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François-Xavier Roth dirigiert das Protestorchester in Karlsruhe. Foto: Julia Blank
François-Xavier Roth dirigiert das Protestorchester in Karlsruhe. Foto: Julia Blank
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Lautstarkes Plädoyer für den Erhalt beider SWR-Orchester: Studierenden-Konzert in Karlsruhe

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Unlängst veröffentlichten die Studierendenvertretungen der Musikhochschulen einen offenen Brief an den SWR-Intendanten, um sich nochmal in aller Deutlichkeit gegen die Fusionierungs- und Kürzungspläne für beide SWR-Sinfonieorchester auszusprechen. Dem verbalen Protest schlossen drei Musikstudenten-/innen der Hochschule für Musik Karlsruhe einen musikalischen an: Sie organisierten in der badischen Fächerstadt ein „Solidaritätskonzert“, bei dem unter der Leitung von François-Xavier Roth – dem unmittelbar von den Fusionsplänen betroffenen Chefdirigenten des Sinfonieorchesters Baden-Baden/Freiburg – rund 90 Musiker/-innen der fünf Musikhochschulen Baden-Württembergs mit Werken von Igor Strawinsky, Ludwig van Beethoven, Benjamin Scheuer und Maurice Ravel gegen die drohende Zerschlagung der beiden Klangkörper „anspielten“.

Nicht nur im übertragenen Sinne rückten die Musikstudenten/-innen an dem sonnigen Nachmittag auf dem Karlsruher Kirchplatz St. Stefan dicht zusammen. Unter dem sattem Grün der Bäume, die den Platz an einer Seite säumen, reihten sich im begehrten Schatten die Stühle der Musiker eng aneinander. Zwei der Organisatoren, Karla Mertke und Corinna Niemeyer – der dritte, Cellist Florian Wetzel, spielte im Orchester mit – informierten kurz zu Anfang über die Aktion.

Das Publikum war zahlreich, immer wieder stießen Neugierige dazu. Interessierte konnten sich während des Konzerts Flyer der „Orchesterretter.de“ abholen, gleich eine Unterschrift leisten oder sich schlicht über den drohenden Kulturabbau informieren. „Das ist, was wir mit dem Konzert hier erreichen wollten“, erklärte Karla Mertke in einem Gespräch danach. „Wir wollten, dass die Problematik nicht eine von Musikern bleibt, von Leuten, die sich eh schon mit der Materie beschäftigen. Es ist auch keine Problematik, die nur die Musiker betrifft: Da fällt schließlich etwas weg, was Tradition hat. Die Orchester sind Reflektionsräume für die Gesellschaft.“

Sechs Wochen Planungsphase, zwei Wochen Probenzeit – das Zeitfenster war eng, Karla Mertke ist dennoch zufrieden: „Es hat geklappt, und wir sind sehr froh darüber“. Überraschenderweise ergriff Dirigent François-Xavier Roth gegen Ende des Konzerts noch nach einem der Mikrophone. Seine Worte wirkten nicht zurechtgelegt, sprudelten eher spontan aus ihm heraus. Es schien ihm in dem Moment ein Anliegen gewesen zu sein, noch ein paar Gedanken zu formulieren. So verglich er das Orchester mit einem Baum, der schließlich auch nicht in zwei Tagen oder einem Jahr entstehen könne. Es sei wichtig, dass auch in Zukunft angehende Musiker/-innen die Möglichkeit haben, ein Praktikum bei Orchestern, wie denen des SWR, zu absolvieren. Nicht zuletzt deshalb habe er der spontanen Aktion sofort begeistert zugestimmt.

Das musikalische Programm des „Solidaritätskonzerts“ brodelte unter der Oberfläche – nichts anderes war zu erwarten gewesen. Schon der signalrote Flyer war ein Indikator für unverblümten Protest. Gespielt wurden Beethovens „Prometheus“-Ouvertüre, Teil seines Balletts, in welchem er dem Urbild des Rebellen huldigt, die farbenreich schillernde „Feuervogel-Suite“ von Strawinksky, die assoziativ das Motiv des Phönix in sich birgt, der verlorengeglaubt aus der Asche neu ersteht, sowie der in der Lautstärke immer eindringlicher werdende „Bolero“ von Ravel.

Benjamin Scheuers „Montagen“ scherte allein aus der Reihe, da der Komponist seinem Werk selbst ein paar Worte vorausschickte. Dennoch passte es sich hörbar in die Programmatik des Anlasses: Der Kompositionsstudent der Hochschule für Musik sah für sein instrumental blockhaft gestaltetes Werk aus dem Jahre 2011 an diesem Nachmittag allerlei lautstarke Alltagsgegenstände vor, die ansonsten Störgeräusche produzieren, wie Trillerpfeifen, quietschende Luftballons, Gummigetier oder Kazoos.

Noch ist nichts entschieden, eine Verschiebung der Fusionspläne auf Ende September scheint momentan allerdings in greifbarer Nähe – nmz-Online berichtete. Der letzte Stand ist, dass der Verwaltungsrat (tagte am 15.6.) und der Rundfunkrat (tagt am 29. Juni) über das zuletzt vom Hörfunkausschuss vorgeschlagene „Moratorium“ abstimmen müssen. In Karlsruhe wurden an diesem Sonntag hingegen nicht diskutiert, keine großen Reden gehalten – was auch nicht nötig war: Die vehemente Klang-Botschaft der Musikstudenten vermittelte sich trotzdem. So war das „Solidaritätskonzert“ keine Mahnwache im Stillen, sondern ein lautstarkes Statement gegen den drohenden Kulturabbau.

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