Schwetzingen - An einem Tisch auf der Bühne sitzt ein Mann und schreibt. Zwischendurch flüstert, murmelt und spricht er wie zu sich selbst. Aber er ist nicht allein, drei Sängerinnen schalten sich ein, aus dem Hintergrund erklingt Schlagzeug. Im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses laufen die Proben zur abstrakten Kammeroper «Le Père». Der Schweizer Komponist Michael Jarrell, seit langem fasziniert von den Texten des 1995 verstorbenen Autors Heiner Müller, hat Auszüge aus dessen Text «Der Vater» in französischer Übersetzung vertont.
Die experimentierfreudigen Schwetzinger Festspiele werden den Klang gewordenen Text unter dem Titel «Le Père» am Donnerstag (3. Juni) im Rokokotheater uraufführen. In «Der Vater» setzte sich der bekannte Theaterautor und Schriftsteller Heiner Müller intensiv mit der schwierigen Beziehung zu seinem Vater auseinander. «Es ist ein kleiner Bildungsroman, ein scharfer Text ohne Pathos, ohne Romantik», beschreibt Regisseur André Wilms die Vorlage. Mit dem in Frankreich viel gespielten Autor stand Wilms vor Jahren gemeinsam auf der Bühne. Auch den französischsprachigen Komponisten Jarrell kennt Wilms gut. Wirken Heiner Müllers Worte in französischer Sprache nicht verfremdet? «Auf Französisch klingen Heiner Müllers Texte manchmal überraschend zart», sagt Wilms.
Gilles Privat verkörpert Müller, wie er über dem Manuskript am Tisch sitzt. Seine gesprochenen Worte finden einen Widerhall in der Musik für sechs Schlagzeuger und drei Sängerinnen. «Die Musik ist sehr fein, sehr atmosphärisch. Jarrell erweckt mit ihr Stimmungen. Seine Komposition wird nur selten laut oder lautmalerisch wie am Anfang, wenn das Schlagzeug an Gewehrsalven erinnert. Insgesamt ist sie, anders als Filmmusik, nicht illustrativ», findet Susanne Leitz-Lorey. Sie ist zusammen mit der Mezzosopranistin, der Altistin und den sechs Schlagzeugern der Percussions de Strasbourg zwar auf der Bühne präsent. Aber es gibt keine Handlung, in die André Wilms die Sängerinnen und Musiker integrieren könnte. Susanne Leitz-Lorey spricht von einer «Visualisierung der Musik».
«Wir sind das Bild der Mutter, das der Autor während des Schreibens vor sich hat, zugleich sind wir aber auch die Stimmen in seinem Kopf», erklärt die Sopranistin. Sie und ihre Kolleginnen erinnern in ihren identischen gelben 40er-Jahre-Kleidchen an den Hintergrund von «Le Père». Müllers Vater, überzeugter Sozialdemokrat, wurde von den Nazis verhaftet. Ein Kindheitstrauma, an das der Junge gemahnt, der als das Kind Heiner von einem riesigen Teddybär auf dem von Erde bedeckten Bühnenboden abgesetzt wird. Zu Jarrells komplexem Gewebe aus gesprochenem und gesungenem Wort mit dezenter Schlagwerkbegleitung kommen Videoprojektionen und elektronische Musik. Letztere wird von dem einschlägig bekannten Institut IRCAM in Paris beigesteuert.
«Hinter Heiner Müllers Texten steckt auch Witz, man muss ihn nur finden», sagt André Wilms. Mit Ehrlichkeit, Zärtlichkeit und Witz müsse man an Müllers Texte, auch an «Der Vater», herangehen. Pathos und Intensität seien dagegen unbedingt zu vermeiden. Die Verbindung aus den Französisch gesprochen Textfragmenten und Michael Jarrells moderner Musik stelle Ansprüche an das Publikum, meint Wilms. Das sei durchaus positiv.
Am Donnerstag wird «Le Père» im Rokokotheater uraufgeführt und im Rahmen der Festspiele am 4. und 5. Juni nochmals gespielt. Vom 17. bis zum 19. Juni ist «Le Père» beim Festival Agora im Pariser Theatre de l'Athénée zu erleben.