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Gotthold Schwarz. Foto: © Matthias Knoch
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Gotthold Schwarz: „Es geht nicht um Personen, es geht um den Chor“ – Portrait des Thomaskantors

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Vor fünf Jahren ist der Sänger und Dirigent Gotthold Schwarz bereits interimistisch im Amt des Thomaskantors gewesen, weil sich sein Vorgänger Georg Christoph Biller aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig zurückziehen musste. Seit 2016 bekleidet Gotthold Schwarz, der dem Chor bereits seit Jahrzehnten eng verbunden ist, offiziell dieses Amt und würde das wohl auch gern in Zukunft noch bleiben. In früheren Zeiten ist das Thomaskantorat ja oft eine Aufgabe fürs Leben gewesen, siehe Johann Sebastian Bach. Doch die Stadt Leipzig will jetzt einen Nachfolger suchen, der im Juni nächsten Jahres die Leitung des traditionsreichen Chores übernehmen soll.

 

Was Gotthold Schwarz davon hält? Für eine Bilanz ist es zu früh. Dennoch blickt Gotthold Schwarz, der als eine seiner letzten Amtshandlungen vor Corona noch eine sehr erfolgreiche Konzertreise mit den Thomanern nach Schweden absolvierte, zufrieden auf seine bisherige Zeit als Thomaskantor. „Natürlich hat der Chor sich auch auf meine Art des Musizierens einlassen müssen. Ich bin eigentlich sehr froh, gerade auch im Nachgang zu den Konzerten in Schweden, dass wir doch eine sehr gute Qualität in der Interpretation verschiedener Epochen spüren. Das empfinden die Thomaner auch selbst, und ganz wichtig ist es uns, dies natürlich auch die Hörerinnen und Hörer spüren zu lassen.“ Gotthold Schwarz, der 17. Thomaskantor nach Bach, wolle den Menschen mit Hilfe der Musik die Herzen und Ohren öffnen. Und zwar nicht nur in schwierigen Zeiten wie diesen.

Die Schweden-Reise ist eine Reminiszenz an die erste Auslandstournee der Thomaner vor genau 100 Jahren gewesen und führte die Knaben unter anderem nach Stockholm, Uppsala, Vadstena und Lund. Im März sollte zudem erstmals Haydns „Schöpfung“ in Leipzig sowie in der Berliner Philharmonie aufgeführt werden. Mitten in die Proben zu diesem Oratorium kam die Absage sämtlicher öffentlicher Auftritte.

Dennoch schaut Gotthold Schwarz unbeirrbar nach vorn. Nicht ungeduldig, sondern mit einer gehörigen Portion Energie: „Wir haben natürlich viele Pläne, es geht um aufführungspraktische Aspekte, die bisher nur in Ansätzen möglich gewesen sind. Wir sind natürlich sehr dankbar und glücklich, dass uns das Gewandhausorchester zur Verfügung steht. Nichtsdestotrotz müssen wir natürlich darauf hinarbeiten, dass wir den Anschluss in der Welt nicht verlieren, was die barocke sowie die jeweilige Epocheninterpretation angeht. Da sind wir sicherlich auf gutem Wege, aber manches könnte auch ein bisschen schneller gehen.“

„Die Herzen und Ohren der Hörer öffnen“

Im Moment freilich bremsen die Corona-bedingten Absagen sämtlicher Konzerte und Proben zusätzlich den Tatendrang des Musikers. An seinem Credo für den Chor ändert das allerdings nichts. Sein Bestreben sei immer gewesen, jeden Thomaner als für die Gemeinschaft des Chores gleichrangig anzusehen. Sämtliche jungen Sänger sollten unabhängig von der Altersgruppe spüren, es gehe nicht darum, sie um jeden Preis auf Leistung zu trimmen, sondern jeden einzelnen Thomaner menschlich zu betrachten.

Daran werde sich nichts ändern, so Gotthold Schwarz, auch wenn er immer wieder erfahren muss, dass für all seine Vorhaben die Zeit oft zu knapp ist. Ich habe das immer erlebt, dass man viele Dinge, die man programmatisch plant, in der Kürze der Zeit gar nicht so schnell umzusetzen ist. Wir haben ja Woche für Woche ein neues Programm einzustudieren. Da musste ich Lehrgeld bezahlen, sind fünf Jahre einfach zu kurz.“

Die Stadt will das Amt neu besetzen, gibt trotz mehrfacher Anfrage aber keinerlei Auskunft über den Grund dafür. Nicht einmal Gotthold Schwarz selbst weiß um die Ausschreibungsformalitäten. „Von meiner Seite ist alle Offenheit da. Ich bin wirklich immer bereit, konstruktiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.“

Klar ist für ihn nur, dass er sich an einer wie auch immer gearteten Ausschreibung nicht beteiligen wird. Auch wenn Gotthold Schwarz vielleicht allen Grund hätte, über den Umgang der Stadt mit ihm gram zu sein – er lässt sich nichts davon anmerken: „Es geht ja nicht um Personen. Es geht in erster Linie um den Chor und darum, dass dessen künstlerische und menschliche Kontinuität gewahrt bleibt.“

Vor allem solle die verpflichtende Tradition des Thomanerchores fortgeführt werden, so Schwarz. Es geht nach meinem Verständnis auch darum, dass der Chor, so wie das auch immer von meinen Vorgängern betrieben worden ist, als ganz wichtige Instanz von Kirchenmusik in Deutschland bestehen bleibt. Das ist aktuelle Kirchenmusik im besten Sinne des Wortes. Das ist gerade in der Zeit, in der wir leben, ganz wichtig.“

Um seine eigene Zukunft macht sich Gotthold Schwarz offenbar keine Sorgen. Er werde weiter aktiv sein und Musik machen: „Ich werde nicht aufhören, tätig zu sein.“ Doch bis dahin gilt seine Aktivität noch voll und ganz den Thomanern: „Wir arbeiten so, wie wir das gewöhnt sind, dass wir musikalisch beste Qualität erreichen wollen, dass wir eben die Herzen und Ohren der Hörer öffnen, dass wir uns einem jeden Stück so nähern, wie es sich vielleicht auch der Komponist gedacht hat.“

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