Jeder Laden, der auf sich hält, hat die Probier mal-Aktion im Angebot. Auch außerhalb einer Grünen Woche sind Verkostungen beliebt. Weil unverbindlich und weil König Kunde umschmeichelt werden will. Moderne Agenturen wissen das und sagen: Was mit einem Nicolas Feuillatte Pinot Noir Vintage Grand Cru geht, geht auch mit anderen Erlesenheiten. Neulich hab ich’s plakatiert gesehen vor meinem ansonsten sehr geschätzten Konzerthaus. Dicke Lettern, schreiend Gelb auf rotem Grund: „Probier mal John Cage“.
Die Wirkung sehr unmittelbar. Wie mit dem Ellbogen in die Seite, wenngleich letzteres doch eher die Praxis des flüchtigen Bekannten ist, den man auf der Straße trifft und der ebenso gern wie gleich den kumpelhaften Ton anschlägt. So knuffig rüberkommen wollte aber offenbar auch diese Headline. Eine, die bei genauem Befühlen gleich zwei Rippenstöße verabreichte: Komponist als Gaumenkitzler der erste, IKEA-Duzen der zweite. Eine Art Cluster aus Verkäufersprache und Szeneton.
Etwas benommen schlich man zu seinem Platz, nur um beim Studium der Begleitinformation gleich die nächste Wortdusche zu empfangen. Hoffnungslos rückständig, wer da noch Dinge erwartete wie einen sachlichen Werkkommentar! Das war einmal. Stattdessen las man so:
„Lieber Freund, mit diesem Heft wirst du Eigenschaften und Fähigkeiten entwickeln, die für dein Glück wesentlich sind. Es enthält Übungen und Empfehlungen, die dir helfen, die gewohnten Bahnen des Hörens und Empfindens zu verlassen, um neue, interessantere zu entdecken.“
Du musst üben für dein Glück! – Tonfall sektiererischer Wochenendseminare, auf denen besorgte Gurus nach dem fundamentalistisch-erwecklichen Drehbuch des Bußbefehls das große Seelenreinemachen ins Werk setzen. Motto: Vergiss alles und folge mir nach! Nur, man war ja im Konzert! Eindeutig. Andererseits, was von der Bühne wie Nebelschwaden herunterglitt und sich allmählich etwas klebrig in den Gehörgängen festsetzte, passte durchaus zum fürsorglich angeschlagenen Bekehrerton. Irgendein undefinierbar Gesäuseltes zwischen Soft-Gospel, Weltmusik für Anfänger und Begleitmusik zum Autogenen Training. Programmheft hilf! Doch da war keine Hilfe nicht. Da war nur diese Stimme. Sie sprach also:
„Dabei wirst du alte und neue Meister kennenlernen. Einige donnern in dein Gehirn wie eine Gang von Straßenräubern. Andere wischen ganz diskret, beinahe unbemerkt den Staub von der Linse deiner Seele.“
Diskret! Ja, das wäre schön! Aber bitte, eine Frage noch: Was ist, wenn meine Seelenlinse ganz vom Staube befreit ist? Was wird dann sein? Die Stimme sprach: „Mit Sicherheit wirst du dich anderen, unüblichen Bewusstseinszuständen öffnen, sogar ganz abgründigen. Das wird dir gut tun.“
Na, dann ist ja alles gut, dachte man sich. Und bevor wir glücklich in andere Bewusstseinszustände übergingen, hörten wir noch wie die Stimme uns Mut zusprach. „Komm hiss die Segel deiner Ohren. Dein Schönes Wochenende.“
Ach! Das war so schön gesagt, so schnurrend und kuschelig, dass es einem im raumigen Wind und dank blank geputzter Seelenlinsen ganz von allein ins Offene neuer Zustände trieb. Und, ja, auf einmal wusste man auch wieder, warum man hier war, was man sich vorgenommen hatte, ja, jetzt wusste man es wieder, nämlich ein wunderschönes Wochenende lang zu träumen von einem „Festival für modernes Hören“. Das war’s.