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Imbiss in Donaueschingen - Tag 5
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Ganz langsam endet etwas: Imbiss in Donaueschingen – Tag 5 der unendlich Unvollendeten

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Während die Baarsporthalle wieder ihrem eigentlich Zweck zugeführt wurde, stand für die studentischen Teilnehmer am OFF-Programm bereits wieder die Neue Musi auf dem Tagesplan. Der letzte Tag im landschaftlich zum Beispiel mit Bayern vergleichbaren und immer stärker zum Baden neigenden Württemberg:

Am 20. Oktober Wir schrieben Montag. Erkältet, ermüdet, verkatert war die Studierendenschaft, welche am so genannten OFF-Programm der Musiktage teilnahm, aufgefordert, bereits um 8.45 Uhr die Jugendherberge im kalten morgendlichen Villingen verlassen zu haben und in nebelverhangener Aue auf die Shuttlebusse gen Trossingen zu warten. In diesem Szenario nimmt der letzte dieser Blogeinträge über die Musiktage in Donaueschingen seinen Anfang...

Was für eine Uhrzeit, was für ein Vorhaben. In Trossingen bzw. an seiner Musikhochschule hatte die Klassenfahrt gleiche Bildungstour namens Donaueschingen begonnen, in Trossingen würde sie enden. Zunächst standen von Frühstückskaffee bis Mittagsbroccoli Komponistin und Harvardprofessorin Chaya Czernowin, ihre Kompositionsstudentin Michelle Lou sowie zwei Spieler des Ensemble Ascolta, darunter Pianist und Lucerner Professor Florian Hoelscher, Frage und Antwort. Gegenstand der Debatte war das Konzert „The Dialogue Experiment“, also die Aufführung der 70-minütigen Gemeinschaftskomposition der Klasse Czernowin durch besagtes Ensemble. Die Beteiligung am Gespräch war groß, die Luft aus den Köpfen der Gesprächsteilnehmer aber eventuell schon raus. „We are all tired“ eröffnete die ansonsten so sympathische und gesprächsfreudige Czernowin. Während der Diskussion war ein permanentes Rein und Raus der Zuhörer aus dem Seminarraum wohl symptomatisch für den kräftemäßigen Status quo. Im Rückblick: Im „Dialogue Experiment“ war der Versuch unternommen worden, ein einziges Stück zu gestalten durch die kompositorische Beteiligung mehrer Künstler, sieben an der Zahl, zugleich. Im nunmehr Trossinger „Dialogue“ zur Frage stand, inwieweit Übergänge gelungen gewesen seien oder nicht, das Stück auseinander fiele oder nicht, schon Mozart dieses vermeintlich „dialektische Prinzip“ in seinen Klavierkonzerten benützt habe oder nicht. Das Gespräch geriet lebhaft, doch aufgrund von Kaffeedurst, Schnupfen, Husten, Müdigkeit oder Dissenz mit dem podiumschen consensus universorum verließen Hörer den Saal immer wieder. Auf ein Sache konnte man sich nach einigen Stunden im Fazit einigen: war ganz schön aufwändig gewesen, das Konzertprojekt.

Vor dem so genannten OFF-Konzert II, d.h. dem zweiten Konzertprogramm jener Reihe, die studentische Werke vorsah und im Saal der Trossinger Musikhochschule realisiert wurde, kam es noch zu einer Generalaussprache mit der Intendanz der Musiktage, Herrn Armin Köhler. Erfreulich sympathisch wirkend und von geduldiger Offenheit den studentischen Meinungen gegenüber, wurden die allgemeine Disposition des Festivals verhandelt, über Programmmacken gesprochen, Ausblicke getan bis nach 2010 und natürlich das Nervenbündel der just beschlossenen Musiktage, Dror Feiler, gründlich erörtert. Zutage förderte das Gespräch, dass erfreulicher Weise der junge Däne Simon Steen-Andersen für die Musiktage 2010 mit einem Auftrag bedacht worden sei und man offenbar auch vonseiten des Veranstalters Dror Feilers latent-politische Schlichtperformance zur Eröffnung der Musiktage und sein konfus-blödes Konzert „Müll“ zum Abschluss der Musiktage durchaus mit Differenziertheit gutheiße. Dann stellte sich heraus, dass Arno Lückers Tagebuch-Blog der Darmstäder Ferienkurse d.J. (ebenfalls bei nmz.de) in der Intendantenszene der deutschen Neuen Musik bereits Legendenhaftigkeit offensichtlich genießt: unaufgefordert zitierte Köhler seine Benennung zum „Mafia-Boss“ durch Lücker und wirkte bemüht, die Dinge in salopp-heiterem Tonfall zu relativieren. Wieso dieser Exkurs? Kaum jemand im Raum war in Darmstadt gewesen. (Zumal Skepsis berechtigt sein dürfte, wie viele Kompositionsstudenten überhaupt lesen können.) Vor allem war der investigativistische Onlinejournalist Lücker en personne überhaupt nicht zugegen. Verwirrend.

Doch obgleich offen und locker, trug das Gespräch vonseiten sowohl der Studierenden als auch Köhlers bizarre Züge. Während Köhler in seiner zwar freundlichen doch sehr schulmeisterlichen Art, seinem suggestiv lächelndem und zugleich patronisierendem Tonfall, wie man als Gymnasiallehrer vielleicht zu Unterstufenschülern sprechen mag, bei nicht wenigen jüngsten Komponisten das Gefühl evozierte, in gar keiner Weise ernst und als eigentlich seitens der Veranstalter „next“ geheißenen Generation wahrgenommen genommen zu werden, legte das studentische Gegenüber frappierenden Konservatismus offen. Dror Feilers Musikbeiträge in allen Unehren, aber die geäußerte Skepsis gegenüber dessen politischer Haltung (Feiler selbst bezeichnet sich als „Jude und Kommunist“) – die Darstellung der „FARC“-Kämpfer in diesem Festivalrahmen könne, Achtung, jetzt kommt die ultimative Moralistenvokabel, „gefährlich“ sein –, war ein überraschender Schlag gegen die Grundannahme, bei Fragen zu Gesellschaft und demokratischer Freiheit sei die Konstellation „jung und Künstler“ ein viel versprechender Ausgangspunkt. Zu guter Letzt ertönte, in krasser Affirmation der Köhlerschen Lehrerrolle, von vielen Studierenden noch der Kanon nach mehr Vorstrukturierung der Festivaltage und Verschulung: Bitte Zeit einplanen fürs Mittagessen in der Pause, bitte weniger neue Musik, die würde bei drei Tagen Dauer wirklich anstrengend, bitte auch mal Schubert und Tschaikowsky.

Herrjemine. Ich dachte, dieses Geseiers sei unsere Komponistengeneration endlich frei. Also: Donau-Kebab aufgegessen und Servietten in die Mülleimer am Stehimbiss eingeworfen – „neue next Generation, übernehmen Sie!“

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