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Foto: Gentse Feesten
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Inseln der Kontemplation: In Gent genießt die Klassik neuerdings Minderheitenschutz

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Normalerweise, Einheimische versichern es, ist Gent eine stille Stadt. Nur eben nicht zur Zeit von Gentse Feesten, dem zehntägigen Sommer-Festival der Stadt, einer oktoberfestartigen Volksbelustigung mit einer, wie die Genter ebenso vehement beteuern, 170-jährigen Tradition.

Was die Geburtsstadt Karls V. mit ziemlicher Regelmäßigkeit in den Ausnahmezustand versetzt. Sint-Niklaaskerk am Korenmarkt, eines der schönsten Beispiele der Scheldegotik, von turmhohen Bühnengerüsten umstellt: Rohbauten für eine wahre Springflut aus Pop- und Rockkonzerten, die Gentse Feesten seinem Publikum glaubt schuldig sein zu müssen. In der Folge die vieux cartiers, die Altstadt um Belfried und St. Nikolaus eine einzige Bühne, um (muss man sagen) den Pubertierenden ziemlich aller Altersstufen ein phonstarkes Hochamt nach dem anderen zu bieten. Weswegen denn auch die wirklich ruhigen Hotelzimmer an den Rezeptionen heiß umkämpft sind.

Klassik als Randgruppe

Womit ein gerade begonnener Festival-Bericht Gent auch schon wieder zu Ende sein könnte. Wenn er das in diesem Fall nicht ist, dann deshalb, weil Gentse Feesten neuerdings eine Art kulturelles Minderheitenrecht, Minderheitenschutz in Anschlag bringt. Angesichts der erdrückenden Dominanz der Popper und Rocker hat der Bürgermeister ein Einsehen gehabt und den ausgewiesenen Randgruppen der Stadt ihr je eigenes Mini-Festival zuwachsen lassen – den türkischstämmigen Gentern ebensogut wie den Freunden und Anhängern der Klassischen Musik aller Couleur. Denn ob alt ob neu – eine Minderheit sind sie ja in jedem Fall.

Im Ergebnis haben sich an den rauschenden Rändern des Rock- und Pop-Mainstream Nischen ausgebildet, Oasen der Kontemplation. Nur den Konzertbeginn hat man, sicherheitshalber, doch auf 16:00 und 18:00 Uhr vorverlegt, auf Zeiten also, da die Pegel am Korenmarkt noch nicht bis zum Anschlag hochgefahren werden. Und doch, soviel allein lehrt der Augenschein – man kommt gern. Avancierter Jazz, Kammermusik, Musiktheater und ein hochkarätiges Pianofestival finden ihr Publikum – im Konzertsaal der Musikhochschule wie im historischen Tapijtenzaal des prachtvollen Gebäudes der Kooniglijke Vlaamse Academie aus dem 18. Jahrhundert.

Die treibende Kraft dahinter – Daan Vanderwalle, der Kurator des kleinen (Klassik)-Festivals im Festival. Was nicht heißt, dass er sein Geschäft als Frontstellung zu Gentse Feesten versteht. Im Gegenteil, hier herrscht liberaler Geist. „Von außen gesehen sieht das aus wie ein großes Volksfest, wo man sehr viel Bier trinkt, aber es gibt doch auch sehr viele Inseln“, sagt Vanderwalle, wobei er die von ihm programmierten „Gentschen Festspiele“ (ein Name voller augenzwinkernder Ironie) selbst mitbespielt. „Inseln sind wichtig, aber man kann hier doch ein Konzert von John Cage besuchen und dann Bier trinken später mit Freunden, warum nicht.“

Inseln also

Dafür stand im diesjährigen Festivalzyklus auch der südafrikanische Pianist-Komponist Michael Blake, der sich aus dem breiten Strom experimentellen Komponierens der 60er und 70er Jahre bis heute viel Wasser auf seine Kompositions-Mühlen leitet. Was dabei herausgekommt, ist eine unambitionierte Musik, eigentümlich schwankend, aufgebaut aus kleinen melodisch-harmonischen Motiven, mit asymmetrischen Ablagerungen, repetitiv ohne minimalistisch zu sein. Zugleich ist sie sogenannten Modellen verpflichtet, die Blake in seinem Genter Porträt-Konzert vor den eigenen Arbeiten selbst zu Gehör brachte. Was ja (leider) zu einer seltenen Erfahrung geworden ist, dass ein Komponist als sein eigener Interpret auf die Bühne geht.

Zumindest bei den kürzeren und leichtern seiner Arbeiten, sagt Michale Blake, sei ihm das aber durchaus möglich und er tue das auch sehr gern. Was die größeren Sachen angehe, überlasse er das gern seinem Freund Daan Vanderwalle. „I actually enjoy performing and it’s really only in the last four years that I play my own music so much. I used to leave other people to do it.” Allerdings sei es so, dass er vor manchen seiner Kompositionen als Interpret doch kapitulieren müsse. Lschend gibt er zu Protokoll: “There are some pieces of mine that I can’t play. The piano sonata I wrote for Daan I could never play, it would take me years to learn. I couldn’t do it better than him.” Was also bleibt? “It’s quite nice for me to be able to present some of my shorter works, the easier works.” Was er dann auch im Tapijtenzaal der Kooniglijke Vlaamse Academie mit Charme und Fortune erledigte, ironischerweise vor dem königlichen Porträt des Koloniengründers Leopold. Für hiesige, politisch korrekte Augen eine schiere Unmöglichlkeit, doch Belgien (man vermerkt es mit Sympathie) ist wenig angestrengt.

Was die anderen Höhepunkte des kleinen Genter Pianogipfels betraf, so waren dies tatsächlich die Konzerte mit dem Kurator-Pianisten Daan Vanderwalle: Wenn er Cages’ Sonatas and Interludes aus dem Geist Scarlattis wiedererstehen oder wenn er an der Seite von Salome Kammer den konventionellen Begleiter in einem ebenso konventionellen Liederabend weit hinter sich ließ. Mit dessen Attitüden, Posen hatte dieses neue Duo zweier wahlverwandter Geister wenig im Sinn. Was gerade Salome Kammer entgegen kam. Für sie war Gent die Gelegenheit, eine neue Seite Ihrer Kunst offen zu legen, die Erweiterung ihres Repertoires in Richtung Lied. Überzeugend gelang dies inbesondere mit den Brettl-Liedern des Cabaret-Komponisten Arnold Schönberg: Darstellende Dramatik, stets auf dem Punkt und mit einer Körperlichkeit, die der auf den großen lärmenden Bühnen der Stadt in nichts nachstand.

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