Ein weißer Pfau. Krone auf Köpfchen. Das Gefieder gespreizt. Eitler Radschlag, also ein Hahn. Kein Albino, dennoch eine Raritesse. Und die prangt nun ganz aktuell auf den Broschüren, bald wohl auch auf Plakaten für die Dresdner Musikfestspiele 2012. Deren Motto und sowie das Programm wurden Anfang September bekanntgegeben: „Herz Europas“. Ein Pfauenherz?
Seinen vierten Jahrgang als Intendant der Dresdner Musikfestspiele setzt Jan Vogler – nach „Neue Welt“ (2009), Russlandia“ (2010) und „Fünf Elemente“ (2011) – unter das Motto „Herz Europas“. Er bezieht sich damit auf den Kulturraum um Wien, Budapest und Prag. Von dort aus erklangen in den vergangenen Jahrhunderten neue Impulse für die Musikgeschichte. Sie sollen nun essentiell an den verschiedenen Spielstätten in und um Dresden einmünden. Allem geistigen und kulturellen Unvermögen der Habsburger zum Trotz entwickelten sich an Donau und Moldau prägende Triebkräfte, die folkloristische und religiöse Einflüsse der Vielvölkerregion mit artifiziell innovativen Potentialen verbanden und selbst unter Metternichs Bluthunden noch großartige Kunstwerke hervorbrachten. Ob Haydn, Mozart oder Beethoven, die Linie der großen Namen reicht über Dvorák und Smetana bis hin zu Schönberg, Bartók und Ligeti weit in die Jetztzeit hinein.
Das „Herz Europas“ ist aber nicht nur kompositorisch Programm, sondern wird in mannigfaltigen Handschriften verkörpert und erst durch die Interpreten lebendig. Mit Wiener Philharmonikern, Wiener Sängerknaben, Tschechischer Philharmonie, dem Mahler Chamber Orchestra sowie der Wiener Akademie und der Camerata Salzburg werden eindrucksvolle Ensembles in Dresden zu Gast sein, die auch umreißen, welch reicher Quell diese Musiklandschaft speist.
Ganz ausdrücklich sollen aber auch die düstersten Schattenseiten dieser „Herzens“-Region beleuchtet werden, die unter anderem ja von uralten jüdischen Traditionen mitgeprägt worden war und im 20. Jahrhundert mit der höchst unchristlichen Kulturbarbarei aus Nazi-Deutschland konfrontiert worden ist. So wagen die Musikfestspiele erstmals einen mutigen Ausflug ins südöstlich von Dresden gelegene Terezín und geben im einstigen „Vorzeigelager Theresienstadt“ ein Konzert mit dem Pavel Haas Quartett, um an verfemte und ermordete Komponisten zu erinnern. Allein dafür gebührt den Machern großer Respekt sowie der zahlreiche Zuspruch eines aufgeschlossenen Publikums.
Dresden als Festspielort von europäischem Rang?
Mit erheblichem Anspruch und geschickter Vermarktung will der Jan Vogler die 1978 gegründeten und seitdem jährlich stattfindenden Festspiele in die erste Reihe europäischer Festivals führen. Der 47-jährige Cellist, der beim Pressegespräch nicht an Kritik in Richtig Landeshauptstadt Dresden und Freistaat Sachsen sparte, machte beide für eine Unterfinanzierung dieser Einrichtung verantwortlich und verwies darauf, dass vergleichbare Klassik-Spektakel ein Mehrfaches an Subventionen bekämen. Gerade jetzt stünden jedoch die Zeichen günstig, Dresden als international anerkannten Festspielort zu etablieren, so Vogler. Nicht zuletzt seien die in den Vorjahren verzeichneten Rekordeinnahmen aus Kartenverkäufen (2009 rund 600.000 Euro, 2010 etwa 700.000 Euro) ein gutes Indiz für Akzeptanz und Zuspruch.
Diesem Publikumsbonus wird er durch ein stringentes Programm gerecht, das sowohl auf künstlerische Glanzpunkte und Hochpreispolitik als auch auf breitenwirksame Erlebniskultur im besten Sinne des Wortes setzt. Selbstredend sind die namhaften Dresdner Ensembles – Sächsische Staatskapelle, Dresdner Philharmonie, Kreuzchor – traditionsgemäß mit von der Partie. An neuen Orten kommen aber auch eher unbekannte Namen hinzu, um jugendliches Publikum zu faszinieren und zum Besuch in Familie einzuladen. Der Schlagwerker Martin Grubinger etwa debütiert im sogenannten Eventwerk, in der Dresdner Messe sorgen das MDR Sinfonieorchester und die Baltic Youth Philharmonic unter Kristjan Järvi mit Sinfonischem und Kammermusikalischem à la carte für mehr als fünfstündige Unterhaltung. Als gesonderte Jugendarbeit wird dort zudem das erstmals vor zwei Jahren gestartete Projekt „Let's Dance“ neu aufgelegt und wieder gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern entwickelt. Diesmal ist das Curtis Symphony Orchestra als „Orchestra in Residence“ mit von der Partie, das – gemeinsam mit Jan Vogler am Cello und dem Geiger Ray Chen – bereits das Eröffnungskonzert der Musikfestspiele in der Frauenkirche gestalten und später ein viereinhalbstündiges Kammermusik-Marathon in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen absolvieren wird.
Novum mit Tradition: Dresdner Festspielorchester
Ein völliges Novum knüpft an älteste musikalische Traditionen von Dresden an und beinhaltet die Gründung des Dresdner Festspielorchesters. Namhafte europäische Barockmusiker um den italienischen Konzertmeister Giuliano Carmignola sollen darin mitwirken und die historische Aufführungspraxis stärken, der Dirigent Ivor Bolton wurde für die musikalische Leitung dieser Orchester-Premiere gewonnen.
Für Aufmerksamkeit lange vor dem Festspieljahrgang 2012 sorgen bereits am ersten September-Wochenende Gastkonzerte des Philadelphia Orchestra unter Charles Dutoit und des Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti. Die beiden Vertreter der „Big Five“ hat Vogler mit einigem Verhandlungsgeschick nach Sachsen gelockt; ein mehr als deutlicher Hinweis darauf, wohin der in aller Welt als Cellist anerkannte Intendant die Musikfestspiele steuern will.
15. Mai bis 3. Juni