Die spannendsten Augenblicke während der diesjährigen Salzburger Festspiele ereigneten sich im benachbarten Bad Reichenhall. Dort fanden sich im Rahmen eines Festivals mit dem leicht komischen Titel „AlpenKlassik“ sechs Komponisten aus drei Generationen zu einer Hölderlin-Liederwerkstatt ein: vor Ort setzten sie sich mit dem Dichter und seinen Texten auseinander, drangen mit Tönen und Klängen in diese ein. Es waren aufregende Versuche, Hölderlins Sprache, seine Imaginationen und Visionen in Musik zu übersetzen, sie in Musik zu verwandeln. Junge Sänger leisteten als Interpreten dabei Erstaunliches. Wilhelm Killmayer, Aribert Reimann, Manfred Trojahn, Wolfgang Rihm, Jan Müller-Wieland und Moritz Eggert öffneten mit ihren klingenden Reflexionen über Hölderlin vielfältige neue Perspektiven (siehe Bericht S. 46
In der vorliegenden Ausgabe der neuen musikzeitung finden sich weitere Beiträge über kleinere und nicht ganz so kleine Musikfestivals: über das Kammermusikfest in Lübeck, über die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker, über das Bebersee Festival Schorfheide, das Klavierfestival Ruhr, über „space + place“ vom Kammerensemble Neue Musik Berlin, über Menuhins Festival Gstaad und das Montreux Jazz Festival. Schon diese kleine Auswahl sommerlicher Festspiele beweist die Lebendigkeit und den Reichtum der Musikszene, aus denen sich farbige Programme entwerfen lassen. Es müssen nicht immer pompöse Opernaufführungen wie in Salzburg oder Aix-en-Provence sein, um den wahren Musikfreund anzulocken. Ein meisterhaft gespieltes Streichquartett von Haydn besitzt zweifellos einen höheren Kunstwert als eine routiniert abgespielte Mahler-Großsinfonie, selbst wenn es von routinierten Wiener Philharmonikern wäre.
Insofern boten die Salzburger Festspiele 2004 reiches Anschauungsmaterial. Die künstlerische Ausbeute bei den Opernaufführungen hielt sich sehr in Grenzen (wir werden in der nächsten Ausgabe zusammenfassend darüber berichten), auch auf dem Konzertsektor geschah nichts Überwältigendes: Eine Reimann-Uraufführung, dazu zwei Composer-in-Residence: Kurtág war schon bei Mortier als Residenz-Komponist anwesend, Jörg Widmann schwimmt derzeit ohnehin auf einer Erfolgswelle durch alle Festivals und Konzertsäle. Besonders originell, geschweige denn wagemutig war das sicherlich nicht. Immerhin verstreute sich ein Dutzend klassischer oder etablierter Moderne durch diverse Programme der jeweiligen Orchester und Ensembles.
Das Profil, das die Neue Musik unter Mortier und Hans Landesmann bei den Salzburger Festspielen gewonnen hatte, ist weitgehend einem rundfunktypischen Quotendenken gewichen: Moderne Musik ja, aber bitte nicht zur Hauptsendezeit. Dabei heißt der künstlerische Direktor der Festspiele Peter Ruzicka. Gern erinnern wir uns an ein nicht lange zurückliegendes Ruzicka-Weekend in Gütersloh. Da ging es höchst lebendig und anregend zu. Vielleicht sollte man künftig nur noch zu den kleineren Festspielen fahren, nach Schwaz oder Witten. Der Kunstwert ist dort allemal höher.