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Thilo Seevers & Uli Rennert. Foto: Jernej Kokol
Thilo Seevers & Uli Rennert. Foto: Jernej Kokol
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Kreative Kraft in Todestragik – Das HOME-Projekt von Thilo Seevers und Uli Rennert

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Begegnungen können sich aufgrund seltsamer Zufälle ereignen. – Klassisch ausgebildet und bei einigen Wettbewerben erfolgreich, entschied sich Thilo Seevers, geboren 1993 in Bremen, nach einem Studienaufenthalt in Brasilien zum Jazzmetier zu wechseln. Von 2012 bis 2018 studierte er Klavier an der Kunstuniversität Graz, zugleich die älteste Ausbildungsstätte für Jazz in Europa. Seit dem Abschluss mit Auszeichnung profiliert sich Thilo Seevers als Jazzkomponist und ist in verschiedenen eigenen Bands aktiv. – Einige Dekaden zuvor hatte es auch Uli Rennert, geboren 1960 in Frankfurt /M., dorthin gezogen. Er hatte zunächst Unterricht an der Posaune bei Albert Mangelsdorff, ist dann zum Klavier gewechselt und hat sich ausgiebig mit stiladäquatem Einsatz von Synthesizern und anderen elektronischen Klanggeräten im Jazz beschäftigt. In Graz war er Professor für Improvisation, leitete darüber hinaus eigene Ensembles und war Pianist in der Jazzbigband Graz. Uli Rennert starb am 5.Februar 2021 aufgrund einer Corona-Infektion.

Sein Tod unterbrach eine während des Lockdowns begonnene intensive Phase der Zusammenarbeit mit Thilo Seevers. Skizzierten Kompositionen von Thilo Seevers dekorierte und integrierte Uli Rennert elektronische Klänge, sodass etwa „Moonrise“ dissonante Akkorde merkwürdig nachhallen und spirituelle Sphären für Klavier-Extempores öffnen. In „HOME“ umhüllen artifizielle Luftgeräusche kontemplative Klänge, die zu einem Akkordeon-Monolog überleiten. Und „For U“ bereitet Wellenkinetik den Weg für suggestive Klavier-Repetitionen. Im nmz-Gespräch mit Hans-Dieter Grünefeld erzählt Thilo Seevers von seinen Begegnungen mit Uli Rennert und wie kreative Kraft in Todestragik ihr gemeinsames HOME-Projekts formte.


nmz: Wann hast Du Uli Rennert kennengelernt?

Thilo Seevers: Als ich in Graz Klavier studierte, besuchte ich zunächst seine Lehrveranstaltungen, insbesondere zu den Themen Produktion, Aufnahme und Verarbeitung von Musik sowie elektronische Klangerzeugung. Er hat mir in diesen Bereichen die Grundkenntnisse vermittelt. Ein paar Jahre später haben wir angefangen, zusammen Musik zu machen und sind 2015 zum ersten Mal gemeinsam bei einem Konzert aufgetreten. Und weil er eben so viel wusste und Erfahrungen hatte, war er auch bei dem Duo-Album „Acts!“, das ich mit der Sängerin Ana Čop aufgenommen hatte, als Produzent dabei. Das ist die Vorgeschichte. Wir kannten uns also ziemlich gut, bevor wir das HOME-Projekt gestartet hatten.

nmz: Von wem ging die Initiative aus, etwas zusammen zu machen?

Thilo Seevers: Das Projekt hat sich, so wie es jetzt fertig ist, nach und nach ergeben. Hauptursache war 2020 die akute Corona-Situation. Für mich war da gerade viel im Umbruch: mit dem Studium war ich fertig, viele meiner Kollegen auch, viele waren weggezogen. Einige von mir organisierte Projekte hatten sich aufgelöst oder waren komplizierter geworden, weil sie in verschiedenen Ländern stattfinden sollten. Ich war gewohnt, so dreißig / vierzig Konzerte pro Jahr zu spielen, doch durch Corona sind diese Termine weggefallen. Und in dieser Zeit unfreiwillig geminderter Aktivitäten bin ich zu Hause geblieben und habe für mich alleine angefangen, neue Musikskizzen zu machen. Es hat sich dann wunderbar ergeben, dass der Sendesaal in Bremen leer und dort ein Flügel zur Verfügung stand, weil im Lockdown keine Produktionen stattfinden durften. Dann habe ich mein Akkordeon und mein Keyboard eingepackt, bin nach Bremen gefahren und habe dort Aufnahmen gemacht. Auch da hatte ich noch nicht die Idee, ob diese Musik jetzt ein Album oder irgendwann live aufgeführt werden soll. Aber es war mir klar, dass ich etwas ganz anderes, als ich bisher gemacht hatte, ausprobieren wollte, etwas, das nicht direkt mit Jazz zu tun hatte. Als die Aufnahmen fertig waren, habe ich Uli Rennert kontaktiert und ihn gefragt, ob er mir mit der Bearbeitung der Aufnahmen weiterhelfen konnte. Ich hatte viel ungemischtes Rohmaterial, das furchtbar geklungen hat, weil auch in den Arrangements noch nicht alles gepasst hatte. Und er hat mich dabei unterstützt und von sich aus den Ehrgeiz gehabt, die Stücke komplett zu demontieren und modifiziert wieder zusammen zu setzen. So sind in gewisser Hinsicht neue Komposition entstanden.

nmz: Vor welchem Hintergrund hat Uli diese Bearbeitungen gemacht? Hast Du ihm Anweisungen gegeben, hat er das von sich aus gemacht und inwieweit habt ihr kooperiert?

Thilo Seevers: Wir haben uns während des gesamten Prozesses dieses Ideenaustausches überhaupt nicht gesehen. Es war ja Lockdown, und Uli war sehr vorsichtig. Er wollte keine Kontakte riskieren. Deswegen haben wir nur gelegentlich per Telefon oder Videoschaltungen kommuniziert. Grundsätzlich hat er sehr selbstständig gearbeitet. Er hatte die Idee zu den Remixen, und ich habe ihm da nicht reingeredet. Er hat die Remixe also nach seinen Vorstellungen gemacht und mir zwischendurch ein paar Versionen geschickt, damit ich hören konnte, wie die Musik bearbeitet wurde und wie sie klingt.

nmz: Fühlte sich Uli gefährdet?

Thilo Seevers: Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er extrem vorsichtig war, als das Virus begann zu kursieren. Wie er sich angesteckt hat, ist mir ebenfalls unbekannt. Das war noch die Zeit, bevor es einen Impfstoff gab. Er war die meiste Zeit zu Hause. Er ist also überraschend erkrankt und ziemlich bald nach der Covid-Infektion gestorben.

nmz: Wie würdest Du die Persönlichkeit von Uli beschreiben?

Thilo Seevers: Ich würde sagen, wir sind ziemlich ähnlich. Uli war ein unprätentiöser Mensch, der nicht den Auftritt suchte. Wir haben auch gemeinsam, dass wir sehr gerne in Ruhe arbeiten, dass wir lange insbesondere an Details der Musik feilen. Es gibt auch Überschneidungen, wie wir Musik hören und spielen. Wir favorisierten eher unkonventionelle harmonische Progressionen, die allerdings immer eine Logik haben müssen, sodass alle Töne an ihrem Platz begründet werden können. Wir hatten in dieser und anderer Hinsicht das gleiche Verständnis dafür, wie und warum wir etwas machen. Obwohl fast 40 Jahre Altersunterschied zwischen uns liegen, war es für mich immer spannend, wie wir uns ergänzt haben. Er hat in das HOME-Projekt Sounds reingebracht, die mir nie eingefallen wären.

nmz: Warum bist du auf die Idee gekommen, dieses eigentlich unfertige Projekt zu veröffentlichen?

Thilo Seevers: Nachdem ich gehört hatte, dass Uli gestorben ist, war meine erste Reaktion: das HOME-Projekt ist vorbei. Mit der Zeit änderte ich aber meine Einstellung. Ich habe die Musik noch einmal durchgehört und gemerkt, dass einige Titel ziemlich gut gediehen waren. Ich fand es schade, sollten sie nie veröffentlicht werden. Diese Veröffentlichungsprozedur war allerdings langwierig und kompliziert, weil seine Remixe auf seinem Computer gespeichert waren und ich erst sondieren musste, bis zu welchem Stadium die einzelnen Titel bearbeitet waren. Deshalb habe ich drei Titel ausgewählt und herausgegeben. Der andere Aspekt ist natürlich auch, dass die Publikation eine Widmung an Uli von meiner Seite ist, denn wir haben ja über einen Zeitraum von acht Jahren zusammen gearbeitet in verschiedenen Konstellationen. Es wird auch ein Festival zum Gedenken an ihn geben. Ich vestehe diese Musik als Geste, so wie sie ist, nicht fertig poliert. So ist dieses Album mein Nachruf an Uli.


Album
Thilo Seevers & Uli Rennert: HOME
Bezug: https://thiloseevers.com

Konzertdaten
Pantau-x-UR-Musikfestival-01 (Zu Ehren und Gedenken an Uli Rennert) 5. & 6. Februar 2022 im Porgy & Bess, Wien
Kontakt und Tickets: https://porgy.at/events/10879 - www.pantau-x-records.com

 

 

 

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