Der abgeschmackte Satz „Kultur- und Bildungspolitik seien nicht sexy“ wurmt mich schon seit seiner Erfindung: Führt er doch dazu, dass die Medien eine notwendige und intelligente Beschäftigung mit künstlerischen und pädagogischen Phänomenen in unserer Gesellschaft vorwiegend in kleinen Sparten-Kanälen oder den Stunden nach Mitternacht verbuddeln. Wie soll da – bitte – Hirn, Herz und Rückgrat unserer zu neronischer Dekadenz und asozialer Marktwirtschaft verkommenden Möchtegern-Demokratie sich angemessen im Bewusstsein unserer Bevölkerung verfestigen. [Vorabdruck aus „Politik & Kultur“ 4/2016]
Jedweder Sport hingegen erhält breitesten Raum in den Prime-Time-Slots unserer sogenannten Anstalten des öffentlichen Rechtes, vom kostenpflichtigen oder sonstigen privaten Gladiatoren-Abschlachten privater Sensations-Bild-Schleudern mal ganz abzusehen. Da begab es sich vor einiger Zeit, dass mit der „Tour de France“ ein wochenlanger Glotzenfüller übel in Verruf geriet. Da half es auch nichts, dass der abgehalfterte Kanzlerkandidat Rudolf Scharping sich teils medienwirksam den Hintern auf knallharten Rennrad-Sätteln wundscheuerte: Zumindest ihm wurde – vermutlich dank mangelnder Proben – kein Doping nachgewiesen. Im Unterschied zu seinem Mannschaftskollegen Udo Lindenberg vom Team Telekom, dessen Aufputsch-Mix aus Koks und Likör sich tragisch leistungsmindernd auswirkte und vorübergehend zur Blockade seiner mentalen Gangschaltung führte.
Fast alle anderen strampelnden Profi-Favoriten erwiesen sich als radelnde Apotheken. Und erstmals verbannten die quotenaffinen öffentlich-rechtlichen Intendanten ein Premium-Sport-Event aus ihren Kanälen. Da müsste doch jetzt Platz sein für avantgardistisches Kulturgeschehen, für Bildungsfernsehen – dachte ich mir, und schickte Konzepte, Petitionen, ganze Sendemanuskripte in die Funkhäuser. Pustekuchen. Null Reaktion. Stattdessen: Mehr Fußball, mehr Handball, mehr Formel 1 – und so weiter. Heimtückisch wie ich nunmal bin, braute sich in meinen vorderen, eigentlich der Empathie zugewiesenen Hirnlappen ein fieser Plan zusammen: Was, wenn es mir gelänge, die anderen Profi-Sportarten ähnlich zu diskreditieren? Gedacht – getan.
Für den Publikums-Massenmagneten Fußball drängte sich mir regionale und globale Korruption als geeignetes Mittel der Wahl auf. Über ebenso finstere wie zuverlässige Informationskanäle ließe sich beispielsweise das Gerücht streuen, Deutschland hätte sein Weltmeisterschafts-Sommermärchen schnöde gekauft. Schwere Schatten über Zwanziger, Niersbach und den Steuerflüchtling Beckenbauer. Nebenbei könnte man noch des bayerischen Volkes Liebling Uli Hoeneß anrempeln und ihm ein schwarzes Konto in der Schweiz andichten. Dann ein Schlag gegen die gesamte FIFA: Auf Betreiben Chinas (und natürlich gegen Zahlung einiger Milliönchen an den Chef-Manipulator Sepp Blatter) fände die WM 2022 auf 1900 Meter Höhe in Tibet statt. Tödliche Gerüchte für den Rasensport – und angesichts der absurden Gehälter und Ablösesummen für Spieler und Trainer absolut glaubwürdig.
Mein nächstes Aufklärungsgebiet: Die Zerstörung unserer natürlichen Bergwelt durch Schneekanonen, rasende Pistensäue, bunkerähnliche Schanzentürme inmitten schützenswerter Flora und Fauna, trampelnde Fans auf empfindlichen Almwiesen, einfältige Bob- und Schlittenbahnen, tumbes Biathlon-Geböller: Ein gefundenes Fressen für die schläfrig gewordene Wahlkampf-Truppe der Grünen. Ab und zu ein kräftiger Lawinen-Abgang, eine mächtige Mure – (mit wenig Semtex zu generieren) – und alle merken: Die Natur wehrt sich. Ein Sende-Verbot für derartige Landschafts-Schändung schüfe viel Platz für spannende Theater-Live-Übertragungen, Museums-Portraits, Konzert-Mitschnitte.
Hoffnung schafft zusätzlich die Aussicht auf olympische Winterspiele im russischen Sotschi. Dass Freund Putin dort alles mit rechten Dingen zugehen lassen wird, glauben ja nicht mal Eremiten. Das wird ein Fest der Chemie und der Blutpanscherei – mit ein bisschen Kleingeld und einem Lift in die USA lassen sich die Moskauer Doping-Prüfer ganz bestimmt zu vielstimmigen Whistle-Blowern umdrehen. Und wenn dann 2016 die Sommerspiele im brasilianischen Mückensumpf versacken, sich die Polyester-Rümpfe der Rennsegler dank übersäuertem, jauchigem Meerwasser in Plastik-Matsche verwandeln ist eines sicher: Sendefähig ist das nicht.
Heiteren Gemütes und voller Energie ging ich auf Partnersuche für mein lobenswertes Unterfangen: Bei den Grünen scheiterte ich erst im Ortsverband (begeisterte Fußball-Fans) und dann auch in der Parteizentrale (Lieblingssport: Skifahren). Also auf zu meinem genuinen Partner, dem Deutschen Kulturrat, seinerzeit noch in Berlins Chausseestraße. Dort hörte man mir geduldig zu und versprach mir, mein Projekt in den zuständigen Gremien zu diskutieren. Als ich nach zwei Jahren immer noch keine Antwort erhielt, begann ich zu resignieren – und legte meine feinen Pläne ad acta.
Erst vor zwei, drei Jahren wurde ich wieder hellwach: Auf unerklärliche Weise hat sich irgendeine Institution meiner Vorschläge bemächtigt und – in leichten Variationen – konsequent umgesetzt. Sauer macht mich, dass ich um verdientes Honorar gebracht worden bin. Traurig hingegen, dass meine tolle Konzeption, was Sendeplätze für Kunst und Kultur betrifft, offensichtlich völlig in die Hosen ging. Je brutaler gedopt, korrumpiert und Naturvernichtung betrieben wird, umso mehr Raum bekommt die Sportberichterstattung. Wo ist mein Denkfehler?
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur