Der ungarische Regisseur David Marton inszeniert „Rheingold“, Musiktheater nach Richard Wagner, am Staatsschauspiel Dresden. Wo an der Semperoper und auch sonst ein ganzes Orchester gebraucht wird, genügen Marton ein Cello, etwas Live-Elektronik und ein Klavier. Der Vorabend zum „Ring“ – ein Kammerspiel? Martons „Rheingold“ – eine Empfehlung!
Dresdens Semperoper hat es natürlich im Repertoire, nun ging auch das benachbarte Staatsschauspiel daran, nach Richard Wagners „Rheingold“ zu schürfen. Betonung auf „nach“, denn was das von Intendant Intendant Wilfried Schulz geleitete Sprechtheater da in Koproduktion mit Dresdner Musikfestspielen, Wiener Festwochen und Kunstfestwochen Herrenhausen zu Tage fördern ließ, ist tatsächlich eine Produktion nach Richard Wagner. Niemand müsse ein doppeltes „Rheingold“ an beiden Häusern fürchten, betonte Regisseur David Marton vorab. Ihm hat diese neue Zusammenarbeit mit dem Musiker und Arrangeur Jan Czajkowski sowie mit der Ausstatterin Alissa Kolbusch sichtlich Spaß gemacht. Von diesem äußerst kreativen Trio war in Dresden bereits „Lulu“ nach den Vorlagen von Frank Wedekind und Alban Berg als Übernahme aus Hannover zu sehen. In Berlin inszenierte der 1975 in Budapest geborene Marton unter anderen „Wozzeck“ nach Alban Berg. Seit seinem Studium an der Musikhochschule Hanns Eisler lebt und arbeitet der Künstler in der deutschen Hauptstadt. Man wird sich auf weitere „nach“-Adaptionen freuen dürfen.
„Mein Gold“
Im „Rheingold“, dem Vorabend zu Wagners „Ring“-Tetralogie, werde „im Prinzip alles anders als gewohnt“, verriet David Marton schon während der Proben. „Wir nehmen das Stück musikalisch aus dem pompösen Großentwurf heraus und gehen es quasi als Experiment an.“ Die Frage, wie Wagner klingen mag, wenn Lautstärke und Klangfülle bewusst reduziert werden, habe den ausgebildeten Pianisten und Dirigenten besonders beschäftigt. „Wir suchen nach Stimmen in menschlichen Dimensionen,“ grenzt Marton gegenüber Bayreuth-Tradition ab.
Das Wagnis Wagner wurde also auch musikalisch angegangen, nicht nur inszenatorisch. Neben zwei Profisängern waren Schauspieler, ein elektrisches Cello, diverse Live-Elektronik sowie ein Klavier zu hören. Das alles stand im herrlich unaufgeräumten Bühnenraum, den die in Hamburg ausgebildete Bühnenbildnerin Alissa Kolbusch offenbar ganz bewusst von der Natur ins Urbane verlegt hatte. Ihre enge Zusammenarbeit mit David Marton führte zu einer faszinierenden Entsprechung von klanglicher und bildlicher Wahrnehmung. Wotans Götterwelt war gleichermaßen modellhaft wie menschelnd, denn das Hohe Haus scheint längst auf den Hund gekommen zu sein. Walhall steht als Baustelle hinter einem verhangenen Gerüst. Ein Narr, wer noch an Weiterbau oder gar Fertigstellung glaubt.
Die Rheintöchter und der hier einmal gar nicht zwergenhafte Alberich techteln vor den Augen von Wotan und Fricka, auch Fasolt und Fafner dringen direkt in das Reich ein, das freilich nur mehr die Reste eines bungalowähnlichen Anwesens verkörpert. Im Obergeschoss kündet eine immense Bibliothek vom einstigen Anspruch, der Salon darunter beherbergt immerhin noch einen schwarzen Flügel und ganz zentral ein unübersehbares Aquarium. Das soll doch nicht etwa als Metapher für den Rhein…? Doch, soll es. Der Schatz ist dort verborgen, wo ihn niemand vermutet.
„Dein Gold“
Mehr spielerisch als wirklich frech oder gar anstößig wird in der auf etwa zwei Stunden Spieldauer reduzierten Oper das Modellhafte in einen bewussten Kontrast zu Wagnerschem Pathos gesetzt. Alles wirkt roh und unfertig, als solle damit die Zeitlosigkeit dieser verblichenen Macht manifestiert werden. Spätestens wenn die Bibliothek erst in Schieflage und dann in ein heilloses Desaster fällt, wird klar, dass hier nicht nur nicht mehr weitergebaut wird, sondern auch der Verfall unaufhaltbar ist.
Wagner als Werkstatt ist gleich zweifach assoziiert. Am linken Bühnenrand – vis-à-vis von Walhall – laboriert ein kauziger Tüftler an einem Elixier aus Gläsern und Röhren. Vor allem aber zaubert er Tonsalven hervor und entpuppt sich als Cellist Martin Schütz, der mit Jan Czajkowski am Flügel für den mal guten und mal schrägen Ton in Wotans Stube sorgt. Anweisungen dazu kommen von oben. Von ganz oben! Dort hat sich in einem Kämmerlein Christoph Homberger eingenistet, der wagnerhaft ein Mützchen trägt als als Dirigent sein Mütchen kühlt. Er beharrt auf 442 Hertz, schikaniert die singende und spielende Bande, greift auch mal zum Roten Telefon, um Direktiven an den Pianisten durchzugeben – bis auch er verzweifelt aufgeben muss und die Partitur Partitur sein lässt.
„Kein Gold“
Ehe der „Vorabend“ diesen klingenden Weltuntergang deutlich macht, sind die Turbulenzen in gierige Steigerungen gesetzt, geht es erst um körperliche Lüste, schlägt zwischendurch der Griff nach gutem Buch fehl, ufert es rheinisch um den Drang nach dem Golde. Wonach ihnen auch immer gelüstet, zurück bleiben Enttäuschte. Auf der Bühne! Im Parkett und auf den Rängen ist da längst die Überraschung gewichen, applaudieren überzeugte Neo-Wagnerianer auch jüngerer und jüngster Jahrgänge!
Zu Begeisterungsstürmen hingerissen hat etwa Freia (Mila Dargies) mit ihrer jugendlich betörenden Ausstrahlung in Stimme und Spiel. Wellgunde (Cathleen Baumann) lotet laszive Tiefen aus, Flosshilde (Yuka Yanagihara) besticht als ausgebildete Sängerin mit unüberhörbarem Kontrast. Wotan (Max Hopp) sehnt sich nach machtvoller Vergangenheit und spielt das Spiel des Verzweifelten, der an keine Zukunft mehr glaubt. Fricka (Olivia Grigolli) zupft immer mal wieder ein Zuviel an nackter Haut bei den Lustwesen weg, trägt selbst knöchellang Stoff und sauertöpfische Miene. Eigentlich kein Wunder, dass Wotan immer mal wieder beiseite schielt. Wenn da nur die bösen Riesen nicht wären, die ihren Tribut fordern. Mit Stefko Hanushevsky und Wolfgang Michalek sind auch die – hochstimmig! – tiefgründig gelungen. Der Alberich von Benjamin Höppner ist so gierig wie erfolglos, denn er zeigt nichts so sehr wie seine Gier. Und als Loge die androgyn wirkende Serbin Yelena Kuljic zu besetzen, eine Jazzerin, zeugt von hohem Verständnis für die Wirkung der Protagonisten.
„Rheingold“
„Dieses Unfertige ist ja schon eine besondere Qualität bei Wagner gewesen,“ erläutert der Regisseur sein Herangehen. „Es wird nur oft in einem geradezu Karajanschen Perfektionswahn unterdrückt.“ Was höchst selbstsicher klingt, schränkt Marton gleich wieder ein und gesteht trotz diverser Bühnenerfolge (Adaptionen von Webers „Freischütz“, Purcells „Fairy Queen“, Dessaus „Lukullus“, Mozarts „Giovanni“) seine Verlegenheit: „Jede Arbeit ist für mich ein Weg des Zweifels. Die Antwort steht immer erst am Ende einer Inszenierung, ob die Sinnsuche gelungen ist.“ Richard Wagner war für den in einer kunstsinnigen Familie aufgewachsenen Ungarn sehr früh ein wichtiger Bezugspunkt: „Wagner hat für mich extrem viel mit Pubertät zu tun, auch mit einer Art von Nachtrauern der Pubertät.“ Er erinnert sich, regelmäßig den „Fliegenden Holländer“ im Walkman gehört zu haben. Die Eltern prägten beizeiten den Sinn für optische Wahrnehmung, für den genauen Blick. Kein Wunder bei einem malenden Vater und einer Mutter, die als Literatin internationale Filme ins Ungarische übersetzte. Da wurde das Auge geschärft – Davids Bruder wurde ebenfalls Maler; er selbst hat die Seiten gewechselt und kam von der Musik zur Regie. Das Wort Seitenwechsel gefällt ihm allerdings gar nicht: „Die Hochschule sah das auch so, für mich war das stets ein problematischer Begriff. Während meiner Tätigkeit als Korrepetitor an der Berliner Schaubühne habe ich mich ins Theater verliebt, das kam so ungeplant, wie die Liebe nun mal ist.“
Seit 1996 lebt der Budapester Künstler permanent in Berlin und reibt sich zunehmend an Ungarn: „Ich spüre oft den Instinkt, wegschauen zu wollen, aber das ist nicht richtig.“ Was in den Medien des Westens ankomme, sei nur „die Spitze des Eisbergs – darunter entwickeln sich seit der sogenannten Wende Nationalismus und Rassismus in extremer Form, verbunden mit einer demagogischen und korrupten Politik.“ Tatsächlich empfinde er ähnlich wie in den 1980er Jahren, als es wider die herrschenden Zustände gärte: „Viele Leute, vor allem Künstler, wollen weg aus diesem schein-demokratischen Land, in dem absurd nationalistisches Pathos über alle Logik geht.“
Walhall bleibt eine Baustelle.
„Rheingold. Ein Vorabend“
Weitere Vorstellungen: 5. und 30.6. in Dresden,
Gastspiele am 8., 9., 10.6. in Wien, 14., 15.6. in Herrenhausen