Erst eine Beleidigung, dann ein Mord vor Gericht – und nun wird die Kunst zum Schweigen verurteilt: Es sollte ein Debüt werden – und es ist zu einem Debüt geworden, schon bevor der eigentliche Auftakt erfolgte. Erstmals in der über 460-jährigen Geschichte der Sächsischen Staatskapelle Dresden plante das auf zahlreichen Tourneen in aller Welt gefeierte Orchester ein Gastspiel auf dem afrikanischen Kontinent. Gemeinsam mit dem einstigen Chefdirigenten Herbert Blomstedt waren Konzerte in Alexandria und Kairo vorgesehen. Beide sind am Samstag kurzfristig storniert worden.
Ägyptens Kulturminister Faruk Husni, wegen seiner israelfeindlichen Äußerungen in der Stichwahl um den Chefposten der UNESCO erst jüngst lauthals durchgefallen, ist vermutlich nur ein Verhinderer dieses Gastspiels. Schließlich ist sein Aufstieg zu einer global bedeutsamen Persönlichkeit nicht zuletzt mit den Stimmen der Bundesrepublik Deutschland zu Fall gebracht worden. Neben der daher zu mutmaßenden persönlichen Rache stehen aber weit weniger kleinliche Beweggründe im Raum: Am 26. Oktober beginnt in Dresden der Prozess gegen den Mörder von Marwa el-Sherbini. Die 31-jährige Frau aus Ägypten wurde im August vergangenen Jahres auf einem Dresdner Spielplatz, angeblich wegen ihres Kopftuchs, von einem Russlanddeutschen beleidigt. Sie verklagte den Mann und erschien – gemeinsam mit ihrem Mann und dem 2006 in Deutschland geborenen Sohn – am 1. Juli 2009 als Zeugin vor dem Landgericht Dresden. Im Beisein zahlreicher Zeugen, darunter Richter und Staatsanwalt, tötete der Angeklagte die im dritten Monat schwangere Frau mit 18 (!) Messerstichen und fügte auch ihrem Mann lebensbedrohliche Verletzungen zu. Der ist in dem entstandenen Tumult obendrein von einem sächsischen Polizisten angeschossen worden.
Im Zusammenhang mit dem Mord und dem Prozessbeginn sei ein Gastspiel des Dresdner Orchesters in Ägypten derzeit nicht möglich, hieß es am Samstag mit Verweis auf Angaben aus dem ägyptischen Kulturministerium. Obwohl Herbert Blomstedt, der von 1975 bis 1985 der Staatskapelle als Chefdirigent vorstand, diese Reise als Chance einer kulturellen Botschaft verstanden wissen wollte, um den Gastgebern zu signalisieren, dass „diese Tragödie kein Ausdruck einer vorherrschenden Haltung“ sei, sondern „die Tat eines Verbrechers“.
Derselbe Verbrecher hat nun, wenn auch ohne darum zu wissen, offensichtlich auch den kulturellen Austausch blockiert, der für die Verständigung der Völker so wichtig ist. Vor allem aber hat er unwiderruflich Leben ausgelöscht. Kein Mensch hat das Recht dazu, nirgendwo.
Die Staatskapelle wird nach drei Konzerten mit Blomstedt nun lediglich eine Spanien-Reise antreten, die das Orchester bis Ende Oktober nach Murcia und Madrid führen wird.