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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
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Kurz-Schluss – Wie ich wieder einmal meine Liebe zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter schwierigen Bedingungen beweisen konnte

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Mal was ganz anderes an dieser Stelle: Zum einen entsprechen die autobiografischen Passagen in diesem Text zu gut 90 Prozent der Wahrheit. Zum anderen macht mich mit zunehmendem Alter und leicht zunehmender Erfahrung die Entwicklung eines Lieblingsobjektes meiner Existenz – und der Rundfunk hat mich von meinem vierten Lebensjahr bis heute in verschiedenen nahen und ferneren Beziehungen als Wunderwerk, Freund, Partner und Wutobjekt begleitet – eher traurig. Also diesmal kaum Witze. Es sei denn, mir fiele noch ein besonders entlarvender, hundsgemeiner zu Patricia Schlesinger ein, der noch nicht benutzt ist, was ich letztlich kaum glaube.

Gern erinnere ich mich an Stunden, die ich in unserer eher dörflichen Wohnküche vor dem klingenden und sprechenden Apparat mit dem bewegten grünen Auge verbrachte. Die Rettung der gestrandeten Raumfahrer vom Planeten Hesikos, die ersten Mumin-Geschichten, Osterhasen-Wunderland, Märchen und (sehr) leichte Musik – eher langweilig fand ich die Nachrichten, besonders öde die Börsenkurse. Und längerfristig gestört hat mich oft mein Vater, der sich rücksichtslos seltsame stundenlange Musikstücke namens Symphonie oder gar Oper – am allerschlimmsten aber Kammermusik  – reinzog. Der Rest der Familie hatte äußerste Stille zu wahren.

In der ersten Volksschulklasse befreundete ich mich rasch mit meinem Banknachbarn Klaus. Der hatte von seinem älteren Bruder gegen eine feuerspuckende Spielmaschinenpistole ein eher unscheinbares Kästchen eintauschen müssen, auf dem ein längeres Wort und Radio stand. Der Inhalt wirkte eher dürftig und geheimnisvoll. Da war mein Vater – ein gelernter Physiker – ausnahmsweise mal recht: Er erklärte uns in zu Dreivierteln unverständlichen Worten, dass es sich um ein „Detektor-Radio“ handle, einen Kristall, der mit Rundfunkwellen mitschwingt, die man empfangen könne, wenn man mit dem an einem Gelenk beigefügten Drahtbürstchen die richtigen Stellen träfe. Man müsste das Teil nur an eine lange Antenne und einen Kopfhörer anschließen. Strom brauche man keinen.

Zunächst machte ich Klaus heimtückisch klar, dass wir den größeren Garten für die nötige Antenne hätten: Installation also bei uns. Ferner bat ich Vater um Draht und Kopfhörer – solche Wünsche erfüllte er mir gern, wenn es sich nicht um Steinschleudern, Coca-Cola oder Goldfischgläser handelte. Klaus und ich spannten also gute hundert Meter Draht rings um unsere Obstbäume mit Anschluss ins Kinderzimmer. Dank der beigefügten Bananenstecker stöpselten wir Antenne und Kopfhörer ein und lauschten. Nichts. Wir schabten vorsichtig mit dem Bürstchen über den Kristall: nichts. Klaus meinte, ich könne „das Graffel“ behalten und kündigte an, seinen Bruder bei der Mutter anzuzeigen. Ich war den Tränen nah. Nach dem Abendessen, es dunkelte, wollte ich das Kistchen samt Kopfhörer und Antenne entsorgen. Noch einmal stülpte ich mir den Kopfhörer über und fummelte am Bürstchen – plötzlich Stimmen. Zwar in einer Sprache, die ich nicht verstand – aber egal: Ich hatte ein Radio. In dieser Nacht habe ich kein Auge zugemacht, fand noch eine zweite Klangquelle, die sogar Musik spielte. Eher scheußliche  – egal. Ich war etliche Zeit selig. Wenige Jahre später folgte ein Baukasten namens „Radiomann“ mit tollen Möglichkeiten. Aus erzieherischen Gründen war ich mittlerweile im Internat gelandet und bastelte gemeinsam mit meinem technisch begabten Zimmergenossen namens Homer einen Sender, mit dem wir versehentlich nicht nur unseren Betonklotz mit ausgezeichneter Musik (Stones, Beatles etc.) versorgten. Immerhin wurden wir gewarnt, dass ein seltsamer Wagen mit drehender Antenne durch die Straße patrouillierte. Ratzfatz brachten wir unser „Radio Klartext“ zum Schweigen und versteckten die Corpora Delicti in der Flicktruhe des Fahrradkellers. Schwein gehabt.

Meinen nächste Funkauftritt hatte ich erst wieder als Student und Presseverantwortlicher für den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Ich durfte ein Teilnehmerkonzert moderieren und erkannte die Macht des Mediums. Nein  – ich nenne keinen Namen. Es folgten eine Reihe von kurzen und richtig langen Sendungen, Berichte für das fabelhafte damalige „Musikmagazin des Bayerischen Rundfunks“. In Form einer Glosse bespöttelte ich eine „Bernauerin“-Inszenierung August Everdings in viereinhalb Minuten. Tags darauf nutzte der in übler Weise Bespöttelte 20 Sendeminuten, um mich zusammenzufalten. Ich hatte erstmal Sendepause und der mutige, für die Sendung verantwortliche Redakteur eine Abmahnung. Mein Gespür für die Macht des Mediums schärfte sich.

Dennoch blieb ich – die Privaten gelegentlich checkend – dem Öffentlich-rechtlichen herzlich verbunden. Machte mich – so gut ich konnte für Qualität eintretend – mit Artikeln in der neuen musikzeitung in der Intendantenetage weiter unbeliebt, wurde aber von einigen Redakteurinnen und Redakteuren geschätzt. Und erhielt meine monatliche Sendestunde – ungefähr 15 Jahre lang. Liberalitas Bavariae? Und das auch schon zu einer Zeit, in der aus dem „bewussten“ Einschaltprogramm ein entsprechend geschmeidiges Tagesbegleit- und Häppchen-Programm geschustert wurde. Derzeit werden bei zahlreichen Sendern offen ausgesprochen die für den Mainstream störenden Ecken und Kanten „abgeschliffen“. Es werden Boni bezahlt für Einsparungen im Programm, im Feld der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die sogenannte Rundfunkfreiheit droht gehandelt zu werden wie ein Escort-Mensch. Für solche Haltung ist eine Persönlichkeit wie Patricia Schlesinger eigentlich doch die Idealbesetzung. Auf Sicht schafft sie die Fachredaktionen ab, ersetzt sie durch Spot-Akquisiteure auf Influencer-Niveau und pfeift auf Gebühren, hat ihre siebenstelligen Boni.

Und ich kauf mir auf dem Flohmarkt ein komplettes Detektor-Radio und höre Sprachen, die ich (noch?) nicht verstehe, und Musik die ich (noch?) nicht mag. Ohne jeden Stromverbrauch.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

 

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