Womit Frankfurts „Siegfried“ wirklich auftrumpfen, ja überragen kann, ist die gesamte musikalische Seite. GMD Sebastian Weigle und das bis in die enorm geforderten Bläser klangschön musizierende Museumsorchester überzeugten nicht nur mit auftrumpfendem Wagner-Bombast. Vielmehr gab es viel hörenswerte Feinzeichnung, kleines klagendes Leid und immer wieder das von Wagner gewollte Piano.
Das war keine falsche Rücksicht, denn das Solistenensemble besaß einfach Festspielniveau: von Meredith Arwardys pastos dunkler Erda über Robin Johannsens süßes Waldvöglein zu Jochen Schmeckenbechers leidendem Alberich und Susan Bullocks souveräner, wenn auch gelegentlich höhenscharfer Brünnhilde. Ensemblemitglied Peter Marsh gestaltete seinen ersten Mime schon so gekonnt quengelnd kleinkariert, dass da wohl ein großer Rolleninterpret heranwächst. Lance Ryan ist derzeit einfach der weltbeste Siegfried und bestach diesmal mit noch besserer Textbehandlung und vielen Zügen eines anfangs verloren ungebärdigen Kraftkerls.
Ovationen gab es für den sonst mit einem eventuell schon etwas abgesungenen Ensemblemitglied besetzten Wanderer: In Norwegen ist Terje Stensvold als Sänger bereits pensioniert. Doch mit seinen straffen 1 Meter 90 macht er nun mit 68 Jahren von Frankfurt aus die früher nicht mögliche Wagner-Weltkarriere – mit einem hinreißend voll, rund und warm tönendem Heldenbariton, mit der ungekünstelten Reife und Erfahrung, die dieser mal planende, mal noch auftrumpfende, aber schon schmerzlich scheiternde Welt-Stratege Wotan ausstrahlen sollte - und das in Frankfurts „Siegfried“ nun überragend tat.
Regisseurin Vera Nemirova stand vor einem schwierigen Werk: Zwerge, ein Drache und ein Waldvöglein singen, dazu eine orakelnde Urmutter, vor allem aber ein nach langem Schlaf ausgeruht aufwachendes Heldenweib, das gegen einen mitunter gezeichneten Junghelden meist auftrumpfend ansingt – denn der hat Schwertschmieden, zwei Totschläge und Vulkanglut hinter sich. Dazwischen noch ein schon impressionistisch fein gezeichnetes Waldstimmungsbild, in dem der einsame Jungheld sehnsuchtsvoll seine ihm unbekannte Mutter herbei beschwört.
All das wurde nicht zum Problem. Nemirova hat weder dekonstruiert noch denunziert, sondern die Handlung klar verfolgbar erzählt, auf die Phantasie der Zuschauer vertraut und Verknüpfungen erstellt. So schlug Siegfried mit dem neu geschmiedeten Schwert „Nothung“ nicht etwa den Amboss entzwei, sondern rammte die Waffe an der Stelle in den Weltenbaum, wo Siegmund sie in der „Walküre“ fand. Der nun als Weltenwanderer auftauchende Wotan trug ein befremdliches Kopftuch: als er es im Abschiedsgespräch mit Urmutter Erda abnahm, ist es Brünnhildes Kleidchen, das er ihr beim Walküren-Abschied entrissen hatte – ein anrührendes Bild dafür, dass dem Vater das Lieblingskind nicht aus dem Kopf geht.
Jens Kilians drehende und kippende Weltenscheibe aus Ringen überzeugte am meisten, als sie sich in das wirbelnde Geringe eines Drachenkörpers verwandelte, aus dessen Mitte dann der gehäutete, mit Gold behangene Fafner auftauchte (solide: Magnus Baldvinson). Der real brennende Feuerring um die auf dem zentralen Rundpodest schlafende Brünnhilde geriet zu einem Bild erhabener Einfachheit.
Dagegen blieben das „Waldweben“ und das Liebesfinale sowohl szenisch wie bildlich wie auch in Olaf Winters Licht allzu schlicht. Aus der im Ansatz poetischen Idee, einen Tänzer als Waldvöglein mit Jung-Siegfried „spielen“ zu lassen, machte Alan Barnes nur leider eine vor eitler Selbstdarstellung strotzende „Follies Bergère“-Nummer: viel weniger wäre da mehr.
Ob Frankfurts „Ring“ sich rundet, wird in knapp drei Monaten die „Götterdämmerung“ zeigen.
Weitere Termine: 03., 06.,11., 19., 27.11., 02.12.2011