Hauptbild
Manuala Uhl in der Titelrolle von Glucks „Iphigenie in Aulis“ zusammen mit dem Leipziger Opernchor. Foto: Andreas Birkigt
Manuala Uhl in der Titelrolle von Glucks „Iphigenie in Aulis“ zusammen mit dem Leipziger Opernchor. Foto: Andreas Birkigt
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Iphigenie in Asterix oder Gluck an Konwitschny: Fortsetzung des Leipziger Gluck-Rings mit „Iphigenie in Aulis“

Publikationsdatum
Body

Wir schreiben das Jahr 2013. Bald. Die ganze Opernwelt ist dann von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ besetzt. Die ganze Opernwelt? Nein, ausgerechnet die von unbeugsamen Wagner-Verehrern bevölkerte Geburtsstadt Leipzig widersetzt sich standhaft diesem Ringen um Richard und zeigt – 200 Jahre nach dessen Geburt – einen bislang unbekannten „Gluck-Ring“. Soeben hatte dessen zweiter Teil Premiere. Erinnern wir uns: Was bisher geschah …

Im April hatte Christoph Willibald Glucks Oper „Alkestis“ den Auftakt gegeben. Diese Inszenierung von Leipzigs Chefregisseur Peter Konwitschny endete da, wo nun dessen „Iphigenie in Aulis“ begann. In einer römisch (!) anmutenden Zeltlandschaft. Dort, was für ein Wunder, strandet die Flotte des Agamemnon, der bekanntlich ein Grieche ist. Und was für einer! Schlaff hängen die Segel (so wird gesungen) seiner Streitmacht, die eigentlich allzugern gen Troja in den Krieg ziehen will. Im Hintergrund des Bühnenbilds (Jörg Kossdorff) sind die Segel freilich gerefft zu sehen. Schlaff ist da wohl etwas anderes. Die Flaute der lüsternen Krieger hat angeblich Göttin Diana verursacht, aus Rache für eine ihr heilige Hirschkuh, die dummerweise vom Griechen-Helden gemeuchelt worden ist. Wenn der nun nicht seine Tochter Iphigenie opfert, gibt es kein Fortkommen für ihn und seine Kumpanen. Dabei ist die doch eigentlich dem Helden Achill versprochen. Ein Konflikt zwischen Vaterliebe, gottesfürchtiger Selbstverleugnung und Kriegsherrenbrunst.

Man könnte nun meinen, solange die Menschen Götter anbeten, werden sie dafür bluten. Und sowieso bluten lassen, nämlich andere. Sollte aber die Hoffnung hegen, dass dies, bevor sie völlig ausgeblutet sind, nicht auch umgekehrt gilt. Doch zu homerischen Zeiten war Götterkult mangels Aufklärung noch angesagt und verständlich. Der Mythendichter steht tatsächlich zu Beginn der Oper auf der Leipziger Bühne, dort ist seine Welt eine Scheibe und verlangt den Zuschauern, assistiert vom ritterlichen Neue-Wege-Komponisten Ch. W. Gluck, einige Aufmerksamkeit und vor allem Disziplin ab: Handys aus und keine Fotos!

Das Publikum in den spärlich besetzten Reihen der hier besprochenen zweiten Vorstellung hielt sich daran. Und nur sehr wenige Gäste haben die Spielstätte noch vor der Pause verlassen. Alle anderen hielten dem sparsamen Ulk stand. Nahmen den Einzug Iphigenies hin, der von rosa Plüschpantoffeln, Sonnenbrillen und ihrer fliederfarben schrillen Mutter Klytämnestra begleitet worden ist. Widerstanden den grellgrünen Kostümkriegern, die sich kniefrei und mit schwertschwingend deklamatorischen Gesten zu geben hatten. Sahen die Welt als sich saftig grün drehendes Kreisrund, auf der Agamemnons Zeltstätte ebenso wie der göttliche Opferaltar zum Zentrum des Alls geraten musste.
Ausgerechnet Peter Konwitschny, von dem Anhänger wie Gegner noch stets eine besonders gründliche Sicht und Deutung erwarten durften, ausgerechnet der sollte diese Oper hohlem Klamauk opfern? Kinder und Kleinkinder aufbieten, ein Trojanisches (Spielzeug-)Pferd vorwegnehmen? Unsinnige Verkleidungsszenen mit knisternden Klettverschlüssen auf der Bühne zulassen? Achills Getreuen Patrokles als ewig Depperten ins Treiben schicken? Gruppenszenen auf Slapstick reduzieren? Am Opferaltar das Bühnengeschehen gegen den Text und den Text gegen die Musik sprechen lassen? Ausgerechnet Peter Konwitschny sollte wider Musik inszenieren?! Gerade dieser Regisseur hat doch immer so tief in die Partituren geschaut, ihnen neue Sichten abgewinnen können!

Wollte er hier dümmliches Militär desavouieren, so ist ihm das mit der Attitüde von dümmlichem Militär nur auf halbem Wege gelungen. Wollte er den aller Vernunft Hohn schreienden Götterglauben der Menschen anprangern, so scheint mir auch dies im Ansatz steckengeblieben zu sein. Zu viel Ehrfurcht vorm eigenen Kult widerspricht aller aufklärerischen Absicht. Nach langem Gewedel von Plastikschwertern und Priesterkluft liegt an Iphigeniens Stelle ein drolliges Plüschtier auf dem Altar, Lamm Gottes?, von einer Seitenloge aus lacht Diana herzhaft über das tumbe Getue. Die Göttin ist als Freiheitsstatue staffiert und stößt mit einem Glas Sekt an – neben ihr Iphigenie auf Liberty Island, New York. Da macht es schon nichts mehr aus, dass über dem Parkett eine Salve Glitzerkonfetti niederging, abgefeuert natürlich von der Göttin der Jagd. Der sinnlose Krieg kann weitergehen, endlich wabern die gefallenen Segel im Wind und dürfen sich blähen.
Ziemlich unentschieden gluckten bei dieser „Iphigenie“ die Musikerinnen und Musiker des Gewandhausorchesters unter der Leitung von Nicholas Kok vor sich hin. Bei den meisten Einsätzen stimmten Solisten und Chor mit ihnen überein, um alsdann taktlos genug nach Eigendynamik zu suchen. Unausgewogen auch manche Balance, gerade bei einer so Comic-artig inszenierten Handlung und in dieser Richard Wagners Gluck-Bearbeitung entlehnten Fassung hätte mehr innere Spannung erwartet werden dürfen, ja müssen!

Manuela Uhl hingegen sang eine anständige Titelpartie. Anständig insofern, dass sie ihrem Verlobten sowohl treu bleiben als auch Paroli bieten will. Stimmlich bot sie einige Schönheit auf, hätte aber meist besser ins Verismo-Fach gepasst als in dieses Werk aus Übergangszeiten. Spielerisch schien sie ungebremst überzeugend. Karin Lovelius als Mutter Klytämnestra wollte da mithalten, war pink sonnenbrillig staffiert (Kostüme Michaela Mayer-Michnay) und sang mit ziemlicher Klasse. Mit Anklängen von Brillanz tat sich Mirko Roschkowski als Achilles hervor, den man freilich nicht hätte entkleiden sollen. Oder ist das nur eine ästhetische Kategorie? Sein ihm bald verhasster Nicht-Schwiegervater Agamemnon wurde von Anosshah Golesorkhi gesungen und entpuppte sich redlich enttäuschend. Immerhin tat sich James Moellenhoff als klandestiner Priester Kalchas hervor, der seine Gegenspieler mit kraftvollem Bass das Fürchten lehrt. Die lachende Letzte, Diana, gab Jennifer Porto glockenrein mit siegesgewissem Sopran.

Der Leipziger „Gluck-Ring“ soll in der Handschrift Konwitschnys mit „Iphigenie auf Tauris“ und „Armida“ fortgesetzt werden. Bereits am 5. Dezember gibt es einen sogenannten Mythentag: Vormittags „Alkestis“, dann erlabende „Speisen wie die alten Griechen“ und/oder Museumsführungen zu antiken und modernen Götterdarstellungen, abends „Iphigenie“ und abschließend ein Publikumsgespräch mit dem Regisseur.

Weitere Termine: 5. und 21.12.2010, 16.1.2011

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!