Amerikanische Musicals in Europa, das sind entweder probate Klassiker des Genres oder Risiken, die erst noch entdeckt und ausprobiert werden müssen. An der Staatsoperette Dresden ist jetzt ein Stück herausgekommen, das beides zugleich ist und somit eine Menge an Widersprüchen in sich vereint. „Pardon My English“ hat aber noch mehr zu bieten: Es spielt sogar in Dresden! Viel Witz und sogar Aberwitz ist um die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte dieses nun erstmals in Europa gezeigten Musicals verwoben.
Die Uraufführung am Majestic Theatre New York fand am 20. Januar 1933 statt – zehn Tage vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland! Wieso der Plot ausgerechnet in Dresden angesiedelt ist, bleibt Künstlergeheimnis – die Gershwins haben diese Stadt höchstwahrscheinlich niemals besucht –, geradezu zwingend scheint aber ein deutscher Handlungsort zu sein. Denn im Text geht es um die Prohibition in den USA, die so offiziell wohl auch für die Buchautoren Herbert Fields (u.a. „Annie Get Your Gun“) und Morrie Ryskind (immerhin Drehbuchlieferant der Marx-Brothers) nicht angreifbar war. Also nahm man das fragwürdige Verbot und dessen obskure Umsetzung aufs Korn, indem das Ganze umgedreht und nach Deutschland verlegt wurde. Dort soll es mit der Gesetzestreue ja auch gewisse Eigenheiten geben …
Allerdings kippt das amerikanische Alkohol- in ein deutsches Limonadenverbot. Und nichts ist so begehrt wie das, was es nicht geben soll. Was in den USA ab 1919 die sogenannten Flüsterkneipen waren, ist hier ein Club heimlicher Saft- und Limo-Leidenschaft. Ein Wettkampf zwischen trinkfester Polizei und lasterhaften Gangstern! Hinzu kommen Jekyll und Hyde in der Person des Schwarzbrenners (wer brennt eigentlich Limonade?!) Golo Schmidt, der mit dem britischen Geheimagenten Michael Bramleigh identisch ist. Jeweils nach einem Schlag auf den Kopf wechselt er die Identität. Und auch die Frauen – als Bösewicht Golo ist er mit Barsängerin Gitta liiert, der brave Michael verliebt sich ausgerechnet in die Polizistentochter Frieda. Deren Vater ist Kommissar und ganz scharf auf Spitzbuben wie Golo. Der aber entführt Frieda ins nahe Bad Schandau und verguckt sich nun in dieser Rolle in dasselbe Mädchen. Weitere Kopfschläge setzen die Persönlichkeitsstörung noch mehrfach fort.
Dass alles Gesetz Ende Januar '33 ausser Kraft gesetzt wurde, konnte am Broadway freilich noch niemand ahnen. George Gershwins Bruder Ira schrieb die Liedtexte zu „Pardon My English“, alle Zutaten haben also gestimmt – doch der Erfolg blieb aus, die Produktion wurde ein Flop und schon nach 43 Aufführungen abgesetzt. Dabei schienen Arbeiten der Brüder Gershwin doch spätestens seit „Girl Crazy“ eine Art Selbstläufer zu sein! Sollte das braune Geschehen, das ja auch in Dresden rasch und willig mit umgesetzt wurde, den Zuspruch zu dieser Farce verhindert haben? Oder war es das Ende der Prohibition (per Gesetzt schon am 20. Februar, einen Monat nach der Premiere, de facto erst im Dezember 1933), das den Gegenstand dieses Musicals in Frage gestellt hat? Noch so ein Geheimnis …
Erst in den 1980er Jahren wurde das Material zu „Pardon My English“ wiederentdeckt, partiell dann auch auf CD eingespielt; nach der New Yorker Neuinszenierung am City Theatre (2004) brauchte es nun weitere fünf Jahre bis zur Erstaufführung an einem Haus in Europa.
Dass die Staatsoperette Dresden und ihr Intendant Wolfgang Schaller ein gesteigertes Interesse an diesem Stück hatten, überrascht angesichts des identischen Handlungs- und Aufführungsortes nicht. Wie eine solche Rarität aber behandelt und umgesetzt wurde, erstaunt umso mehr. Zumal es an einer witzigen Story im Gangstermilieu und an musikalisch spritzigen Einfällen nicht mangelt. Daraus eine Klamotte zu zaubern, die freilich beim Premierenpublikum bestens ankam und noch für die derbsten Kalauer heftig gefeiert worden ist, ist gewiss eine Kunst für sich.
Mit dieser Inszenierung wurde der aus Münster stammende Musicaldarsteller und -regisseur Holger Hauer angeblich während seiner Dresdner Arbeit an der Uraufführung von Marc Schubrings Musical „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ bedacht. Sehr viel Zeit blieb ihm folglich nicht, um eine eigene Sicht auf Gershwins Deutschland- und Dresden-Hieb zu entwickeln.
Als würde der authentische Ort nicht genügen, fasste Hauer gemeinsam mit seinem Ausstatter Christoph Weyers das Ganze in die Stadtfarben schwarz-gelb. Man könnte auch ein Anspielen auf diverse Koalitionen darin erblicken. Auf dem Rücken des Kommissars prangt obendrein das Stadtwappen, die Polizisten tragen zu ihrer Unbeholfenheit hitlereske Bärtchen, es wird gesächselt, was das Zeug hält, ein Raffael-Engel aus der Gemäldegalerie fällt ins Bühnenbild; alle Klischees sind versammelt.
Unter der Leitung von Chefdirigent Ernst Theis klapperte es zwischen Bühne und teils überfordert klingendem Orchester mitunter heftig. In den besten Momenten gelang etwas an jener Verve, wie sie bei Gershwin durchgängig zu erwarten sein müsste. Mit Christian Grygas als Golo/Michael hat ein stimmsicherer Jekyll & Hyde agiert, dem mitunter deutlichere Wesenzüge als nur das Umwenden des Sakkos (von schwarz-weiß zu schwarz-gelb) abverlangt werden sollten, um den Rollenwechsel glaubhaft zu machen. Ann Mandrella als Gitta gab eine Diva mit vor Selbstsicherheit strotzender Bühnenpräsenz, ihre Teilzeit-Rivalin Frieda wurde von Jeanette Oswald eine Spur zu grisettenhaft dargestellt. In Gerd Wiemer fand man die Karikatur eines wichtigtuerischen Beamten, seine Untergebenen waren Polizistentölpel aus dem Bilderbuch. Mit schönster Stimme und scheußlichstem Sächsisch machte sich die Hausangestellte Magda beliebt, dargestellt von Inka Lange.
Am Ende sind alle Protagonisten, nun ja, Gescheiterte. Ihren Trost mögen sie in Flaschen und/oder in der Liebe finden. Apropos Flaschen: Das gesamte Bühnenbild bestand aus hohlem Glas, sinnfällig von der Bar bis zum Gestühl – alles, alles Flaschen.
Nächste Aufführungen: 9., 10.12.2009, 14., 15.01., 27., 28.03., 18., 19.05.2010