Der internationale Ernst von Siemens Musikpreis geht 2019 an die britische Komponistin Rebecca Saunders. Die Auszeichnung für ein Leben im Dienste der Musik ist mit 250.000 Euro dotiert. Die Preisverleihung findet am 7. Juni 2019 im Münchner Prinzregententheater statt. Insgesamt vergibt die Ernst von Siemens Musikstiftung über 3,5 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern.
Die 1967 in London geborene Komponistin Rebecca Saunders beschrieb ihre Arbeit einmal als einen Versuch, Klänge aus einer Oberfläche scheinbarer Stille zu lösen und zu formen. Wie gut ihr das gelingt, davon legen über 60 bemerkenswerte Werke nahezu aller Gattungen, die eindrucksvolle internationale Liste an Musikern und Klangkörpern, mit denen sie zusammenarbeitet, sowie die bedeutenden Preise und Auszeichnungen beredtes Zeugnis ab. Seit den ersten Erkundungen einzelner Klänge hat sie mit jedem Stück einen weiteren Schritt gewagt und beispiellos ihre eigene Klangsprache weiterentwickelt. Das Kuratorium der Ernst von Siemens Musikstiftung zeichnet Rebecca Saunders für ein kompositorisches Werk aus, das durch seine produktive Widersprüchlichkeit, die Vielfalt klangfarblicher Nuancen und eine unverwechselbare Klangsprache ‘sichtbare’ und bedeutende Spuren in der Musikgeschichte der Gegenwart hinterlässt.
Saunders wuchs in einem sehr musikalischen Umfeld auf. Bereits die Großeltern waren Organist und Pianistin, beide Eltern waren Pianisten, es gab vier Klaviere im Haus, mit denen klassische Musik und auch Jazz gespielt wurde. Sie selbst spielte Violine, insbesondere Werke von Johann Sebastian Bach, und sagt, „Musik war immer und überall gegenwärtig und ich habe als Kind viel komponiert." Im Rahmen eines USA-Aufenthalts hörte sie als junge Komponistin erstmals Musik von Morton Feldman, von der sie lernte, dass in der Musik ein anderer Sinn für Zeit und Raum möglich ist. Und dass auch in einem Detail, einem Fragment, eine ganze Welt verborgen liegen kann. Ein Konzert mit Wolfgang Rihms Chiffren-Zyklus, dessen Musik sie durch ihre tiefe Sinnlichkeit und lebensbejahende Kraft zutiefst beeindruckte, führte sie zum Studium nach Karlsruhe und ebnete den Weg zur eigenständigen Komponistenpersönlichkeit. Durch Rihm lernte sie auch die Musik Galina Ustwolskayas kennen, deren Klarheit und Schmucklosigkeit, Leidenschaft und Obsession, aber auch Wut und Aggressivität sie vom ersten Moment an elektrisierten und faszinierten, und die auch ihr Werk fortan nachhaltig prägte.
Beinahe obsessiv hat sich Saunders mit den Schriften Samuel Becketts befasst: „Ich finde seine Werke hypnotisierend und äußerst inspirierend – die Vielfalt der Bedeutungen von Stille, die quasi Wiederholungen, die immer zum selben Ausgangspunkt wiederkehrenden Wortlabyrinthe. Und dann gibt es eine Art von Stille, die Ungewissheit, das Warten – Becketts Unwort, das Nichtgesagte, das Schwebende zwischen den Worten." Saunders geht es aber nicht darum seine Texte zu vertonen. Es geht ihr um eine neue Rahmung, ein neues Umfeld. Becketts „außergewöhnlich reduzierten, spröden und zutiefst ausdrucksstarken, zerbrechlichen und zugleich brutalen Wort- und Sprachschatz" (Saunders) findet in ihrer Musik eine Entsprechung. Mit Akribie und einem fast wissenschaftlichen Duktus des Erforschens und Sezierens von Klang, die zentral in ihrem Werk sind, aber auch mit einer unvergleichlichen Dynamik und ungeheuren Energie ringt Saunders ihre Musik der Stille immer wieder aufs Neue regelrecht ab. „Die Stimme erzeugt einen Schimmer. Das Dunkel lichtet sich, wenn sie spricht. Wird schwärzer, wenn sie verebbt. Ist wieder ganz da, wenn sie endet.“ [Samuel Beckett: Company]
Als Kind lag Saunders manchmal unter dem Flügel während ihr Vater spielte und badete in den Resonanzen. So war das Hören für Saunders von Anfang an eine körperliche Erfahrung. Die intime physische Beziehung zwischen Musiker und Instrument, Klang und Hörer, Nähe und Ferne, das Räumliche, ist für sie von großer Bedeutung. In ihren Werken spielt daher die Physis der Interpreten oft eine wesentliche Rolle. Nicht selten resultiert eine Komposition aus der Auseinandersetzung mit einer körperlichen Bewegung, die den Klang erzeugt. Das beginnt bei den Vorarbeiten zu den Werken, wenn sie eng mit Interpreten zusammenarbeitet, um Klangmaterial zu erforschen und deren persönlicher Art näher zu kommen. Aber es geht, wie Saunders betont, auch darum, die „schiere Körperlichkeit ihres Spielens“ zu erleben. Diese besondere Korrelation zwischen der Bewegung der Musiker und dem erlebten Klang von Saunders Musik wird insbesondere bei dem niederländischen Trompeter Marco Blaauw offenbar, für den die Stücke Blaauw, Alba, White und Neither entstanden sind. Wenn die saunderssche Musik „klingt, wie sie sich spielt“ (Robert Adlington), freuen wir uns darauf, dass ebendieser in seiner Laudatio – zum ersten Mal in der Geschichte des Ernst von Siemens Musikpreises wird ein kompositorisches Lebenswerk durch einen Interpreten gewürdigt – mit seinen Worten spielend Saunders zum Klingen bringt und uns bewegt.
Preisverleihung am 7. Juni 2019 um 19.30 Uhr im Prinzregententheater München
Der Ernst von Siemens Musikpreis wird Rebecca Saunders am 7. Juni 2019 im Münchner Prinzregententheater bei einem musikalischen Festakt verliehen. Peter Ruzicka, Vorsitzender des Stiftungsrates der Ernst von Siemens Musikstiftung, wird die hohe Auszeichnung überreichen. Das Ensemble Musikfabrik, mit dem Saunders seit vielen Jahren eng zusammenarbeitet, spielt unter der Leitung von Enno Poppe Saunders‘ Stück Skin (2016) für Sopran und 13 Instrumente. Zudem verleiht die Ernst von Siemens Musikstiftung drei Förderpreise an junge, vielversprechende Komponisten. Die Preise werden durch den Vorsitzenden des Kuratoriums, Thomas Angyan, überreicht. Die Namen der Komponisten-Förderpreisträger veröffentlicht die Ernst von Siemens Musikstiftung Ende Februar.
Die Ernst von Siemens Musikstiftung vergibt erneut 3,5 Millionen Euro
Insgesamt vergibt die Stiftung 2019 rund 3,5 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern. Gefördert werden 2019 weltweit rund 120 Projekte im zeitgenössischen Musikbereich. Der größte Anteil der Förderung entfällt erneut auf Kompositionsaufträge. Zahlreiche Festivals, Konzerte, Kinder- und Jugendprojekte, Akademien sowie Publikationen werden zudem mit Fördergeldern bedacht. 250.000 Euro entfallen auf die Dotierung des Hauptpreises, und je 35.000 Euro sowie die Produktion einer Porträt-CD erhalten die Komponisten-Förderpreisträger. Außerdem stellt die Ernst von Siemens Musikstiftung zusätzliche Mittel für die Reihe räsonanz – Stifterkonzerte zur Verfügung. Die Konzerte im Rahmen dieser Kooperation mit dem LUCERNE FESTIVAL und der musica viva des Bayerischen Rundfunks finden am 2. Mai 2019 im Münchner Gasteig und am 12. September 2019 im KKL in Luzern statt. Es spielt das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Simon Rattle.