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Laura Aikin als Marilyn Monroe in Amsterdam. Foto: Hans van den Bogaard
Laura Aikin als Marilyn Monroe in Amsterdam. Foto: Hans van den Bogaard
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Entschuldigte Hemmungslosigkeit: Robin de Raaffs Oper „Waiting for Miss Monroe” in Amsterdam

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Die erste Oper des 1968 in Breda geborenen Robin de Raaff wurde 2004 in Amsterdam uraufgeführt – eine Künstler-Oper, gewidmet dem Tenor Anton Raaff, für den Mozart einst die Titelpartie seiner opera seria „Idomeneo” geschrieben hatte.

Auch beim zweitem Bühnenwerk dieses Komponisten handelt es sich um ein Auftragswerk von de nederlandse opera und eine Künstler(innen)oper: Es ist eine Hommage à Marilyn Monroe (1926–1962) der es nicht nur um zentrale Momente der Biographie ging, sondern um eine Annäherung an die Persönlichkeitsstruktur in drei Charakter-Skizzen – also um das Subkutane, das als das „Eigentliche” an die Oberfläche geholt und mit Musik zum Klingen gebracht werden soll. Die Uraufführung im Rahmen des Holland Festivals fand in der Stadsschouwburg Amsterdam statt, bestritten von den Kräften der Niederländischen Nationaloper, dem Netherlands Chamber Orchestra, dem langjährigen Dirigenten der Bochumer Sinfoniker, Steven Sloane.

„Some like it hot“ – der Titel der flimmernden Komödie, die sie weltberühmt machte, sollte tunlichst nicht als Motto über eine Stilisierung ihres Lebens gestellt werden; eher schon „Nobody is perfect“: Norma Jean Mortensen, 1926 geboren in Los Angeles, fing als Fotomodell an und machte eine steile Karriere. Konträr zu den Erscheinungsbildern, die Marilyn Monroe in Filmen abgab, war sie wohl eine von Lebensängsten besetzte Frau, zögerlich und fast immer zu spät dran aus tief sitzender Furcht. Was die zunehmend von Alkohol und Medikamenten abhängige Schauspielerin und Dichterin wirklich fühlte und dachte, wurde von ihr einem Tonbandgerät anvertraut – und nur diesem. Der fünfzigste Todestag des ‚Idols’ der 50er-Jahre gab den Anstoß für die „Charakterstudie“ mit Musik, in der es die Protagonisten dann doch immer wieder recht heiß mögen.

Janine Brogt, die Librettistin, griff gleich zum Auftakt mitten ins volle und zugleich leere Schauspielerinnenleben, der Komponist Robin de Raaff in die Arsenale der elaborierten Kino-Musik: Im Hollywood-Studio von Mr. Fox wartet man auf Miss Monroe, die aus noch unbekannten Gründen vom pünktlichen Erscheinen am Set abgehalten wird. Dann sieht und hört man die sensible Primadonna bei einem Foto-Shooting vor einem Brunnen und Pflanzenrabatten als Botticellische Venus posieren. Laura Aikin beglaubigt dies als bestens geeignete Sängerdarstellerin, dann die Arbeitshemmungen beim anschließenden Drehen einer intensiven Szene mit dem wohl dressierten Hund Yentl.

Für Laura Aikin, die dem Aussehen der Ausnahmeschauspielerin recht nahe kommt, wurde von de Raaff eine vielgestaltige Titelpartie komponiert: Sie stützt sich auf Parlando wie auf große Kantilene, Geplapper und Geklapper im Orchester, auf ruhige herbe Klangflächen und freundliche Turbulenz. Treffsicher wurde das legendäre „Happy Birthday“ zum Präsidentengeburtstag verkürzt und travestiert. Gegeneinander abgesetzte Klangfiguren kommentieren die Höhen und Tiefen der biographisch verbürgten Seelenzustände: Naive diatonische Motive wechseln mit großer Sprunghaftigkeit. Momente moderner stimmartistischer Virtuosität würzen den Tonsatz ebenso wie barocke Kadenzfloskeln, kurzes Aufflackern des Triumphierens und längere Lamento-Passagen.

Der zweite Teil beobachtet und belauscht Marilyn in ihrer Garderobe: Die Suchtproblemen der Primadonna treten ungeschminkt zu Tage, auch: wie sehr sie Spielball von Männerinteressen war. Realistische Szenen am Schreibtisch und auf der Besetzungscouch im Büro des Produzenten Fox, den Dale Duesing mit strapazierter Stimme als zweischneidige Vaterfigur pointiert, alternieren mit surrealen Szenen, in denen der Vater oder auch Clark Gable, der Ex-Ehemann und insbesondere die Gebrüder Kennedy, Präsident und Justizminister, alles andere als vorteilhaft abschneiden – John Tessier als Heldentenor John F. und Daniel Belcher als Robert F.K. profilieren sich als geile Wichte ebenso apart wie als Staatsmänner mit Arroganz und Zynismus.

Brogt und de Raaff haben mit bemerkenswertem handwerklichen Geschick eine neue Opéra comique vorgelegt, die nach einer gewissen anfänglichen Zähigkeit Fahrt aufnimmt, musikalische Intensität und dramatische Kammerspielqualitäten entwickelt. Die junge Regisseurin Lotte de Beer erzählt die Episoden aus dem Leben der Marilyn M. getreu in einer flexiblen Kulisse aus dem Geist der frühen 60er-Jahre, von dessen nostalgischer Anmutung das Projekt profitiert.

Insbesondere dort, wo die gute alte Boulevard-Komödie noch einmal herbeizitiert wird. Hätte Marilyn sparsamer mit sich umgehen können und müssen? Die Frage ist müßig, da sie sich für das Leben am Limit entschied, damit und seinen inneren wie äußeren Konsequenzen in die Isolation geriet und Paula, ihre Dramaturgin, irgendwann als Retterin aus den Nöten des Exzesses nicht zu Hilfe eilte – Helena Rasker wirft für die Partie dieser Vertrauten übrigens ihre warmherzige Altstimme in überzeugender Weise in die Waagschale. Zu den musikalischen Glanzerscheinungen gehört schließlich auch der Auftritt der aus Marilyns Bett auftauchenden Hendrickje Van Kerckhove als junge Norma – als Erinnerung an die erste Blüte des Starlets und als Hinweis auf einen ewigen Kreislauf: Aufstieg oder Fall – wer zahlt die Spesen?

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