Von wegen „Kulturinfarkt“ mit „zuviel vom immer Gleichen“: Wie schon im Publikumsrenner „Die Weber von Augsburg“ in der ehemaligen Textilfabrik Dierig hat Intendantin Juliane Votteler nun das ortsansässige Textilmuseum „tim“ und seinen Direktor Karl Murr eingebunden. Schließlich spielt der zentrale Mittelakt von Wagners „romantischer Oper“ vom „Fliegenden Holländer“ in einer Spinnstube: Frauenchor, Arbeit unter Druck – und jahrelang hat dort die Kapitänstochter Senta die Frauen mit der Ballade vom „bleichen Mann“ von Enge, Stumpfsinn und Ausbeutung ein wenig abgelenkt.
In Zusammenarbeit mit Kostümbildnerin Saskia Rettig wurden im „tim“ die historischen Webstühle wieder in Gang gesetzt und 300 Meter „Augsburger Schlossertuch“ – ein robustes Arbeitstuch, das Schmutz und Öl gut aufnimmt – für die Damenkostüme hergestellt. Auf der Bühne schwenken die Frauen nun im Takt je eine Spindel mit schwarzem sowie mit weißem Faden und von der Burgmauer sinkt langsam eine breite Stoffbahn herab: ein Vasarely-Muster – und dessen reizvoll changierende, weil Erhebungen und Vertiefungen vorspiegelnde „Fläche“ signalisiert so den Ort, wo „der ganz andere Mann“ auftreten wird. Die Stoffbahn fällt – und in einem goldenen Bildrahmen steht der „Fliegende Holländer“ in einem silbergrau glitzernden spanischen Hofkostüm: ein „Traum-Mann“, der Senta in ihrem jungmädchentypischen Erlösungswahn in eine andere Welt mitnehmen wird, sei es auch um den Preis des Lebens.
Das ist die stärkste Phase des pausenlos gespielten zweiten und dritten Aktes. Davor hat Regisseur Christian Sedelmayer auf der zwar herrlich wirkenden, aber leider noch hellen Freilichtbühne einen wenig überzeugenden Männerchor-Aktionismus – abermals in historischen Rundhemd-Kostümen – hingestellt: mehrmals ein Gewusel von Arbeiter-Revolution mit roter Fahne, von Matrosenaufstand und männlicher Geldgier. Der Werkfreund wünschte sich gnädiges Dunkel, das viel von der wenig überzeugenden Personenregie zudeckt.
Auch das Kammerspiel des Liebeswahns zwischen Senta und dem Holländer geriet blutleer und spannungslos. Imposant wirkte dann nur das Schlussbild: der Gespensterchor der „Holländer“-Mannschaft fuhr als riesiges Blutgerüst mit Statisten als Zombies auf dem oberen Mauergang herein, bedrohlich ausgeleuchtet – und dorthin flüchtet Senta aus der Geldgier des etwas plump angedeuteten Frühkapitalismus, enthusiastisch in den Nachthimmel singend – Oper übermenschlich groß.
Sally du Randt gelang das fesselnd. Leider stand ihr mit Stephen Owen ein bieder wirkender Holländer mit unzureichender vokaler Verführungskraft gegenüber. Guido Jentjens sang einen soliden, durchweg erfolgsorientierten Vater Daland. Jo-Woon Kim ließ als Jäger Erik mit schönen Tönen jugendlicher Liebesverzweiflung aufhorchen.
Sie alle und das bis auf kleine Opern-Air-Premierenunsicherheiten gut aufspielende Orchester leitete der junge Norweger Rune Bergmann mit sichtbarem Engagement, oft aber zu klangverliebt breiten Tempi. Das fulminante abschließende Feuerwerk sollte den kommenden Aufführungen einen guten Schuss feuriges Tempo an hoffentlich lauen Sommerabenden geben.