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Prokofjews „L’Amour des Trois Oranges“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Barbara Aumüller
Prokofjews „L’Amour des Trois Oranges“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Barbara Aumüller
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Grotesker Überlebenskampf der drei Berliner Opernhäuser: Prokofjews „L’Amour des Trois Oranges“ an der Deutschen Oper Berlin

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Die drei Orangen, zu denen der Prinz in Sergej Prokofjews Oper entbrennt, sind in der jüngsten Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin nichts anderes als die drei Opernhäuser der Hauptstadt. In Robert Carsens Inszenierung spielt die Handlung in Berlin, zwischen dem Filmfest und dem „Berliner Ensemble“, jenem Theater am Schiffbauer Damm, in dem die Uraufführung von Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ stattgefunden hat.

Das Libretto zu Prokofjews Oper, basierend auf einem Märchenspiel von Carlo Gozzi und den dramaturgischen Ausführungen des Avantgarde-Regisseurs Wsewolod Meyerhold, stammt – so hat Jürg Stenzl nachgewiesen – vom Komponisten selbst. Bereits fünf Jahre nach der Uraufführung, 1921 in Chicago, erlebte die Partitur ihre Berliner Erstaufführung unter Leo Blech, also noch drei Jahre vor der Uraufführung der „Dreigroschenoper“.

Im Prolog streiten verschiedene Anhänger auf der Vorbühne und im Saal über die diversen Kunstrichtungen des Theaters, wobei die mit MGs bewaffneten, schwarz gewandeten Spötter in der ersten Publikumsreihe Platz nehmen. Der sich öffnende Hauptvorhang gibt dann den Blick frei auf eine Brechtgardine mit der Aufschrift „Dreigroschenper“, die auf einer zweiten Brechtgardine in roter Farbe mit „L’Amour des Trois Oranges“ überschrieben ist, und mit noch vergrößerter Schrift dann auf einem Zwischenvorhang.

Regisseur Robert Carsen und sein Bühnenbildner Paul Steinberg erzählen die Handlung zunächst als armes Theater, mit einem Stuhl auf einem Tisch als Königsthron, dann mit einem schwarzen Nachtclub als Reich von Fata Morgana und Tschelio (Paul Gay); nach Ende dieses Bildes kommentieren die zehn Spötter auf Deutsch skandierend, „arm aber sexy“ – wie eine Definition der Hauptstadt durch den Regierenden Berliner Oberbürgermeister Wowereit lautet.

Clarisse, die Nichte des Königs (Clémentine Margain) und Minister Léandre (Markus Brück) kommentieren die Möglichkeiten ihrer Intrige gegen den melancholischen Prinzen unter Zuhilfenahme eines großen Flachbildschirms. Während die Commedia dell’ arte-Ebene bei der Figur des Königsberaters Pantalon (Bastiaan Everink) ausgeklammert ist (Kostüme: Buki Shiff), wird sie für Truffaldino, der in einem bunten Spielzeugauto vorfährt (und im Video so auch durch Berlin rast) eingelöst. Im Zimmer des Prinzen, in dem Truffaldino – zunächst als Weihnachtsmann verkleidet – zur Belustigung des Prinzen einen (Berliner?) Teddybären abknallt, dominiert eine Pharmazieprodukt-Tapete.

Anstelle der Darbietung von Divertissements, führt Truffaldino im (Zoo-)Palast der Berlinale Videosequenzen vor, 3-D-Versionen von Ausschnitten aus „Nosferatu“, „King Kong“, „Der große Diktator“ und „Godzilla“, sowie die Animation eines blutigen Zweikampfes zwischen Berliner Bär und Bundeshauptstadtadler (Videos: Robert Pflanz). Doch Videokunst und Spaßgesellschaft können kein Lachen des Prinzen evozieren; die erste Lachsalve seines Lebens hat er beim Stolpern einer alten Frau.
Der Teufel Farfello (Seth Carico) ist hier ein wenig magischer Müllmann, während Tschelio von der zersägten Jungfrau bis zum Endlosband über alle gängigen Zaubertricks einschlägiger Etablissements verfügt.

Die Köchin hantiert mit Leichenteilen und verrichtet zu Prokofjews Pfurz-Musik auf einer zentralen Kloschüssel ihr Geschäft. Aus dieser Kloschüssel holt der Prinz dann auch die begehrten Orangen hervor. Diese wachsen bekanntlich sehr schnell; hier sind sie beim zweiten Wiedersehen zu abstrakten, eckigen Modellen der drei Berliner Opernhäuser mutiert. Die erste der drei zu nur kurzem Leben erwachenden Orangeninhalte entsteigt als Prinzessin Linetta (Rachel Hauge) der „Komischen Orange“  und singt, wie es an der Komischen Oper Berlin bis zum Vorjahr die Regel war, auf Deutsch. Ihr rasches Sterben nimmt so durchaus auch Bezug auf die Inszenierung von Walter Felsenstein im Jahre 1968, dessen Versuch, diese groteske Opernhandlung zu einem realistischen Musiktheater umzugestalten, als gescheitert angesehen wird.

Auch die der „Staatsorange“ entsteigende Prinzessin Nicoletta (Kim Lillian Strebel) stirbt einen raschen Operntod. Erst Ninetta (Heidi Stober), mit Walkürenflügelhelm aus dem Dach der „Deutschen Orange“ emporsteigend, überlebt dank eines von den zehn Spöttern bereit gestellten, mit Geldscheinen angefüllten Wassereimers – eindeutige Metapher für das Wunschdenken zum Erhalt dieses Opernhauses, das gerade sein 100-jähriges Bestehen feiert.

Während der Prinz seinen Vater herbeiholt, wird Ninetta von Fata Morgana und von – der hier im Gegensatz zum Wortlaut des Gesangstextes nicht als Schwarze, sondern als Rothaut geschminkten – Smeraldine (Dana Beth Miller) in eine Ratte verwandelt, die dann ferngesteuert ihre Kreise fährt. Aber in Lebensgröße sitzt Ninetta im Rattenkostüm auf dem Königsthron, und ihre Rückverwandlung in die Prinzessin gelingt wenig überzeugend. Die überführten Intriganten sollen gehenkt werden, entkommen aber und versinken mit Fata Morgana in die Unterbühne. Während der Chor den König und das Brautpaar umjubelt, erstrahlen im Hintergrund die Leuchtreklamen des „Berliner Ensemble“ und des (derzeit nicht existierenden) Berlinale-Kinos Zoopalast. Vielfältig sind die darstellerischen Mittel, so wird beispielsweise die Liebesszene von Prinz und Ninetta wird als Parodie auf Bob Wilsons reduzierte Formensprache vermittelt. Kongruent zur Skurrilität der Spielvorlage, dauert das Spiel der Übervorteilung auch bei der Applausordnung noch an.

Beeindruckend ist der Einsatz des Opernballetts der Deutschen Oper Berlin gelungen: Im Nachtclub-Bild und in den Bewegungsabläufen als untote Leichen gewinnt diese Formation in der Choreographie von Philippe Giraudeau im changierenden Spiel von Realität, Phantastik und Groteske eine faszinierende Qualität.

Setzt die Szene insgesamt auf Turbulenz und Bewegung und bemüht sich dabei um Übertragung von Prokofjews quasi filmischer Kompositionstechnik der Collage von Gegensätzen in optische Entsprechungen, so bleibt die musikalische Komponente der in französischer Originalsprache erklingenden Oper unter Dirigent Steven Sloane recht unscharf. Rasanz, bitonale Effekte, Ganztonleitern, Ketten von Septakkorden und grelle Zitate von Rossini, über Wagner bis Debussy, erklingen im trefflich disponierten Orchester der Deutschen Oper Berlin durchaus domestiziert und bisweilen verwackelt. Nachdrücklich lebendig siegt der Ohrwurm des Marschthemas. Exzessiv spielt und singt der von William Spaulding einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin, selbst wenn er, Ärzte verkörpernd, mit komplettem Mundschutz intoniert.

Unter den Solisten ragen aus dem 27-köpfigen Ensemble Burkhard Ulrich in der dankbaren Partie des Truffaldino, Albert Pesendorfer als König Treff, Tobias Kehrer als männliche Köchin, und Heidi Melton als Fata Morgana heraus. Thomas Blondelle fehlt für den Prinzen eine mühelose Höhe, die er durch überzeugende Darstellung schwerlich wettmachen kann.

Die Stimmung im Auditorium war bei der Premiere durchaus ausgelassen und emphatisch, beim Schlussapplaus allerdings mit kontinuierlichen Missfallensbekundungen fürs Regieteam untersetzt.

Weitere Aufführungen: 13., 17., 21., 25. Dezember 2012, 5., 13. April 2013

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