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Festveranstaltung zu „150 Jahre Theater Altenburg“. Foto: Ronny Ristok
Festveranstaltung zu „150 Jahre Theater Altenburg“. Foto: Ronny Ristok
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Leuchtende Vergangenheit: 150 Jahre Theater Altenburg

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Zwangsläufig fand das Jubiläum des am 16. April 1871 mit Webers „Freischütz“ unter Herzog Ernst i. von Sachsen-Altenburg eröffneten Theaters Altenburg in Funk, Fernsehen und Mediathek statt. Das schöne Haus wird derzeit saniert. Theater und Philharmonie Altenburg Gera könnte unter normalen Bedingungen bis zur Wiedereröffnung 2022 ein komfortables Theaterzelt am Großen Teich bespielen.

Vor 1945 reihten sich in dem Neurenaisance-Bau prominente Gäste wie Richard Strauss, Eduard Künneke, Eugen d'Albert und Wieland Wagner, der dort seinen ersten „Ring des Nibelungen“ inszeniert hatte. Der Weg seit der Fusion mit Gera 1995 war geprägt von Höhepunkten und Entbehrungen, die das Theaterjuwel, erbaut nach dem Vorbild der Semperoper, mehrfach erschütterten.

Heute ist er Kapellmeister in der bestehenden Betriebsform und trat für die digitale Jubiläumsgala am 16. April ans Pult. Thomas Wicklein, bis 1995 musikalischer Oberleiter des damals noch eigenständigen Landestheaters Altenburg, bezeichnete in der MDR-Jubiläumsgala den Fusionsvorgang der nach 1989 auf 40 Stellen abgespeckten Landeskapelle und des Geraer Orchesters zur Philharmonie Altenburg Gera unterm Strich als Gewinn. Zum Schluss waren damals angemessene Besetzungen von Standardwerken kaum noch möglich. In den Jahren nach 1995 folgte ein weiterer Stellenrückbau, seit 2002 Haustarifverträge mit im Vergleich zum Flächenvertrag zu 12,5% geringeren Gehältern. Dazu immer wieder Kämpfe um den Erhalt des Fünfspartenbetriebs mit dem einzigen Thüringer Staatsballett und einem anspruchsvollen Spielplan. 2017 rief in Altenburg ein selbsternanntes Bürgerforum zum Boykott des Theaters auf, als sich dieses mit Geflüchteten solidarisierte. Der Besetzung der Titelrolle von Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ mit dem Schauspieler Oelgo Tené aus Burkona Faso als theatraler Versuch zur Darstellung brennender Fragestellungen wurde von der Stadt mit der Frage begegnet, ob solch eine überregional diskutierte Krise nicht dem Image der Stadt schade.

Einfach war es mit Kultur und Theater in Altenburg demzufolge nach der Wiedervereinigung 1989 nie. Seit der Fusion purzeln Zuständigkeiten für Jubiläen durcheinander, deren Details sich außerhalb von Altenburg, Altenburger Land und Gera nur schwer detailgenau kommunizieren lassen. Im Dezember 2020 hätte – Corona kam dazwischen – der vollständige Opernchor des Theaters Altenburg Gera das 100-Jahre-Jubiläum des erwerbstätigen Theaterchors Gera gestaltet, obwohl das Feierdatum „nur“ auf die Überleitung des Laienchors in ein professionelles Kollektiv in der 33 km von Altenburg entfernten Industriestadt Gera bezogen war. Sieben Jahre nach der Fusion der Theater und Orchester wurde das Jubiläum des Theaterhauses Gera 2002 mit dem gewichtigen Band „Musis sacrum“ gefeiert. Jetzt ist – unter anderer Generalintendanz – endlich Altenburg dran!

Als Therapie gegen drohenden Imageschaden hatte die Altenburger Tourismus GmbH (nicht zu verwechseln mit der Tourismus-Information Altenburger Land, Borna und Kohrener Land) zwei Jahre nach dem „Köpenick“-Skandal überregionale Medienvertreter in die heute spürbar vom demographischen Wandel geprägte Stadt eingeladen, um dem Fremdenverkehr auf die Sprünge zu helfen. Viele Gebäude mit wunderschöner Bausubstanz sind nach dem bereits zu DDR-Zeiten nicht gestoppten Verfall kaum noch zu retten. Altenburgs dritte ins Rennen geführte Kultursäule neben dem Schloss und dem Lindenau-Museum ist das von Otto Brückwald nach Vorbild der Semperoper errichtete Hoftheater unterhalb des Schlosses. Eröffnet wurde dieses wegen des Deutsch-Französischen Krieges 1871 und damit ein Jahr später als geplant.

Das Altenburger Theater ist wie die historischen Hufeisenrang-Tempel in Meiningen und Gera ein Monument adeliger Repräsentationsfreude und bürgerlicher Kulturliebe. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Prinzessin Elisabeth von Sachsen-Altenburg (sie komponierte Märsche und Lieder) russische Großfürstin wurde, pflegte man im Theater Altenburg einen internationalen Spielplan mit viel Grand Opéra, Donizettis „Belisario“ (schon damals eine Rarität) und 74 Schauspielen allein in der Eröffnungsspielzeit.

Zeitenwechsel: Als man 2015 in Thüringen über wirtschaftsverträgliche Kultureffizienzen nachdachte, visionierte Landrätin Michaele Sojka (Altenburger Land, Die Linke) bei einer Podiumsdiskussion im Theater Gera am 1. Dezember 2015 über die Aufführung von „Carmina burana“, Orffs populärem Evergreen von 1937, oder andere Massenevents der Philharmonien Altenburg Gera und Jena im BuGa-Gelände Hofwiesenpark von Gera.

Dieser Hintergrund zeigt: Die Wolfsschlucht liegt nicht nur in Böhmen wie im Altenburger Eröffnungsstück „Der Freischütz“ am 16. April 1871, mit dem dort 1983 auch Peter Konwitschny polarisiert hatte. Seit Ende Juni 2019, als sich das Ensemble letztmals auf dem Rangfoyer-Balkon nach Sieberts „Untergang der Titanic“ verbeugte, wird das Haus saniert. Die Altenburger Theaterversorgung, so weit unter Pandemiebedingungen möglich, spielt in einem großen Zelt am Großen Teich. Jetzt melden sich in Altenburg Stimmen, die den Erhalt des Zeltes während der durch die Pandemie spielfreien Zeit in Zweifel ziehen. Kein Wort davon also, dass Generalintendant Kay Kuntze und sein Team an Plan Sieben-Acht-Neun für die zeitnahe Wiederaufnahme des Spielbetriebs stricken, die Eröffnungsproduktion „Die Entführung aus dem Serail“ – gezielt ein Werk über Humanität und Versöhnung – bereit ist und die Ensemblesparten freiwillig eine Spielzeitverlängerung planen, um ihr Publikum in den eigentlich den Theaterferien 2021 vorbehaltenen Sommerwochen für die durch Corona entfallenen Bühnen- und Konzertereignisse zu entschädigen.

Als sich vor zwei Monaten abzeichnete, dass es nichts mit dem physischen Festakt am 16. April 2021 werden könnte, kristallisierten sich naheliegend drei Stränge für die Jubiläumsfeier heraus. Das geplante Musikprogramm mit Szenen aus einigen der sechzehn Opern, die anno 1871 auf den Spielplan kamen, wurde am 24. März im Konzertsaal des Theaterhauses Gera aufgenommen. Weil es in Altenburg 1871 nach heutigem Verständnis „nur“ drei Sparten gab (Puppentheater war im mitteldeutschen Raum eine andere Baustelle), tanzten Alina Dogodina und Vitalij Petrov zum Wunschkonzert-Hit „Jungfrau Maria“ aus Flotows „Alessandro Stradella“. Dieses Konzert, bei dem man auch die zur Weihe des Hauses entstandene Festouvertüre von Hofkapellmeister Friedrich Wilhelm Stade spielte, erklangen im großen MDR Klassik Spezial „150 Jahre Bühne für Ostthüringen“. Bettina Volksdorf stellte in der von ihr gebauten Rundfunk-Hommage auch Fragen zu Positonierungsherausforderungen und personellen Entwicklungen seit 1995 mit bzw. ohne Corona.

Basis für alle Details von 1871 bis 2021 ist in Zukunft die von Chefdramaturg Felix Eckerle und Harald Müller (Theater der Zeit) herausgegebene Festschrift. Die bisher umfangreichste Publikation zur Geschichte des Theaters Altenburg würdigt neben der Teilspielzeit-Theaterehe mit Gotha im frühen 20. Jahrhundert auch das Geraer Schwesterhaus. Stefan Petraschewsky wies im MDR darauf hin, dass dieses unbedingt lesenswerte Sammlerstück (man sichere sich schnell eines der 3000 Exemplare der Erstauflage), neben der Chronik aller Premieren seit 1871 auch „bittere Wahrheiten“ enthalte. Auf alle Fälle beinhaltet der starke Band mit seltenem Bildmaterial neben viel Passion, Liebe und Engagement des Theaters auch schönheitstrunkene Erinnerungen an die große Vergangenheit der Residenz-, Spielkarten- und Nähmaschinenstadt Altenburg.

Das Hoftheater Altenburg ist also ein Schauplatz mit vielen Gesichtern – mit beglückender Qualität damals bei den von Bayreuth gelobten 80 Wagner-Inszenierungen bis in die mitteldeutsche Gegenwart: Bei „Kruso“ oder „Die im Dunkeln“ im Schauspiel, bei spätromantischen Entdeckungen wie Hans Sommers „Rübezahl“ und Uraufführungen hebräischer Kammeropern im Musiktheater, bei menschlichen Tanzdramen wie „Anita Berber“ und „Liberace“ im Ballett, von Schirachs „Verbrechen Musik“ im Puppentheater und der Konzertreise des Orchesters nach Timisoara und Bukarest 2019. Ein großer Teil des Glanzes dieser überregional akklamierten Theater- und Orchester-Höhepunkte fällt auch auf die Stadt Altenburg.


  • Festveranstaltung „Freistatt schöner Geister“ auf YouTube.
  • MDR Klassik Radio Sondersendung: Mitwirkende der Festveranstaltung: Manuel Kressin (Moderation), das Philharmonische Orchester Altenburg Gera unter Leitung von Thomas Wicklein, Peter Prautsch (Sprecher), Anne Preuß, Miriam Zubieta und Maia Andrews (Sopran), Isaac Lee (Tenor), Alejandro Lárraga Schleske (Bariton), Ulrich Burdack (Bass), Alina Dogodina und Vitalij Petrov (Tanz), Tobias Weishaupt (Puppenspieler) sowie die Schauspieler*innen Markus Lingstädt, Sebastian Schlicht, Rebecca Halm, Mechthild Scrobanita, Mario Radosin, Robert Herrmanns, Thomas C. Zinke, Ines Buchmann und Thorsten Dara
  • Jubiläumsband 150 Jahre Theater Altenburg (Herausgeber: Felix Eckerle und Harald Müller) mit Aufsätzen, Künstlerporträt und einer Chronologie sämtlicher Premieren seit der Theatereröffnung 1871. Autoren: Elisabeth Bauchhenß, Mona Becker, Felix Eckerle, Franziska Engemann, Klaus-Jürgen Kamprad, Ulrich Khuon, Peter Konwitschny, Frieder Krause, Roland Krischke, Lutz Mahnke, Christoph Meixner, Anno Mungen, Sophie Oldenstein, René Prautsch, Christian Repkewitz, Ronny Ristok, Michael Schindhelm, Ingo Schulze, Ulrich Sinn, Peter Sommer, Thomas Stolze und Annegret Werner (Verlag Theater der Zeit. Hardcover mit 260 Seiten, Format: 230 × 270 mm, ISBN 978-3-95749-346-0 - 24,– Euro)

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