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In Leipzig angekommen - Chefregisseur Peter Konwitschny. Foto: ddp
Peter Konwitschny. Foto: nmz-archiv
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Es geht um den Funken des Lebens in uns allen… – Peter Konwitschny im Gespräch

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Peter Konwitschny gehört schon lange zu den Großen der Branche. Gegenwärtig inszeniert er an der Oper in Halle Händels „Julius Cäsar“ – den Hauptbeitrag der Oper zu den Händelfestspielen. Kurz nach der Premiere in Halle wird er an Dresdner Semperoper Meyerbeers „Hugenotten“ herausbringen. In Halle war Konwitschny von 1986 bis 1990 Hausregisseur am damaligen Landestheater und schon dort mit seinen Händel-Inszenierungen erfolgreich, bevor er mit seiner Karriere durchstartete und zu einem der gefragtesten deutschen Regisseure wurde. Allein, dass Konwitschny der Einladung in die Händelstadt gefolgt ist, wird in Halle als Erfolg von Intendant Florian Lutz in den heftigen Auseinandersetzungen um die Zukunft der TOOH Halle gewertet. Am Rande einer „Julius Cäsar-Probe“ sprach Joachim Lange mit Peter Konwitschny.

Joachim Lange: Schon der frühere Intendant Klaus Froboese sprach immer davon, dass er Sie wieder nach Halle einladen wollte … Wie kam es kam es jetzt dazu, dass Sie nach langer Zeit mal wieder Händel in Halle inszenieren?

Peter Konwitschny: Ich bin der Einladung von Florian Lutz gefolgt – und das gerne. Ich bin zwar nicht nostalgisch, aber ich habe sehr gute Erinnerungen an die Zeit damals. Und, dass man noch nicht zu alt dafür ist, wieder hier zu sein, das ist doch schön. Vielleicht komme ich ja auch nochmal her…

„Die Welt hat sich gar nicht verbessert“

Herr Konwitschny – wie relevant ist Oper heute noch?

Oper nimmt in der Bedeutung eher noch zu. Mit dem, was sie uns lehren kann. Nehmen Sie Händels „Julius Cäsar“: Da sieht man, wie sich idiotische Machthaber bekriegen und sich dabei sogar die Köpfe abschlagen. Und die normalen Menschen haben darunter zu leiden. Die Welt hat sich gar nicht verbessert. Sie hat sich eher noch verschlechtert, weil die Auswirkungen einer solchen Ausübung von Macht größer sind. Das sind die Geschichten in der Oper! Wenn Intendanten, Regisseure oder eine ganze Kulturpolitik das nicht wahrhaben wollen, dann ist das nicht die Schuld der Autoren. Es ist ein schlimmer Umgang mit dem kostbaren Material. Es macht uns doch nur klüger, wenn wir diese Konflikte zur Kenntnis nehmen und nicht nur zur billigen Unterhaltung missbrauchen.

Ruth Berghaus hat Oper als modernstes Genre bezeichnet…

Berghaus meinte das vollkommen zurecht. Für mich ist die Oper auch stärker als das Schauspiel, weil sie mit der Musik eine zusätzliche Dimension hat, die oft stärker ist als der Text. Wenn das gut inszeniert ist und gut dirigiert wird, dann ist das dem Film, dem Fernsehen sowieso, überlegen. Oper ist aber auch teuer und sehr viel näher an der Macht, insofern ist sie näher am Asozialen……..

Zur Frage der Werktreue

Oft wird polemisch Werktreue eingefordert. Was bedeutet Werktreue für Sie?

Für mich ist Werktreue, mich den Absichten der Autoren verpflichtet zu fühlen. Aber – und das ist das Entscheidende – nicht im Buchstaben-, sondern im Bedeutungssinne. Man muss das, was vor ein-, zwei- oder dreihundert Jahren mit einem bestimmten Wort oder einer musikalischen Form an Bedeutung übermittelt wurde, übersetzen. Wenn ich das wörtlich übernehme, dann bin ich zwar treu, aber es ist absurd, weil es niemand versteht.

Würde zur Werktreue nicht auch die Originalsprache gehören? Warum lassen beim Cäsar gegen den Trend Deutsch singen?

Wie sollte das nicht funktionieren? Das wird seit hunderten von Jahren gemacht. Telemann hat das gemacht. Für Mozarts Figaro gibt es Dutzende deutsche Übersetzungen, er selbst hat in vielen Fällen für Deutsch plädiert. 

Für mich ist es ganz einfach: es ist Unsinn einen Text vorzutragen, den das Publikum nicht versteht. Stellen Sie sich mal ein Schauspiel in einer fremden Sprache vor. Das wäre eine Veranstaltung, bei der man lernen kann, wie sinnlos das ist. 

Aber in der Oper wird das gemacht. Dafür gibt es viele Gründe und die sind alle asozial. Da wollen einfach Sänger ihre Rollen auf der ganzen Welt in der gleichen Sprache singen. Und Intendanten können, wenn einer ausfällt, von überall her einen Ersatz ranholen. Es ist eben alles auch eine Frage des Geldes. Außerdem: wenn hierzulande Italienisch gesungen wird, dann ist das auch kein Originalklang, sondern irgendein Sächsisch auf italienisch. Man muss mal mit Ausländern in so eine Vorstellung gehen, die lachen sich tot.

Theater ist zum Verstehen gemacht. Ich verstehe die Musik anders, wenn ich den Text verstehe. Ich kann nur sagen: mir steht es bis hier oben, wenn ich die Originalsprachler argumentieren höre….

Zumindest der Eindruck von der Probe gibt Ihnen recht….

Das ist eine neue Übersetzung von Werner Hinze. Es gibt ganz wenige gute Übersetzer. Er ist einer. Es freut mich, dass es für Sie normal klang…..

Es klingt witzig, wenn der junge Sextus „Mutti“ sagt.

Das ist nicht von Hinze, das ist von mir. Es liegt daran, dass wir das mit einem Kind machen und es wäre ziemlich albern, wenn der „Frau Mutter“ sagen würde. 

Machen Sie die „Hugenotten“ jetzt in Dresden auch in Deutsch? 

Am liebsten würde ich es so machen. Aber dort sind die Ablehner meiner Argumente stärker. Da kam sofort: es kommen viele Ausländer, wir haben einen internationalen Maßstab und all das. Ich könnte jetzt sagen, na gut, dann arbeite ich dort nicht. Aber in Dresden ist jetzt ein befreundeter Intendant – dann ist das schon ok. Obwohl ich das nicht wünschenswert finde…. In den Rezitativen ist der Witz besser zu verstehen, wenn man ihn hört, als wenn man das oben liest….

In Hamburg im „Titus“ habe ich die Arien italienisch und die Rezitative deutsch singen lassen. In Tokio beim „Freischütz“ sollte es eigentlich die deutschen Dialoge geben, also die japanischen Sänger sollten nicht nur deutsch singen, sondern auch in den Dialogen deutsch sprechen. Aber das ist ziemlich albern. Ich konnte durchsetzen, dass die Japaner die Dialoge in ihrer eigenen Sprache sprachen. Die Freunde der toten Oper fanden das nicht gut, aber das normale Publikum war begeistert.

„Die Freunde der toten Oper fanden das nicht gut“

Bei „Werktreue“ geht es auch um den historischen Kontext, also um die Ausstattung. Ist der Eindruck richtig, dass Sie zunehmend auf einen sinnlichen szenischen Witz und auf eine Verknappung (wie in Schoecks „Penthesilea“ in Bonn) setzen? 

Es ist grundsätzlich meine Ansicht, dass eine Opulenz a la Zeffirelli die Konzentration der Zuschauer auf unwesentliche Dinge lenkt. Ich fand von jeher richtig, dass man sich auf das konzentriert, was wichtig ist…..

Na ja – Ihre Macbeth-Hexenküche war schon opulent… 

Das war eben eine Hexenküche. Dieser Spaß hätte nicht funktioniert, wenn man dabei karg geblieben wäre. „Penthesilea“ halte ich für eine meiner wichtigsten Inszenierungen: Nur zwei Flügel auf der Spielfläche, die die Phantasie beflügeln und plötzlich alles mögliche sein können. Das ist nicht nur Reduktion, damit zwinge ich den Zuschauer, mit seiner Phantasie einzusteigen….

„Die Schwelle der Dumpfheit durchbrechen …“

Sie habe jetzt in Leipzig eine Brecht-Professur. Zielen Sie in Ihren Inszenierungen auf provozierte Erkenntnis durch Verfremdung oder auf Wirkung durch sinnliches Spiel und Empathie? Oder auf beides?

Das sind die beiden Ebenen: Verfremden, um zu blockieren, dass das normale, ewig gestrige Verständnismuster wieder abläuft. Das andere ist, die Schwelle der Dumpfheit zu durchbrechen: Also, dass jemand, egal was passiert, kühl bleibt und unbeteiligt. Man muss ihn aus der Reserve locken. All das geht mit der Musik. Mit der großen Sehnsucht nach etwas Besserem, wenn jemand stirbt zum Beispiel. 

Das ist dann keine Verfremdung, sondern das spricht eine Seite in uns an, die bei jedem existiert. Bei manch einem ist sie nur verschüttet. Das ist was Janacek im „Totenhaus“ meint, dass nämlich in jedem Menschen ein Funke Gottes ist, auch im Verbrecher. Man muss das nicht religiös verstehen, es geht um den Funken des Lebens in uns allen.

In Ihren Arbeiten gibt es nur gelegentlich mal ein Video – ist das eine bewusste Entscheidung?

Ich bin 1945 geboren – ich war also zehn, als der erste Fernseher kam. Heute wachsen die Menschen damit auf. Es ist ein ganz normales Mittel ihrer Welt. Ich will nicht sagen: Video ist falsch, aber ich brauche es nicht.   

Theater ist: wenn Leute, die auf der Bühne etwas zusammen produzieren, die Zuschauer das gleichzeitig rezipieren. Das ist ja das Unverwechselbare am Theater und deshalb funktioniert Oper auch im Fernsehen nicht wirklich.

„Ich will nicht sagen: Video ist falsch, aber ich brauche es nicht“

Sie sind als Regisseur für die Bühne zuständig – welches Gewicht hat die Musik für Sie? Haben Sie schon mal gegen die (oder unabhängig von der) Musik inszeniert? 

Das geht gar nicht. Den Gedanken hatte ich auch nie. Höchstens mal bei Uraufführungen – da muss man das meistens machen, weil die Musik noch gar nicht da ist….

Das habe ich auch schon gemacht, aber das ist ekelhaft und ich werde das nicht noch einmal machen. Man muss dann nämlich alles nur aus dem Text entwickeln. Die Musik hat aber auch einen erzählenden Aspekt, durch Musik werden Dimensionen bestimmt. Die kommunikative Ebene von Musik sollte man nicht unterschätzen. 

Wenn ich unterrichte, dann sage ich den Studenten: Ihr dürft nicht den Fehler machen und zuerst das Libretto lesen. Wenn Ihr das macht, dann lauft ihr Gefahr, dass die Musik euch nur wie die Bestätigung des Textes erscheint. Also: so weit das geht – den Text vergessen, die Musik hören und da Dinge spüren und erkennen, die etwas anderes liefern, als der Text. Dann inszeniert man das Ganze und nicht nur einen Teil.  

„Die kommunikative Ebene von Musik sollte man nicht unterschätzen“

Sie haben kürzlich angekündigt, dass Sie mal ein Buch schreiben wollen „Die Krux der Oper: der Dirigent“ – ich weiß, dass Sie Michael Hofstetter damit nicht meinen …

Ich habe schon erlebt, dass Dirigenten das ablehnen, was ich mache. Aber hinten rum. Es ist schwierig in der Oper, weil es zwei Chefs gibt. Im Schauspiel bleibt es bis zum Schluss der eine Regisseur. Für die Sänger in der Oper ist es fürchterlich, wenn der Dirigent und der Regisseur sich streiten. Da sagt der Regisseur, du musst jetzt das und das machen. Dann sagt der Dirigent: nein – du kommst mal schön nach vorn. Was soll der arme Sänger da machen?

Ich habe wirklich reaktionäre Dirigenten kennengelernt. Die wollen nur, dass in Originalsprache gesungen wird, dass jede Note gespielt, also kein Strich zugelassen wird usw.

Es gibt auch dumme Dirigenten. Wenn sie ein infantiles politisches Verständnis haben, dann haben sie auch keine Meinung zu einem Stück, verwechseln Musiktheater mit der Aufnahme einer CD usw. usw.

Es gibt aber zum Glück auch welche, die wissen, was der Unterschied zum Konzert ist. Wenn wir Theater machen, dann hat das Theater den Vorrang, weil wir eben die Bühne haben und ihren Gesetzen Rechnung tragen müssen. Die Musik ist nicht an erster Stelle. Mit denen macht es Spaß zu arbeiten. So wie jetzt hier mit Hofstetter.

„Julius Caesar in Ägypten“ heißt das Stück – also ein europäischer Eroberer in Nordafrika. Wie politisch und aktuell wird es denn? 

Ich fände ekelhaft, wenn jetzt Afrikaner und Staatsleute von heute auf der Bühne wären. Die finde ich eh so schlimm, dass ich sie gar nicht auf der Bühne sehen will. Außerdem würde das ja eine Verengung sein und die Zuschauer würden denken, es ginge um diesen konkreten Konflikt. Nein. Dieser ägyptische Ptolemäus und dieser römische Cäsar sind doch Figuren, die es überall gab und gibt. Manche treiben es nicht so toll – andere übertreiben es. Darum geht es. Der Zuschauer muss es für sich übersetzen können und sagen – na die Typen kenne ich auch!

Sie haben in letzter Zeit Stücke wie Halévys „Jüdin“, Schoecks „Penthesilea“, „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann inszeniert. Als nächstes kommen in Dresden die „Hugenotten“ von Meyerbeer heraus. Auf der anderen Seite aber auch eine Oscar Straus Operette „Der tapfere Soldat“. Und mit der „Csárdásfürstin“ hatte die Semperoper (nicht Sie) ja einen richtigen Skandal.

Was ist einfacher: das Leichte oder das Schwere?

Die Komik ist schwieriger. Die Struktur der Pointen ist anders. Es ist schneller der Fall, dass ein Witz nicht zündet, wenn zu dick aufgetragen wird, als wenn jemand Trauer dick aufträgt. Bei der Komik gibt es nach Freud die „Witzarbeit“. Der Hörende muss eine Kopfarbeit leisten, damit er den Witz versteht. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Arbeit vom Zuschauer gemacht wird dann funktioniert die Komik auch. Man muss sich ziemlich konzentrieren, wie man das macht … zumal Sänger, die in der Regel einen katastrophalen szenischen Unterricht haben. 

Keine faulen Kompromisse

Geplant waren die „Hugenotten“ als Koproduktion mit Paris Oper. Die fehlte ja bei Ihnen … Wieso ist das nichts geworden, sondern kommt jetzt „nur“ in Dresden?

Weil ein dummer Dirigent vom Intendanten gefördert wird. Es ist ein jüngerer Dirigent (so um die 40), den vor drei Jahren, als die Arbeit begann, kaum jemand kannte. Er meint, dass jede Note gespielt werden muss, weil es der Autor so wollte. Keine Ahnung von dialektischer Aneignung eines alten Gegenstandes. Aber der Intendant schätzt ihn und hat entschieden, dass es so gemacht wird, wie der Dirigent es will. Und das war dann nicht kompatibel. 

Wenn der Intendant so entscheidet, was will man da machen? Eigentlich wollte ja Stéphane Lissner eine Inszenierung von mir. Er wollte Don Carlos. Da habe ich gesagt, das hab‘ ich schon mal gemacht, das kann ich nicht anders machen. Die nächste Gelegenheit waren dann die Hugenotten. Intendant Peter Theiler und ich sind dreimal hingefahren. Da hieß es dann bald, was werden die Sänger sagen, wenn diese oder jene Arie nicht kommt … was wird das Publikum sagen?

Ich glaube, dass es mir nicht gut tut, wenn ich einen faulen Kompromiss mache, nur damit Paris dann auch noch auf meiner Liste steht. Sie haben aber Recht, es wäre schon schön gewesen…

Bayreuth steht da auch nicht drauf, aber Wagners Ring machen Sie trotzdem, diesmal komplett und in Dortmund.

Das ist es ja – ich arbeite in Halle, in Dortmund, in Bonn, in Linz usw. da habe ich mehr Spaß. Ich muss mal sagen, dieses Ich bin jetzt hier der große Sänger-Star – das kann mir gestohlen bleiben an den großen Häusern. Und dann auch noch ein Pultstar dazu! Die gehen zum Beispiel nie in die Kantine … das widert mich an. Die Atmosphäre wie sie hier herrscht, die finde ich menschlich, normal. Man freut sich zu arbeiten, man brüllt sich dabei auch mal an. Aber diese ganzen zwischengeschalteten Ebenen in den Riesenhäusern, über die ja auch Macht ausgeübt wird, das stößt mich ab. Hier ist es ein sehr gutes Arbeiten. Und alle waren klug genug, den Knatsch aus der Arbeit rauszuhalten (lacht)…  

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