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Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden bei ihrer ersten gemeinsamen Tournee. Foto: Matthias Creutziger
Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden bei ihrer ersten gemeinsamen Tournee. Foto: Matthias Creutziger
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Keine Hochzeitsreise: zur ersten Tournee der Dresdner Staatskapelle mit Christian Thielemann

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Eine Balz hat es gar nicht gegeben. Sie sind dennoch ein Paar. Nur der offizielle Eheschluss steht erst noch aus. Für Flitterwochen ist es daher ebenso zu früh wie schon zu spät. Die Sächsische Staatskapelle und ihr designierter Chefdirigent Christian Thielemann – eigentlich noch zwei Künftige, denn ihr vertragliches Zusammenspiel beginnt erst zur Saison 2012/13 – sind offenbar schon längst im künstlerischen Alltag angekommen. Mitte September absolvierten sie ihre erste gemeinsame Gastspielreise.

Ein gutes Vorspiel kann zauberhaft schön sein. Da ist alle Erwartung geradezu himmlisch. Jede Romanze, sofern sie kein böses Nachspiel hat, hebt die Beteiligten in überirdische Zustände. Zwischen der so traditionsreichen Sächsischen Staatskapelle, deren Wurzeln bis ins Jahr 1548 zurückreichen, und dem 1959 in Berlin geborenen Dirigenten Christian Thielemann scheint binnen kürzester Zeit eine Art von Symbiose gewachsen zu sein, wie man sie zwischen First-Class-Orchestern und Stardirigenten heutzutage kaum mehr kennt.

Sie haben sich nicht gesucht, sie haben einander gefunden. Und allen Unkenrufen zum Trotz – sie passen vortrefflich zueinander. Wer da nach den ersten Konzerten noch skeptisch gewesen sein mochte, den überzeugte spätestens die erste gemeinsame Europa-Tournee von Kapelle und baldigem Chef. Apropos Vorurteile: Dem Thielemann hängst seit langem an, durch seine Hinwendung zu speziellem Repertoire – insbesondere zum Komponisten Hans Pfitzner – einen konservativen Geist zu bedienen. Und nun bringt er diesen Pfitzner nach Dresden, in einen Hort des Konservativen! Tatsächlich erklang zum ersten Sinfoniekonzert der Saison das Klavierkonzert Es-Dur. Anlass entsetzter Aufschreie? Mitnichten. Denn erstens ist dieses Konzert 1923 von der Staatskapelle unter ihrem damaligen Generalmusikdirektor Fritz Busch uraufgeführt worden und zweitens erweist sich die Musik über allem Zweifel erhaben. Ein Werk zwischen Romantik und Neoklassik, kein stürmerisches Ausloten oder gar Neuentdecken von Klangkunst des 20. Jahrhunderts, aber ein Werk mit virtuoser Raffinesse, das sowohl den Solopart als auch das Orchester ganz mächtig fordert.

Ihm vorangestellt war mit dem „Nocturne symphonique“ von Ferruccio Busoni eine Art Gegenstück, denn der italo-deutsche Komponist war zeitlebens ein bekennender Erneuerer, einer, der musikalisch nach Wagnis und neuer Sprachform gesucht hat. Sein 1925 (ebenfalls unter Fritz Busch) in Dresden uraufgeführter „Doktor Faust“ ist ein noch heutige geltendes Beispiel dafür. So war es nur logisch, dieses Programm unter den Titel „Musikalische Antipoden“ zu stellen. Zu besserer Verdeutlichung ließ Thielemann das nur gut achtminütige Busoni-Nocturne denn auch gleich zweimal erklingen. Für den krönenden Schluss war die erste Sinfonie von Johannes Brahms gewählt worden, an der er sich lange abgemüht hatte und die bestens belegt, wieso Brahms einerseits als Bewahrer und andererseits als Aufbrechender sowohl gepriesen als auch verdammt worden ist.

Bruckner am Uraufführungsort

Dresdens Publikum war zwei Abende lang begeistert und bejubelte sowohl die Leistungen von Dirigent und Orchester als auch die des 1963 in Florida geborenen Pianisten Tzimon Barto, der den Solopart des Es-Dur-Konzertes extra für diese Konzerte und die sich anschließende Tournee einstudiert hatte.

Doch an den ersten beiden Stationen, in der Philharmonie Essen sowie im Großen Saal des Musikvereins Wien, erklang gar nicht dieses Programm, sondern Anton Bruckners Sinfonie Nr. 8 c-Moll. Insbesondere am Ort ihrer 1892 erfolgten Uraufführung, eben dem Musikvereinssaal, wo die Wiener Philharmoniker das eineinhalbstündige „Monstrum“, wie Bruckner die Achte benannte, waren die Erwartungen natürlich enorm. Sowohl Christian Thielemann als auch die Sächsische Staatskapelle sind hier willkommene Gäste und mit dem besonderen Klang des Goldenen Saals bestens vertraut. Aber bis auf ein Gastkonzert im vorigen Jahr, bei dem Thielemann für ein Dirigat eingesprungen war, sind sie noch nie gemeinsam auf diesem Podium gewesen. Was nun quasi als Debüt erfolgte, war also im Grunde ein Heimspiel. Der fulminanten Interpretation, die alle akustischen Möglichkeiten des Raumes ausschöpfte, die hauchdünnen Grenzen zwischen kraftvoll und zu laut aber nie einriss, folgte eine Jubelorgie der Wiener. Das durchaus verwöhnte und zu Recht anspruchsvolle Publikum feierte die Kapelle und holte Thielemann selbst nach deren Abgang von der Bühne noch dreimal solo heraus. Eine sicherlich ganz besondere Ehrerweisung.

Ähnlich erfolgreich, wenn auch akustisch unter ziemlich anderen Bedingungen, denen sich die Dresdner Gäste mit Bravour gestellt haben, wurde der Bruckner-Koloss zwei Tage später zum Lucerne Festival wiederholt. Im Konzertsaal des Kultur- und Kongresszentrums Luzern, dem vor zehn Jahren von Jean Nouvel direkt am Vierwaldstättersee errichteten Prachtbau der Moderne, war eine weiträumige, weniger grelle Klangentfaltung zu beachten. Feinste Nuancen dringen da bis in den letzten Winkel des Saals, auch der Nachhall ist modifiziert. Wie klug dosierend Thielemann am Pult mit diesen Herausforderungen umzugehen verstand, das unterstrich einmal mehr seinen Erfahrungsschatz, den sich der einstige Karajan-Assistent und Kapellmeister von der Pike auf erarbeitet hat.

Im direkten Umfeld weiterer namhafter Orchester von Weltrang – neben Berliner, Londoner und Wiener Philharmonikern musizieren die Berliner Staatskapelle, das Chicago Symphony und das Israel Philharmonic Orchestra, das Gewandhausorchester Leipzig sowie natürlich das Lucerne Festival Orchestra und sowieso die Festival Academy, gaben sich dort unter anderem Claudio Abbado, Daniel Barenboim, Pierre Boulez, Riccardo Chailly, Peter Eötvös, Julia Fischer, Vladimir Jurowsky, Igor Levit, Yannick Nézet-Séguin, Mauricio Pollini, Franz Welser-Möst und viele, viele andere die Klinken in die Hand – spielte die Sächsische Staatskapelle in einem zweiten Konzert das „Antipoden“-Programm mit Busoni, Pfitzner und Brahms. Dabei fiel auf, dass dem Festivalpublikum am Zugang zum Nachtstück kaum gelegen war (obzwar das Thema „Nacht“ in diesem Jahr dem Lucerne Festival 2011 das Motto gab), es aber die virtuosen Leistungen im Klavierkonzert heftig honorierte und sich dann gerne vom emotionalen Reichtum der bekannten Brahms-Sinfonie gefangen nehmen ließ.

Mit derselben Konzertfolge ging die Reise weiter zum musikfest berlin in die dortige Philharmonie. Für Thielemann ein Heimspiel der anderen Art, weniger, weil es sein Geburtsort ist, sondern vor allem, weil er hier an der Deutschen Oper begann und später sieben Jahre lang deren Generalmusikdirektor gewesen ist. Kurz: Man lag ihm zu Füßen, wollte den Busoni gern wieder zweimal anhören, feierte den in sich so disparaten Pfitzner und wollte es mit dem Brahms nicht genug sein lassen. Als Dank und zum Abschied wurde – wie zuvor schon im letzten Luzerner Konzert – das Vorspiel zum dritten Aufzug aus Wagners „Lohengrin“ nachgelegt.

Ein weiterer Beweis dafür, wie vertraut Dirigent und Orchester bereits miteinander umgehen, wie sehr sie sich gegenseitig vertrauen und ihre Beziehung auf höchstem Niveau ausleben wollen.

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