Bevor in Christoph Willibald Glucks Oper der sagenhafte Sänger Orpheus seine Klage um die früh verstorbene Eurydike anstimmt und sein Gesang Herzen, Steine, Tiere, selbst Götter erweicht, hatte die muntere Ouvertüre zunächst gänzlich andere Töne angeschlagen. Hier herrschte erst einmal muntere, fröhliche Festtagsstimmung. Mark Rohde, der neue Kapellmeister und stellvertretender GMD am Pult der Neuen Lausitzer Philharmonie beschert uns jenen schlanken, hellen Klang, der so erst wieder aufblitzen wird, wenn die ansonsten gestrichenen Ballettmusiken erklingen und das Werk mit dem knappem Lobgesang auf Amors Wirken schließt.
Was nicht heißen soll dass sich Rohde und das klein besetzte Orchester nicht auch auf die elegischen Klagetöne, das höllische Furioso oder das Dahinschweben der Seligen verstehen würden. Eingeschlossen also von heller, absichtsloser Unbeschwertheit, jene so absichtsvolle Geschichte, die mit Orpheus´ Trauer über den Verlust der Geliebten beginnt und ihn bis an den Höllenschlund führt. In den lieblichen Auen des Elysiums bekommt er Eurydike zurück. Er verliert sie kurz darauf wieder weil die Liebe offensichtlich nicht stark genug ist, dem anderen auch dann zu vertrauen, wenn sich sein Verhalten nicht auf der Stelle erschließt. Und dann erst kommt die ganz große Klage des Orpheus, der Ohrwurm des Stückes, „Ach ich habe sie verloren…“. Später wird Wagner aus einem solchen Missverständnis einen Liebestod machen, Gluck ist da weitaus realistischer, lässt er doch die Götter nach der Devise handeln, dass der Sänger seinen Willen jetzt bedingungslos haben solle, ein ganzes Leben lang, und das ist dann auch keine Oper mehr wert.
Szenenwechsel. Tanzvergnügen, sechs Paare in heiteren, variierenden Konstellationen huldigen fröhlich dem Dasein an sich. Noch ein Szenenwechsel. Finale muss sein. Ungewöhnlich kurz werden die Wohltaten des Liebesgottes Amor gepriesen. Antje Kahn singt und spielt diesen Spross des Chaos, dessen Macht seine Opfer fast immer dahin führt wo er selbst herkommt, in herrlich choreografierten Haltungen verschmitzter Dienstbarkeit. Dazu passt ihr charaktervoller, reifer Klang vorzüglich. Das zum Glück verurteilte Paar steht erhöht, umgeben von so gut wie geschlechtslos uniformierten Glückseligkeitssängern des Chores, genau auf jenem Grabhügel, der zur ersten berührenden Klage des Orpheus den Anlass gab.
Die Damen und Herren des Chores agieren auf unterschiedliche Weise, sie klagen in der Ästhetik des schwarzen Theaters oder bevölkern in rot lackiertem Einheitsdress die Hölle, ihren Gesang hat Manuel Pujol zuverlässig vorbereitet. Sebastian Ritschel hat mit Patricia Bänsch als Orpheus ein bisweilen sogar komisches Künstlerdrama inszeniert. Die Ausstattungen der Stationen von Karen Hilde Fries sind surrealistischer Natur, führen in die Gefilde der Revue und bis an die Pforten der Unterwelt von Offenbachs Gnaden. Die schlanke, androgyne Patricia Bänsch, im schwarzen Frack, blass, mit wirrer Künstlermähne, zelebriert Konfliktbewältigung durch Selbstinszenierung, Abstiege in die Untiefen pubertär phantasierter Unterwelterfahrungen eingeschlossen. Und so stellt sich Orpheus hier die Hölle vor, Zirkus, Tingeltangel und eine Übermutter als Chefin mit Zerberus als gut gebauter Knabe in Latexslips an der Kette.
Gesanglich bietet sie zum Spiel eine überzeugende Leistung. Dies umso mehr als ihr mit Audray Larose Zicat eine in jeder Hinsicht selbstbewusste Eurydike gegenüber steht und die Situation an Schärfe gewinnt durch die mögliche Diskrepanz zwischen Erinnerung und Wiedersehen. Ritschel inszeniert ein lustvolles Spiel aus Verdrängung, Unterdrückung und Flucht in die Konvention seines unerlaubt unbescholtenen Helden. Anregung findet er bei Platon in der antiken Philosophie. Demnach waren wir ja alle mal Kugeln dreierlei Geschlechts. Männlich, weiblich oder gemischt. Dann wurden die Kugeln zerschnitten und irren seitdem unglücklich durch die Welt auf der Suche nach ihren anderen Hälften, Verwechselungen oder temporäre Festlegungen eingeschlossen. Ob sich aber jemals die richtigen Hälften finden ist ungewiss. Daher hilft Amor manchmal nach und knotet mit seinem roten Liebesband durchaus schon mal zusammen, was nicht unbedingt zusammen gehört. Wann und wie der Knoten bei Orpheus und Eurydike platzt sehen wir nicht mehr, dass er aber platzen wird intendiert die Görlitzer Aufführung und fügt somit dem oft gewendeten Stoff eine changierende Schattierung hinzu. Musik, Gesang, Spiel, Bild und Tanz kommen auf unterhaltsame Weise zusammen, was sich nicht zuletzt den Choreografien von Dan Pelleg und Marco E. Weigert verdankt.