Hauptbild
Planschende Schwestern: Katja Sieder und Astrid Meyerfeldt in Illés' „Weißer Fürstin“. Foto: Münchener Biennale/Regine Koerner
Planschende Schwestern: Katja Sieder und Astrid Meyerfeldt in Illés' „Weißer Fürstin“. Foto: Münchener Biennale/Regine Koerner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Emphatischer Zirkus: „Die weiße Fürstin“ von Márton Illés bei der Münchener Biennale

Publikationsdatum
Body

Kein Wunder, dass diesen Boten keiner ernst nimmt. Ein stotternder UPS-Fahrer ist’s, der von „fremdem Tod“ mehr faselt als kündet. Eine weitere Meldung löst da mehr aus: „Der Fürst ist fort.“ Zum ersten mal seit dem Hochzeitsfest vor elf Jahren. Ach Gottchen.

Im weißen Schloss bricht fortan betroffene Orientierungslosigkeit aus. Die weiße Fürstin und ihre Schwester fallen in erotischem Taumel übereinander her („Ich habe oft gespürt, dass du mir näher bist, ganz nah.“). Erst recht, nachdem der Bote mit der düsteren Kunde des Beginns wiederkehrt, sich diesmal aber die pestbefallene Haut vom Leib reißt.

Man kann Rilkes dramatisches Gedicht als symbolistischen Schwulst der Ironie und dem Slapstick preisgeben, wie es über weite Strecken Regisseurin Andrea Moses getan hat. Auf der Bühne des Orff-Saales im Münchener Gasteig tummelt sich ein rechtschaffen überdrehtes Personal, das zwischendurch auch mal in den farbig leuchtenden Plexiglas-Bassins planscht und dazu den mitunter arg verschwurbelten Text spricht, rhythmisch rezitiert oder singt. Das exquisite Ensemble, angeführt von der wunderbar ambivalenten Astrid Meyerfeldt in der Sprechrolle der Fürstin, hält das die kurzweilige Stunde lang, die das Stück dauert, perfekt in der Schwebe zwischen Drolligkeit und Totalabsturz.

Man kann der Vorlage aber auch in seine gänzlich undramatische Traumverlorenheit folgen und den Sprachfluss durch fragmentierte Wiederholungen so lange aufstauen, bis nur noch surreale Rinnsale übrig bleiben. Komponist Martón Illés verfolgt diesen Ansatz konsequent, indem er die wenigen Personen in mehrere Sänger und Schauspielerinnen vervielfacht, ihre Rollen somit in eine polyphone Sprech- und Singmischung aufspreizt. Bis auf eine spätromantisch vom Klavierlied ausgehende Phase, die sich zu beinahe Strauss’scher Ensembleopulenz auswächst, geht Illés dabei gänzlich ironiefrei vor.

Die langen gesprochenen Passagen verbeugen sich ehrfürchtig vor Rilkes Ergüssen, denen die Musik dann aber auch wieder den Boden zu entziehen scheint. Das gut 20-köpfige, mit auf der Bühne sitzende Ensemble (kompetente, hellwache Kräfte des Philharmonischen Orchesters Kiel unter der Leitung von Georg Fritzsch) durchpulst – auch von der Satzstruktur her deutlich in eine Streicher- und eine Bläsergruppe aufgeteilt – mit seinen weitgehend kammermusikalischen Mikrostrukturen den Textraum meist sparsam, aber mit sehr klar ausformulierten Gesten, dir sich nur selten einer unmittelbar musikdramatischen Funktion unterordnen.

So laufen die musikalischen Strukturen, deren Autonomie von der semikonzertanten Bühnenkonstellation unterstrichen wird (die Sängerinnen ziehen sich bisweilen hinter Notenpulte zurück), und Andreas Moses’ distanzierender Bühnenzirkus weitgehend nebeneinander her.

Wo beide Ebenen, und damit die offenbar unterschiedlichen Haltungen Rilke gegenüber, aufeinander zulaufen, entsteht die einzige, musiktheatralisch wirklich zwingende Szene: Einen fast entrückten, zwischen Schaben und Pizzicato angesiedelten Streicherzustand nehmen die Holzbläser zunächst diffus murmelnd auf und schaukeln sich allmählich in schneidende Höhen hoch. Gleichzeitig hat der kranke Bote unter der planlosen Schlossgesellschaft hektisches Treiben ausgelöst: Die Fürstin stürmt, nicht ohne Schampus-Flasche, die Treppe zu ihren Gemächern hoch, die Angestellten streifen Schutzanzüge über, das höfische Geplänkel wird zusehends von hysterischem Irrsinn überrollt.

Der musikalisch wiederum zu emphatisch geratene Finalhöhepunkt – ein Schiff am Horizont, vielleicht der Fürst, gleichzeitig wird der leblose Körper des Boten heruntergetragen – mit anschließendem, bedeutungsschwangeren Verebben („Ich will in die Becken dir Balsam gießen…“) ließ an der Triftigkeit von Illés musikdramatischem Erstling dann aber wieder einige Zweifel aufkommen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!