Zeiten des Aufruhrs und des Umschwungs - im Festspielhaus Hellerau finden große Veränderungen statt. Eine neue Künstlerische Leitung und ein neu zusammen gesetztes Team haben die Verantwortung in Hellerau übernommen und werden dem Ort ein neues Profil geben. Zeitgenössischer Tanz und zeitgenössische Musik werden im Fokus des Programms stehen. Dieter Jaenicke präsentierte seine künstlerischen Vorhaben für das Europäische Zentrum der Künste in Hellerau.
Mit deutlicher Selbstbehauptung und nicht ganz frei von Aufschneiderei hat Udo Zimmermann, Gründungsdirektor des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik, vor wenigen Jahren das Europäische Zentrum der Künste ausgerufen und somit aus lokaler Idee eine zumindest kontinentale Vision formiert. Da war das kleine und feine Institut vom Stadtteil Weißer Hirsch in den Vorort Hellerau gezogen, in die einstige Gartenstadt, deren vor nunmehr einhundert Jahren eröffnetes Festspielhaus Zimmermann zu einem „Grünen Hügel der Moderne“ aufblühen lassen wollte. Doch erst kam der Feinstaub, das seit Jahrzehnten von wechselndem Militär missbrauchte Areal Heinrich Tessenows musste gründlich saniert werden. Und dann kam die Rente – das verordnete Aus für den Komponisten-Intendanten.
Sein von der Stadt bestellter Nachfolger, seit Jahresbeginn 2009 im Amt, stellte nun Anfang März sein künftiges Programm und den neuen Namen des Gesamtprojekts vor: „Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste Dresden“. Damit verweist Dieter Jaenicke auf seinen Anspruch, hier einen eng mit der sächsischen Landeshauptstadt verknüpften Hort der Gegenwartskunst zu etablieren. Das strahlende Motto dafür: „Hellerau leuchtet“. Und auch ein neues Logo steht dafür, das von öffentlichen Haltestellen bekannte „H“ nebst Festspielhaus-Signet im runden Kreis. Nur logisch, dass dieser Haltepunkt künftig für Hellerau zu stehen hat.
Die Bindungen des idyllischen Vororts an das so oft wie gern als vorgestrigen Traditionen verhaftet belächelte Dresden dokumentiert ein bisher nie dagewesener Schulterschluss der kommunalen Intendantenriege. Dem 1949 in Rostock geborenen und in Würzburg aufgewachsenen Jaenicke scheint es bereits während seines Landeanflugs zur neuen Position gelungen, kleingeistige Grabenkämpfe zu schlichten. Schon dieser wichtige Etappenerfolg berechtigt zu einigem Optimismus.
Die Kooperation zwischen Hellerau und der Forsythe Company war bereits vor Jahren auf Landesebene zwischen Hessen und Sachsen festgezurrt worden und wird selbstredend fortgesetzt. Dieter Jaenicke sieht das Europäische Zentrum aber auch als kontinentale Drehscheibe und will insbesondere den Zugang zur aktuellen Kunstentwicklung Osteuropas intensivieren. Internationalität ist für den Hellerau-Chef der nächsten fünf Jahre nicht neu, schliesslich hat der ausgebildete Soziologe und Theaterpädagoge erfolgreich an diversen europäischen und südamerikanischen Festivals gewirkt. Das so gewachsene Netzwerk mag für die jetzige Aufgabe gewiss von Vorteil sein. Lebendige Verbundenheit soll fortan freilich auch zwischen den Genres gepflegt werden. Unruhe ist an diesem Kunstort, laut Jaenicke einer der schönsten Räume Europas, also vorprogrammiert. Noch in den kommenden zwei Monaten sind hier Gastspiele namhafter Choreografen geplant: William Forsythe bringt „Clouds after Cranach“, Anne Teresa de Keersmaeker zeigt „Fase“ und Cia Marie Chouinard reanimiert „Le Sacre du Printemps“. An die Anfänge – eröffnet wurde das Festspielhaus mit Glucks „Orpheus und Eurydice“ – erinnert „Operation: Orfeo“ von Hotel Pro Forma. Interdisziplinär geht es weiter, wenn etwa Gesprächsrunden und Schulfeste, Konzerte und Ausstellungen arrangiert werden. Weitergehende Vorhaben sind derzeit noch nicht benannt, denn Hellerau bleibt auch in nächster Zukunft noch Baustelle. An der Fassade wird wohl bis 2011 gewerkelt, im Inneren soll das Haus schon im kommenden Sommer fertiggestellt sein.
Statt „Tanz in den Mai“ gibt es übrigens „Bed & Breakfast“, eine Übernachtungsmöglichkeit mit Schlaflied und köstlichem Frühstück. Der neue Intendant und sein dank finanzieller Aufstockung gewachsenes Team sind gewiss nicht arm an Ideen. Gut möglich, dass diese nicht zuletzt dank der geplanten Kooperationen mit Semperoper, Staatsschauspiel, Musik- und Kunsthochschulen, diversen Galerien und Ensembles auf fruchtbaren Boden und gute Vermittlung stossen. Nach der künstlerischen „Visitenkarte“ für die ersten zwei Monate Spielzeit, die zumindest jedes Wochenende Publikum nach Hellerau ziehen soll, will Dieter Jaenicke dann den weiteren Ausblick bekanntgeben.
Inzwischen möge es leuchten und klingen vor Ort!