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Jenseits des Limits und der Limmat: Vincenzo Bellinis „La Straniera“ am Züricher Opernhaus

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Zu den frühen Opern von Vincenzo Bellini (1801–1835) gehört gehört neben „Il pirata“ das melodramma „La straniera“, zu dem der Routinier Felice Romani das Libretto nach einem Roman von Charles-Victor Prévost Vicomte d’Arlincourt fertigte und das Anfang 1829 an der Scala im Mailand uraufgeführt wurde. Gerügt und gerühmt wurde an der Straniera-Partiur von Anfang an, dass in ihr teilweise die tradierte Arien-Struktur aufgegeben wurde und über größere Strecken „gesungene Deklamation oder deklamierter Gesang“ herrscht (zumal in der Partie des Heldentenors). Mithin handelte es sich partiell um ein „Kunstwerk der Zukunft“. Das wurde nun als Rarität am Züricher Opernhaus serviert.

Grundsolide Rohheit

Nicht nur das Mittelalter selbst war, bei aller Faszination, die es seit der Ära der Romantik wieder entwickelte, in der Wahrnehmung späterer Epochen voll Rohheit. Auch in der künstlerischen Bearbeitung von Stoffen vom Ende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt und aus dem ersten Drittel des zweiten Millenniums spiegeln sich gewisse rohe Bräuche bei der Kriegsführung und unschöne Angewohnheiten der christlichen Zivilgesellschaft, die dann zunehmend durch zwischenstaatliche Vereinbarungen (wie sie sich z.B. in den Regelungen des Westfälischen Friedens finden oder später in der Haager Landkriegsordnung), durch Verfassungen und Gesetzgebung z.B. gegen die Folter und die Hexenverbrennungen eingedämmt werden sollten.

Die Art des Zugriffs von Fabio Luisi auf die Musik zu Vincenzo Bellinis „Straniera“ erinnerte nun – ob absichtsvoll oder aus anderen Gründen – an mittelalterliche Rohheit. Insgesamt hoch ausgesteuert erschien die Tonspur zur Geschichte der ominösen Alaide, die im Jahre des Herrn 1193 ländlich abgeschieden und allein lebt, deshalb von den Dörflern zur Hexe erklärt wird – m.E. zu hoch für das nur mittelgroße Züricher Stadttheater. Die Bläser treten bei ihren Soli mit den hinsichtlich der Lautstärke seit den 1820er Jahren drastisch nachgebesserten Instrumenten unangenehm aufdringlich hervor und verletzten die Balance, das Tutti knallt immer wieder undifferenziert, die Sänger-Crew brüllt, wann immer dazu auch nur der geringste Anlass gegeben erscheint – und die Primadonna gerne eine Handbreit zu tief. Aber es gibt wohl noch immer eine Fraktion im Opern-Publikum, die das für eine Kunst hält. Was hat dasselbe Orchester z.B. unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt nicht an angemessener Differenzierung geleistet?!

Bellini war der ein paar Jahre lang der tonangebende Opernmeister südlich der Alpen in der Restaurationsepoche nach 1815. Die Oper „La straniera“ bezog ihren Plot aus dem Kontingent französischer Romantik, deren emphatischer Geist die „leidenschaftliche Begeisterung“ für „das Erhabene und Unendliche“ nähren wollte – nebenbei auch die Akzeptanz von Royalismus, Kirchenjustiz und vernunftgezügelten Liebeswünschen beförderte. Die Fremde, die der mit Isoletta verlobte Graf Ravenstein entdeckt und begehrt, um derentwillen er seinen besten Freund, Baron Valdeburgo, fast totsticht, entpuppt sich als die vom französischen König Philippe II im Jahr 1193 verstoßene Gattin Agneses, die der Schutzhaft entfloh und als Einsiedlerin ihrer Trauer lebt. Bei „La straniera“ handelt es sich um eine Handlung, deren Formen des erotischen Begehrens, der Ehrbezeugung durch Minneritual und Duell sowie des Liebestods von heutigen Praktiken der Liebe und Familienpolitik extrem fern sind. Das mindert den Reiz dieser Oper von 1829 weniger als die Kollision der partiellen Fortschrittlichkeit auf musikalisch-technischem Terrain mit der Restauration von idyllisiertem Mittelalter. Die subkutan einmontierten bzw. von der Peripherie her evident zu Tage tretenden system- und staatskonformen Botschaften des Werks, gerankt um die ‚natürliche‘ Würde von Alaide als geflohener Königin, mögen für Teile des Publikums beseligend wirken. Wer genauer zuhört, dürfte sie als penetrant empfinden.

Bellcanto

Die Züricher Aufführung basiert nicht nur in musikalischer Hinsicht auf einem schrägen Verständnis des Historischen. Der Regisseur Christof Loy liest aus dem Libretto „Hitchcocksche Qualität“ heraus. Aber einen Opern-Krimi hat er nicht auf die Bühne gezaubert im Einheitsraum. Der erinnert mit seinen Zügen und Nornenseilen an ein Theater in der Entstehungszeit der Oper, in dem es aber dann viel Stehtheater gibt und gelegentlich von rechts nach links trabende Choristen. Ein Landschaftgemälde, das zunächst im Hintergrund hängt, später herumgetragen wird, erinnert an die Uferlandschaft beim Castello di Montolino, an der Bellini seine Musik ansiedelte. In ihrer Einfallslosigkeit und dem unbeholfenen Umgang mit dem teils stark übergewichtigen Sängerpersonal nähert sich die Produktion der Schmerzgrenze der Historienoper, an der die Historie für eine Quantité négligeable erachtet wird.

Dabei bringt Franco Vassallo als Valdeburgo alias königlicher Schwager Leopoldo bestes Stimm-Material mit, weiß distinguiert aufzutreten und mit sympathisch-markantem Bariton für sich einzunehmen. Auch Dario Schmunck schlägt sich in der tragischen Heldentenor-Partie des Grafen Arturo wacker, mit dem Degen aber nur hinter einem halb durchscheinenden Vorhang zu, sodass seine Fechtkünste tatsächlich nicht bewertet werden können. Der attraktiven Veronica Simeoni ist die nicht sonderlich prickelnd Rolle der immer wieder auf ihren älteren Brautrechten insistierenden Isoletta anvertraut – ein Inselchen des Belcanto in der ansonsten raueren See des aus „romantischem“ Anlass zum Dramatischen drängenden Gesangs.

Was aber Edita Gruberova als Schlachtross der Titelpartie in die Halle stemmt, konterkariert nicht nur die der Rolle inhärente feudale Königinnenwürde, sondern ist mit den fortgesetzten Distonationen eine freche Zumutung. Es ist, als würde im ansonsten qualitätsbewussten Zürich nicht mit Fränkli bezahlt, sondern mit Lire aus einer alten Schatulle. Was Frau Gruberova an der Limmat abliefert, ist jenseits des Limits. Der Intendant Andreas Homoki weiß das. Aber der Kotau vor der offenkundig unsterblichen Fan-Gemeinde ist in voller Tiefe beabsichtigt. Damit empfiehlt sich dieser Theaterdirektor für die künstlerische Leitung der Salzburger Festspiele, wo sein Züricher Vorgänger Alexander Pereira gerade seinen vorzeitigen Abgang (Richtung Mailand) angekündigt hat. Glück auf!

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