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Mitreißender Gang durch die Geschichte des Musiktheaters: Wagner-Régenys „Der Günstling“ in Annaberg mit Laszlo Varga (Renard) und Bettina Grothkopf (Maria Tudor). Foto: Wingerstein Theater/Dieter Knoblauch
Mitreißender Gang durch die Geschichte des Musiktheaters: Wagner-Régenys „Der Günstling“ in Annaberg mit Laszlo Varga (Renard) und Bettina Grothkopf (Maria Tudor). Foto: Wingerstein Theater/Dieter Knoblauch
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Kleines Theater – große Oper: Rudolf Wagner-Régenys „Der Günstling“ in Annaberg

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Es dürfte eines der kleinsten Theater in Deutschland sein, das Eduard-von-Winterstein-Theater in der erzgebirgischen Stadt Annaberg. Vor 120 Jahren eröffnet, bis heute immer auch durch bürgerschaftliches Engagement getragen, trägt es den Namen des Schauspielers, der damals den „Egmont“ spielte und später zu einer deutschen Theater-Legende wurde.

Zusammen mit der Erzgebirge Philharmonie Aue macht dieses architektonisch reizvolle Theater mit nicht mal 300 Plätzen immer wieder auch durch ungewöhnliche Produktionen des Musiktheaters auf sich aufmerksam. Neben publikumswirksamen Dauerbrennern kamen immer wieder Werke des neueren Musiktheaters ins Repertoire. Jetzt erinnert das Ensemble mutig an den Komponisten Rudolf Wagner-Régeny, der von 1903 bis 1969 lebte, dessen Werke bis in die 70ger Jahre in Ost und West gespielt wurden, inzwischen aber kaum noch bekannt sind. Wie lohnend und erfreulich so ein Widerhören sein kann, machte die erfolgreiche Premiere der Oper „Der Günstling“ am Sonntag vor ausverkauftem Haus deutlich.

Wagner-Régeny, der Komponist aus Siebenbürgen, Schüler von Franz Schreker in Berlin, wandte sich bald der Musikdramatik zu. „Der Günstling“ war seine erste große Oper. Die Dresdner Uraufführung 1935 unter Karl Böhm in der Semperoper war ein Erfolg. Caspar Neher, von dem auch das Bühnenbild stammte, hatte den Text nach einem Drama Victor Hugo geschrieben. Er orientierte sich auch an revolutionären Texten von Georg Büchner, so finden sich deutliche Bezüge zu dessen Streitschrift „Der Hessische Landbote“ im Libretto. Von Dresden aus eroberte das Werk in kurzer Zeit weit über 100 Bühnen.

Den Nazis war das Werk gar nicht genehm. Geht es doch darum, dass eine verblendete Königin, Maria Tudor, die Blutige, den kriminellen Schmarotzer und Abenteuerer Fabiano Fabiani aushält, der sich ihre erotische Abhängigkeit zunutze macht, was ihn nicht abhält seine Gönnerin zu hintergehen und mit Jane, der Braut des Arbeiters Gil, zu betrügen.

In seltener Einheit von Obrigkeit, in Gestalt das Ministers Simon Renard und der Stadtältesten und Untertanen, in Gestalt des Arbeiters Gil, kann der „Günstling“ gegen den Willen der obersten Frau im Staat vernichtet werden. Musikalisch ist das Werk ist ein mitreißender Gang durch die Geschichte des Musiktheaters vom Barock bis in die Zwölftontechnik. Die Musik ist kraftvoll, hat Dramatik, ist dem Fluss der Erzählung verpflichtet, erinnert auch an Brecht und Weill. Wagner-Régeny wollte durch Rückbesinnung auf Formen der Vorklassik den Klangkaskaden in der Wagner-Nachfolge und bei Richard Strauss neue Klarheit entgegensetzten.

Klarheit, wie sie der Komponist und sein Textdichter verstanden, schließt Sinnlichkeit und Emotion nicht aus. Genau das war jüngst in der Annaberger Premiere zu erleben. Über eine gewisse Holzschnittartigkeit der Handlung lässt sich hinwegsehen, hat man doch genug zu hören. Geschickt eingesetzte und vorgetragene Elemente des Verismo, ja regelrechte Bravourstücke wie Arien und Duette, das bewegende Klagegebet des Gil oder jazzige-tänzerische Passagen wurden spontan mit Beifall bedacht.

Das Annaberger Theater und die Philharmonie Aue unter der Leitung von Naoshi Takahashi wagen viel. Der Gewinn ist hoch. Das gilt vor allem für die musikalische Wiedergabe. Der Spannungsbogen von den ersten dunklen Streichertönen mit aufsteigenden Klagegesängen des Herrenchores bis zum hymnischen Jubel des trügerischen Schlusses hält. Das Ensemble wirft sich mit hohem Einsatz in das ganz und gar nicht leicht zu bewältigende Klanggeschehen. Es überzeugt in allen Partien mit individuellen, vor allem authentischen, Leistungen. Da ist der junge Bariton Werner Kraus in der Partie des Arbeiters Gil. Er kann der Geradlinigkeit seiner Figur rundum überzeugende Klänge geben.

Rollengerecht in der Klarheit des Tones und des musikalischen Gestus der Bassist László Varga als Minister und mit dem übermütigen Ton des Hochmuts charakterisiert der Tenor Francisco Almanza den Schurken. Bettina Grothkopfs sicherer Sopran hat die dramatische Kraft für die Partie der Königin, Marita Posselt gibt der Jane anrührende Züge, in einer melodramatischen Sprecherrolle bewährt sich Leander de Marel. Der verstärkte Chor, die Herren besonders, loten erfolgreich in der Einstudierung von Uwe Hanke die Grenzen ihrer Möglichkeinen aus.

Das szenische Geschehen in der Regie von Paul Flieder, auch als Dokumentarfilmer, Buchautor und Kriegsberichterstatter für ORF und Spiegel hervorgetreten, überzeugt weniger. Er beschränkt sich auf die Organisation der Abläufe. Viel Raum hat er dazu nicht, denn Wolfgang Clausnitzers drehbare Architektur aus Bunkerelementen, einem erotischen Kabinett, Treppenaufgängen, bekrönt von den tönernen Füßen eines mächtigen Standbilds wie es Diktatoren lieben, beherrscht die ohnehin kleine Bühne. Der Schriftzug „Wir sind das Volk“ auf dem Vorhang und der Chor zum Finale in der Alltagskleidung aller Klassen, das sind nicht mehr als plakative Hinweise auf sonst eher vage ausgeführte Aktualisierungsabsichten. Und da sind einige Chancen vertan.

Die von der Musikalität ausgehende Wirkung bleibt dennoch gänzlich unbeeinträchtigt und lässt das begeisterte Publikum nach 90 Minuten ohne Pause einhellig jubeln.

 

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