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Titelseite der nmz 5/2012.
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Klein-Klang

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Theo Geißler über einen musikalischen Schulterschluss
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Ist doch immer wieder hübsch, zuzuschauen: beim freien Spiel der Kräfte in unserer sozialen Marktwirtschaft. Das muntere Benzinpreis-Jo-Jo zum Beispiel. Nachfrage regelt das Angebot – unter der Prämisse, dass Geiz geil ist und wir alle nicht blöd sind. Schließlich liefert und montiert bis Pfingsten der Osterhase unser neues Home-Entertainment-Center umsonst.

Noch kommt es zu bösen Pannen: So holpert unsere ökonomische Prosperität, weil wir zu wenig deutsche Ingenieure haben. Im – staatlichen – Bildungsbereich funktioniert das Prinzip von Angebot und Nachfrage offensichtlich nicht. Logische Konsequenz: Privatisierung aller Schulen und Universitäten. Unter dem coolen Management von Bankern und Großindustrie-Cheffes kommt dann so richtig Schwung in die schnellen Brüter für effizienten MINT-Nachwuchs. Unsere Zukunft findet in feinen neuen Industrie- und IT-Welten statt. Kultur und Künste – diese Marshmallow-Sparten lenken von der wahren Sehnsucht des Menschen nur ab. Es lebe der Erwerbstrieb. Wir hochsubventionierten Musikwinkel-Mäuschen sind da nicht ganz untätig. Viel unserer wenigen Energie haben wir in das Abstecken von Claims gepackt. Konkurrenz belebt ja das „Geschäft“. 

Da ist zum einen die Schulmusik. Sie leistet bekanntlich alles nur Erdenkliche zur flächendeckenden „Grundmusikalisierung“ unserer Kinder. Zwar fallen grob geschätzt gut 50 Prozent der ohnedies in den Stundentafeln raren Musikstunden wegen Lehrermangels aus. Das schützt nicht vor schwellendem Standesbewusstsein und Abgrenzungsbedürfnis gegenüber sonstigen musikerzieherischen Institutionen – etwa den Musikschulen. Deren Personal krebst – selbstverschuldet, hätten die doch was Anständiges gelernt – im Wesentlichen an der Prekariatsgrenze. Immerhin stehen sie als Orchideen-Reservate für humanistisch verblendete Eltern parat, deren Luxus-Sehnsüchte in die Ausformung kultureller Fähigkeiten und Fertigkeiten ihres Nachwuchses fast asozial Befriedigung fordern. Und das auch noch mit öffentlichen Mitteln gefördert. 

Ein Anachronismus. Denn gleichzeitig schießen ja private Musikschulen aus dem dürren Musen-Boden, die für sich in Anspruch nehmen, ebensolches in eigenständiger wirtschaftlicher Verantwortung leisten zu können. Keyboarder, Gitarristen, Schlagzeuger braucht das Land. Wozu noch Oboe, Posaune, Bratsche lernen in Zeiten von Orchesterfusionen und knappen Kassen? Soll die hart arbeitende Bevölkerung, vom Rentnerberg ohnehin schon ausgebeutet und erkennbar so Beethoven-affin wie die Dogge zur Katze, jetzt auch noch für wertloses Freizeit- oder Elitekultur-Gedudel löhnen? Das wird jetzt ausgefochten. Wollen doch mal sehen, wer die besseren Argumente im finalen materiellen Verteilungskampf hat.

Da läuft was gründlich schief? Machen wir kaputt, was uns nach vorn brächte? Ist es eine Schande, gelegentlich laut unisono zu singen, um angemessenes Gehör zu finden? Ein Schulterschluss für den Musenkuss emotional verkarsteter Politiker-Seelen? Antworten hoffentlich demnächst bei der Arbeitstagung des Verbandes deutscher Musikschulen in Lübeck.

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