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Gelungener Kraftakt in Chemnitz: Meyerbeers „L'Africaine“. Foto: Theater Chemnitz
Gelungener Kraftakt in Chemnitz: Meyerbeers „L'Africaine“. Foto: Theater Chemnitz
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Ein Drama auf hoher See mitten in Sachsen – Chemnitz wagt sich an Meyerbeers „Afrikanerin“

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Chemnitz traut sich was: Nicht nur, dass die selten gespielte Oper „Vasco da Gama“ („Die Afrikanerin“) von Giacomo Meyerbeer mal wieder gezeigt wird – hier bringt man die Erstaufführung der kritischen Ausgabe. Und die dauert lange fünf Stunden. Doch mindestens ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass Chemnitz – vor wenigen Jahren mit einem „Ring“ in den Schlagzeilen – sein Wagner-Jahr mit einem Meyerbeer startet. Das ist mutig.

Seit Generalintendant Bernhard Helmich und Generalmusikdirektor Frank Beermann den Ton angeben in Chemnitz, geriet namentlich im Musiktheater der sächsischen Ex-Industriestadt einiges in Bewegung. Immer mal wieder sorgten spektakuläre Werke für Schlagzeilen, weil man just die dort kaum vermutet hätte, mehrfach gelangen eindrucksvolle Sichten auf Repertoirestücke und zunehmend gestaltet sich das Theater musikalisch auch sehr hörenswert.

Das sind allesamt schöne Mosaikstückchen für ein Empfehlungsschreiben ins Rheinland – Helmich wird ab kommender Spielzeit Generalintendant der Oper Bonn. Ein Grund für Größenwahnsinn wäre das nicht. Und dennoch stemmt das Haus nun eine Erstaufführung von Giacomo Meyerbeer. Dessen 1865 in Paris uraufgeführte und im gleichen Jahr in Berlin gezeigte Oper „Vasco da Gama“ („Die Afrikanerin“) ist nach der kritischen Ausgabe von Jürgen Schläder erarbeitet worden, dauert in summa gute fünf Stunden und beinhaltet, wie es sich für die Grand opéra ursprünglich gehört, auch ausgedehnte Balletteinlagen.

All das leistet sich Chemnitz – und zielt damit nicht nur auf überregionales Medieninteresse, sondern auch aufs verwöhnte Opernpublikum. Nicht zuletzt auf das der Wagnerianer. Denn der Meyerbeer in heftiger Ablehnung verbundene „Ring“-Meister hat eine Menge von dem Franzosen gelernt. Das wird auch in diesem „Vasco da Gama“ wieder sehr deutlich. Der zeigt allerdings auch, was sich Meyerbeer von Verdi abgehört hat. Da schließen sich musikalische Kreise quer durch Europa.

Mit dieser Oper jedoch verlassen wir den alten Kontinent, dessen Bewohner sich so gern zum Zentrum des Sternensystems nehmen. Vor etwa einem halben Jahrtausend sind von den Seefahrernationen Europas immer wieder einige Unentwegte aufgebrochen, um wahres Neuland zu erkunden. Der Portugiese Vasco da Gama (etwa 1469 bis 1524) war einer von ihnen. Er hat den Seeweg nach Indien ums Kap der Guten Hoffnung entdeckt.

Derlei Hintergrund bräuchte man gar nicht, um die Oper gut zu verstehen. Denn vordergründig geht es um einen Mann, der eine Frau liebt, die von noch einem anderen Mann geliebt wird. Die Frau aber liebt nur den Einen, doch der wird auch von einer Anderen begehrt. Die ist dummerweise eine Sklavin, wird obendrein noch der anderen Frau geschenkt; das ist eine doppelte Schmach, wenn man erfährt, dass die Sklavin eigentlich Königin einer fernen, fremden Kultur ist. Dort wiederum wird sie von einem weiteren Mann verehrt und begehrt. Zum Schluss bekommen sie sich alle nicht so, wie sie es sich wünschten. Die meisten werden tot sein, die schöne Titelheldin stirbt fast zuletzt. Tragisch …

Glaubenskonflikte sorgen für Leichen, auch in der Oper

Überhaupt: In wenigen Opern gibt es so viele Leichen. Das hat weniger mit Liebes- als mit Glaubenskonflikten zu tun. Denn die Eroberer meinen, sich im Zeichen ihrer Christenheit alles erlauben zu dürfen, die Versklavten wiederum sehen in ihren Gottheiten das Seelenheil.

Regisseur Jakob Peters-Messer inszeniert diese vielschichtige Handlung ziemlich geradeaus und lässt ihr ihre Spannung. Mit meist sparsamer Ausstattung wechseln die Spielorte (Bühne: Markus Glasow) von Lissabon auf hohe See ins ferne Indien. Dass der Beginn des 3. Akts mit Meeresszene und einsamer Frau eher an den „Fliegenden Holländer“ erinnert, liegt in der Natur der Sache respektive in der Wagnerlast der Gegenwart. Kostümbildner Sven Bindseil hat die vielen Seeleute ganz maritim eingekleidet, den vermeintlichen Indern spendierte er einen Hauch von Exotik, zur Ausstattungsoper geriet das Ganze bei den Damen des Chores und deren Kopfputz. Ein erst gewöhnungsbedürftiges Pink zieht sich als symbolische Liebesfarbe durch die Szenen und begleitet die „Afrikanerin“ Sélika bis zu ihrem Freitod unterm (im wirklichen Indien übrigens kaum verbreiteten) Manzanilla-Baum. Dessen Duft macht erst berauscht, dann tötet er die Sinne.

Trotz der gewaltigen Länge dieser Oper kommt an kaum einem Moment Langeweile auf. Das hat gewiss mit den rasch wechselnden Bildern zu tun und mit dem meist gelungenen Lösungen, die Menschenmassen zu schieben. In kleineren Ensembleszenen fällt auf, dass wirkliche Personenbezüge nur selten hergestellt sind. Sehr innig wiederum die Liebespaare und -trios in ihrer Zerrissenheit.

Giacomo Meyerbeer, der ebenso wie sein Librettist Eugène Scribe die Uraufführung der „Afrikanerin“ nicht mehr erleben konnte, hatte sich für diese Oper einmal mehr (nach „Robert der Teufel“, den „Hugenotten“ und „Der Prophet“) menschheitsgeschichtlicher Themen angenommen. Das Mit- und Gegeneinander der Kulturen war ein Faszinosum auf den Opernbühnen – den deutschen Nazis musste dies natürlich ein Dorn im Augenbraun sein, sie verboten das Werk. Heute führt es eher ein Schattendasein. Die jetzt erstmals in Chemnitz herausgekommene Fassung könnte dies ändern, sie beinhaltet sämtliche Materialien aus Meyerbeers Nachlass. Spätere Eingriffe wurden wieder getilgt. Auch wenn Meyerbeer gewiss noch daran gearbeitet hätte, ist diese kritische Ausgabe doch eine Art Version letzter Hand.

Meyerbeer in Chemnitz – ein Gesamtereignis

Die Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann musiziert diese melodisch so farbenreiche Partitur als Gesamtereignis mit herausragenden Einzelleistungen. Nicht jeder Taktwechsel startet sofort im richtigen Fahrwasser, doch meist reicht ein kleiner Wellenschlag aus, um alle wieder im selben Boot zu vereinen. Dort fallen insbesondere die Streicher mit ihrer trockenen Samtigkeit positiv auf. Gut präpariert und spielfreudig auch der Chemnitzer Opernchor. Und erstaunlich homogen das internationale Solistenensemble, bestehend aus Gästen und Mitgliedern des Hauses.

Als Vasco da Gama sang sich Bernhard Berchtold mit schlanker, ausdrucksstarker Klangkultur in die Herzen nicht nur seiner beiden Geliebten Inès und Sélika. Die Portugiesin wurde von der umjubelten Koreanerin Guibee Yang gesungen. Ob man ihr eine blonde Perücke verpassen musste, sei dahingestellt, aber ihr blitzblanker Sopran ist schlicht betörend. Adäquat auch ihr Widerpart, die königliche Sklavin. Claudia Sorokina aus Taschkent sang diesen glutvollen Part mit ergreifender Wucht und dem stets paraten Maß an Demut. Der mit ihr gefangene und in sie verliebte Nélusko wurde von Pierre-Yves Pruvot als archaisches Wesen gegeben, triebhaft impulsiv mit einer Aura des Unüberwindbaren, der dieser Franzose spielend und singend vollends gerecht wurde.

Dass in dieser aufwändigen Produktion auch die Ballettfreunde auf ihre Kosten kamen, ist den von Anke Glasgow choreografierten Einlagen zu danken, die deutlich verstörende Wildheit verströmten und sehr körperbetont vorgeführt worden sind. Ob ein Pas de deux das Liebesspiel von Sélika und Vasco noch zusätzlich illustrieren musste, scheint fraglich. Anstelle von solcher Detailverliebtheit wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen. Freilich, angesichts des rundum gelungenen Kraftakts müsste sofort gefragt werden: Noch mehr?

Termine: 10., 24.2., 10.3., 7., 28.4., 31.5., 15.6.2013
Deutschlandradio Kultur überträgt einen zweigeteilten Mitschnitt der Oper am 9.3. ab 19.05 Uhr sowie am 10.3. ab 20.03 Uhr
www.theater-chemnitz.de

 

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