Aufgabe, während eines einmonatigen Arbeitsaufenthalts die „Essenz“ dieser Stadt klanglich einzufangen. Die musikalischen Ergebnisse dieser Komponistenreise waren am Mittwoch in Berlin uraufgeführt worden. Für nmz-Online besuchte Achim Ost am Donnerstag die Folgeaufführung in der Alten Oper in Frankfurt a.Main.
Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass ein Mensch die Prägungen der ersten Jahre immer bei sich trägt und sie manchmal braucht, um sich an ihnen festzuhalten. Wenn Widmanns „Dubairische Tänze“ eine komponierte Satire sind, dann ist Dubai eine monumentale Satire auf das Menschheitsprojekt der Stadt. Es könnte aber sein, dass es ein Missverständnis wäre, die alpinen Halteseile für etwas Launiges zu halten. Zu obsessiv und konsequent dreht der Komponist die bohrende Ländlerschraube ins fremde Gestein, und auf der Tanzfläche bilden sich keine irritierend konstruierten Schräglagen, nur notdürftige Bedeckungen für bodenlose Abgründe. So erscheint die Musik wie eine Panikreaktion, nicht wie gekonnte Lustigmacherei. Dubai muss Jörg Widmann tief befremdet haben, so dass er sich an das urbekannte musikalische Kindheits- und Heimatmaterial geklammert hat. Das Ensemble Modern, geleitet von Franck Ollu, bildete in einer krassen Interpretation die Blechschwelgerei und behäbige Hupfrhythmik genauso inbrünstig ab wie die Schwärze darunter, über die die Handläufe der Tanzgirlanden nicht hinwegtäuschen, und erreichte eine optimal unversöhnte Widersprüchlichkeit.
Auch Markus Hechtles Komposition „Leeres Viertel“ basiert auf unversöhnten Widersprüchen. Claves, Klangstäbe also, klappern sich zu immer gleichen, immer neuen Formen zusammen, endlose variierende Wiederholungen, die Geschichte einer Wüste ohne Leben und eines Landes ohne Musik, bis sich plötzlich ein Bratschenton vernehmlich macht. Andere Saiteninstrumente kommen hinzu, Volumen und Klang verändern sich und plötzlich sind alle da und brüllen einer triumphalen Kumulation entgegen, die von der ewigen Stille der ersten der ersten zwei Siebtel des Stückes so weit entfernt ist wie Dubai von der Wüste, in der es liegt. Also äonenweit und zugleich gar nicht.
„Dubai“ ist die bisher wohl eindrucksstärkste Kompositions-Station des „Into…“-Projekts von Siemens Art Program und Goethe-Institut. Die Stadt scheint Klarheit und Widersprüchlichkeit zu provozieren wie keine andere, was sich auch an den beiden anderen Stücken des Abends ablesen ließ. Márton Illés „… Körök“ (Kreise) wirkte wie ein Versuch, sich um jeden Preis nicht beeindrucken zu lassen von den Verunsicherungen der verzerrten Urbanität. Vykitas Baltakas „Lift to Dubai“ wirkt wie ein Versuch, die monumentale, aber tote Stadt zu beleben und Widersprüche als etwas Lebendiges wahrzunehmen. Dubai hat alle verunsichert und niemanden in Ruhe gelassen: Das Ensemble Modern hat zeigen können, wie.
s. auch Dokumentation "into Dubai" auf nmzMedia