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Zapfsäulen am Strand: Rezniceks „Benzin“ am Theater Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski
Zapfsäulen am Strand: Rezniceks „Benzin“ am Theater Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski
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Keine Explosionsgefahr: Emil Nikolaus von Rezniceks Oper „Benzin“ nach 80 Jahren in Chemnitz uraufgeführt

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Auf nach Chemnitz in die Oper, die Reise lohnt, besonders wenn das Team Mut beweist und Stücke auf die Bühne bringt, von denen selbst Fachleute bislang bestenfalls gehört hatten. Mit „Il Templario“ erfuhr man hier, dass man mit dem Namen des Komponisten Otto Nicolai mehr verbinden muss als „Die lustigen Weiber von Windsor“. Peter Eötvös´ „Love And Other Demons“ wurde als zeitgenössisches Werk ein Publikumsrenner und von der deutschen Erstaufführung „Pinocchios Abenteuer“ des Engländers Jonathan Dove ließen sich alle Altersgruppen im Opernhaus verzaubern.

Die aktuelle Chemnitzer Entdeckung heißt – für eine Oper schon mal ziemlich ungewöhnlich – „Benzin“. Es ist eine Uraufführung, und diese erfolgt 80 Jahre nach der Entstehung des Werkes. Der Komponist, Emil Nikolaus von Reznicek, zu Lebezeiten angesehener Komponist und Dirigent, später auch bedeutender Schmetterlingssammler, starb 1945 im Alter von 85 Jahren.

Als das heiter-phantastische Spiel mit Musik 1929 fertig war, wollte es keiner haben, die Opernhäuser lehnten ab. Unverständlich, lagen doch die Dinge, um die es hier geht, damals in der Luft: ein wenig Frauenemanzipation, ein wenig Körperkultur, etwas Kritik an allgemeiner Männlichkeit und vor allem die Luftfahrt, die Transatlantikflüge und die Weltumrundungen mit dem Zeppelin. Und irgendwann hatte die Zeit das Zeitstück überholt und nach dem großen Unglück in der Geschichte der Luftfahrt mit dem Zeppelin im Jahre 1937 war es nicht mehr möglich dieses Thema heiter zu besingen.

Jetzt, so der Eindruck nach der verspäteten Uraufführung, ist es erst recht zu spät für ein solches Stück. Es bleibt am Ende lediglich ein netter, hübscher Abend, mit dieser Variante eines antiken Stoffes um Odysseus und die Zauberin Circe. Hier geht es um Ulysses Eisenhardt, einen Zeppelinkommandanten, der seine Weltumrundung unterbrechen muss, denn das Benzin ist alle. Auf einer unbekannten Insel gibt es diese Flüssigkeit wie Sand am Meer. Die Herrin dieses Treibstoffparadieses heißt Gladys, hat einen milliardenschweren Papa und die Fähigkeit, die Männer zu becircen. Sie hypnotisiert sie und setzt ihnen jene Tiermaske auf, die zu ihnen passt. Nur beim Kommandanten Ulysses klappt das nicht. Der Muttersohn ist immun gegen die Macht der Milliardärin. So geht das Spiel hin und her, sie will nicht verlieren, er will sich nicht verlieren, kleine Intrigen und Nebenhandlungen, Morddrohungen mit einem nicht geladenen Revolver, Benzinverweigerung und am Ende doch das Glück über den Wolken im Luftschiff, voll aufgetankt.

Das Stück währt nicht viel mehr als 90 Minuten, die aber werden lang, denn man hat immer wieder mal den Eindruck, hier sei das nicht brennbare Benzin erfunden worden. Für den Regisseur Martin Duncan gibt die locker gehäkelte Story nicht viel her, er lässt sie also ohne Höhepunkte und Überraschungen dahin gehen. Für den Ausstatter Francis O´Connor ist mehr drin, etwa bei so schönen Bildern wie einem Strand mit einer Vielzahl pittoresker bunter Zapfsäulen, einer imposanten Luftschifflandung zu Beginn, einem Start zum Finale vor romantischem Sternenhimmel.

Der Choreograf Nick Winston unterfordert die Chemnitzer Tänzer sträflich mit dürftigen Nachzeichnungen dessen, was ohnehin besungen wird. Das Ensemble der Sängerinnen und Sänger bewährt sich in allen Partien, für außergewöhnliche Glanzleistungen bietet die Unentschiedenheit der Musik keinen Anlass. Der Dirigent Frank Beermann und das Orchester, lassen der Musik alle Chancen zukommen, richtig mitreißen und überzeugen kann der edle Einsatz nicht.

Von Rezniceks Musik ist voller Anspielungen und Anklänge, Richard Strauss grüßt mehrfach. Auch Unterhaltungssounds der 1920er-Jahre fließen ein, aber immer kurz, längere Ansätze in arioser Form, Balladen, Duette oder auch ein melodisch wunderbar gesetztes Quartett verlieren sich ohne Spannungsbögen. Eine Jazzband wirkt mehr als gezähmt. Am Ende ein braver Eindruck, musikalisch und szenisch.

Das alles aber spricht überhaupt nicht gegen der Mut der Oper in Chemnitz immer wieder nach unbekannten Stücken zu suchen und sie vorzustellen. Das kann nicht immer klappen. Oftmals aber hat es hier vorzüglich funktioniert, so dass auch die aktuelle Ausgrabung der Neugier auf weitere Chemnitzer grundsätzlich Entdeckungen keinen Abbruch tut. Schon zu Beginn des nächsten Jahres, am 29. Januar, gibt es die Wiederaufführung einer unbekannten Oper von Otto Nicolai, letztmals gespielt 1897, mit dem passenden Titel „Die Heimkehr des Verbannten“. Chemnitz bleibt die Reise wert. 

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