Von vergleichsweise großem medialen Interesse begleitet (das rbb Kulturradio übertrug live, ARTE zeitversetzt) ist die Berliner Staatsoper in ihre erste Saison im Schillertheater gestartet. Jens Joneleits Oper „Metanoia – Über das Denken hinaus“ hinterließ dabei den handwerklichen Qualitäten der Partitur zum Trotz einen schwachen Eindruck.
Sechs Personen suchen eine Oper. Wenn überhaupt. So lässt sich das, was in den 70 pausenlosen, in fünf „Zustände“ gegliederten Minuten nicht passiert, vielleicht umschreiben. Wobei Komponist Jens Joneleit – zusammen mit Jens Schroth sein eigener Librettist – Wert darauf legt, gar keine Oper im herkömmlichen Sinn geschrieben zu haben. Kein Wunder, basiert sein Libretto doch auf einer Vorlage René Polleschs, der seinerseits Teile aus Nietzsches „Geburt der Tragödie“ im Sinne Heiner Müllers „überschrieben“, also mit eigenen Assoziationen durchsetzt, befragt und fragmentiert hat.
Dieses Verfahren wiederum ging auf eine Idee des neuen Staatsopern-Intendanten Jürgen Flimm zurück, der damit das Vakuum auszufüllen versuchte, das nach dem Tod Christoph Schlingensiefs entstanden war. Und obwohl niemand genau weiß, was der posthum in den Feuilleton-Olymp erhobene Regisseur aus den losen Fäden dieser Produktion gemacht hätte, blieb dieses Vakuum den ganzen Abend über spürbar.
Joneleit und Schroth ist es jedenfalls nicht gelungen, einen auch nur in Ansätzen theatral wirksamen, musikalisch herausfordernden oder – so der ambitionierte Anspruch – Erfahrungsräume öffnenden Text zusammenzustellen. Mal selbstironisch, über weite Strecken aber mit heiligem Ernst sondern die keine bestimmten Charaktere darstellenden Sänger eine Mischung aus philosophischer Selbstfindung und Alltagsbewältigung ab, die vage mit Nietzsches Dichotomie des dionysischen und appolinischen Prinzips zu tun hat. Schauspieler Martin Wuttke darf seine Sentenzen gar im Gewande eines antiken Denkers aufsagen.
Das Bühnenarrangement, auf das sich das Produktionsteam im Kollektiv – auf einen Ersatz für Schlingensief wurde verzichtet – anscheinend im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners geeinigt hattte, ist rudimentär. Den sechs Personen, die eingangs aus dem in Ganzkörperkondomen uniformierten Chor heraustreten, bleibt angesichts der Vorlage auch gar nichts anderes übrig, als mit geringen Positionswechseln (auch ein Abstecher in den Zuschauerraum darf nicht fehlen) ihren Part abzuliefern. Die obligatorischen Videozuspielungen zeigen einen Schwarz-Weiß-Film, dessen Bezug zum Stück unklar bleibt.
Viel Zeit also, Jens Joneleits Partitur zu lauschen. Dem Komponisten, der zunächst abseits des üblichen deutschen Neue-Musik-Betriebs seinen Weg machte, hätte man durchaus zutrauen können, anknüpfend an die eindringliche Untergrundbeschallung in seiner Biennale-Oper „Piero“, auch das operntauglich umgebaute Schillertheater als neuartigen Klangraum zu nutzen. Stattdessen hat er es aber offenbar vorgezogen, eine staatskapellenkompatible, eher konventionell in Orchestergruppen und -farben gedachte Partitur abzuliefern. Das ist im Wechsel der Tonfälle – fünf Klang-Zuständen – und in den Zwischenspielen handwerklich untadelig gemacht. Die Balance mit den in fast Berg’scher Opulenz (Annette Dasch mit ordentlicher Leistung) und Prägnanz (Graham Clark schien sich an das Geschwafel des Hauptmanns aus der ersten Wozzeck-Szene zu erinnern) geführten Stimmen ist jederzeit gewährleistet.
Nur: ein existenzielles Mitteilungsbedürfnis strahlt diese Musik zu keinem Zeitpunkt aus, woran auch die sparsamen elektronischen Interventionen nichts ändern. Ihre enttäuschend wenigen Kanten schien Daniel Barenboim noch dazu mit großzügiger Geste abzuschleifen, die Staatskapelle dankte es ihm mit fast süffiger Routine.
Am Ende fällt schließlich doch noch Licht auf jenen Teil der Szenerie, der bis dahin nur schemenhaft erkennbar war: Sichtbar werden jene Bühnenbildelemente, die noch auf Schlingensiefs Ideen zurückgehen: riesige, naiv pappmachierte Eingeweide geben eine Ahnung davon, was da hätte werden können.
So aber reagierte das achselzuckend applaudierende Publikum ähnlich lustlos, wie Intendant Jürgen Flimm vor der Übertragung ins ARTE-Mikrofon gebrummelt hatte.
Weitere Aufführungen 6./8./10./12./16. Oktober