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Michael Sanderling. Foto: © Nikolaj Lund
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Leuchtturm ohne Wärter: Michael Sanderling wirft in Dresden hin

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Vorfreude sieht anders aus: Die Dresdner Philharmonie wird im kommenden Frühjahr ihr Unterwegs-Sein beenden und zieht wieder in den Kulturpalast ein, der künftig, nach gründlichem Umbau, einen Konzertsaal im Weinberg-Format beherbergen soll. Für Orchester und künstlerische Leitung sollte dies Grund genug sein, erwartungsfroh nach vorn zu schauen – endlich ein Haus mit adäquater Akustik!

Chefdirigent Michael Sanderling allerdings blickt wesentlich weiter nach vorn und überrascht mit der Ankündigung, das Orchester nach Ablauf seines Vertrages im Sommer 2019 zu verlassen. Das sorgte nicht nur für Schlagzeilen, sondern bei den Musikerinnen und Musikern des Klangkörpers für helle Aufregung. Zumal die meisten von ihnen von dieser Nachricht just auf dem Weg zu einem Gastspiel im norditalienischen Udine überrascht worden sind. Weitere Stationen der Reise sind Ljubljana, Wien, St. Pölten und Bratislava. Da gibt’s unterwegs bestimmt jede Menge Gesprächsstoff.

Zwischen Probe und Konzert im Teatro Nuovo von Udine wurde am letzten November-Montag eilends eine Vollversammlung einberufen, auf der Michael Sanderling und Intendantin Frauke Roth das Orchester über die jüngsten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt haben. Wenige Tage zuvor hatte der Dresdner Stadtrat den Doppelhaushalt für 2017/18 verabschiedet und zugleich eine jährliche Kürzung der Zuschüsse für die Philharmonie um 250.000 Euro beschlossen. Im Klartext bedeutet dies eine um eben diesen Betrag reduzierte Erhöhung des Budgets. Hintergrund: Mit dem Wiedereinzug in den Kulturpalast steigen diverse Festkosten für Betrieb und Betreibung des Hauses. Deswegen sollte der Zuschuss von 14,9 auf rund 18,6 Millionen Euro erhöht werden. Nun fehlt eine Viertelmillion.

Nun fehlt eine Viertelmillion

Bereits im Vorfeld gab es im Rathaus eine monatelange Debatte um das künftige Bespielungskonzept. Der Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch zufolge sei es „nur mit vereinten Kräften von Intendanz und Kulturverwaltung“ gelungen, vor dem Termin zum kommunalen Haushalt überhaupt einen Stadtratsbeschluss zu diesem Konzept zu bekommen, „damit die Vorbereitungen für die Wiedereröffnung des Kulturpalastes nicht ausgesetzt werden müssen.“ Die Linke-Politikerin habe aber bereits zum damaligen Zeitpunkt die Philharmonie-Intendantin als ihre unmittelbare Ansprechpartnerin darauf hingewiesen, dass der RGR-Stadtrat (in Dresden steht das für Rot-Grün-Rot) in der herbstlichen Haushaltsdebatte das letzte Wort dazu habe. Wie nun geschehen.

Frauke Roth will davon jetzt allerdings nichts wissen: „Ich kenne niemanden, der darauf vorbereitet gewesen ist.“ Die Intendantin hatte erst wenige Tage zuvor „nach einem wunderbaren Philharmoniekonzert“ in einer Runde mit der Kulturbürgermeisterin als ihrer direkten Dienstvorgesetzten zusammengesessen: „Niemand hatte da die leiseste Ahnung, dass aktiv im Haushalt eingestelltes Geld per Beschluss wieder rausgenommen wird.“

Vor allem aber mokiert sich Michael Sanderling, wiewohl als Chefdirigent nicht unmittelbar bei der Stadt angestellt, über den Fakt, von diesen Kürzungen lediglich aus der Presse erfahren zu haben. Frauke Roth – „Vor einer Woche hätte ich noch gesagt, wir haben einen straffen Zeitplan bis zur Wiedereröffnung des Kulturpalastes, aber eine tolle Mannschaft und werden das schaffen.“ – habe nach Bekanntwerden des städtischen Haushaltsbeschlusses „alle Hände voll zu tun gehabt, um Michael Sanderling davon abzuhalten, sofort hinzuwerfen.“ Dies aber hätte Orchester und Publikum gravierend beschädigt, daher habe man sich darauf geeinigt, bis zum Ende von Sanderlings Vertragszeit alles zu erfüllen, was fest geplant worden ist. „Als Künstler ist er auf verlässliche Eckwerte angewiesen.“

„Das Haus in der Mitte der Stadt sollte kein Spielball der Kommunalpolitik werden.“

Problematisch sieht die Intendantin einen „extremen Aufwuchs an Dienstleistungsaufträgen im Rahmen des Betreibungs- und Bespielungskonzeptes.“ Es lasse viele Fragen offen, wenn 150 Tage vor Eröffnung des Kulturpalastes und der Erweiterung des Gesamthaushaltes Geld in diesem Umfang gestrichen werde. Im Grunde müsse sie nun jenen Teil der Ausschreibung, die das für den Veranstaltungsbetrieb erforderliche Personal betrifft, an die Stadt zurückgeben. „Auf Lösungsvorschläge bin ich gespannt!“ Frauke Roth betont, dass sie von der Stadt dafür bestellt worden sei, die Spitzenklasse der Philharmonie zu halten und auszubauen. Auf dieser Ebene wird bekanntlich sehr langfristig geplant, der Managerin zufolge sei die Saison 2017/18 längst abgeschlossen. Noch allerdings hoffe sie auf die Vernunft: „Die Dresdner Philharmonie ist ein Leuchtturm der Landeshauptstadt. Das Haus in der Mitte der Stadt sollte kein Spielball der Kommunalpolitik werden.“

Allerdings geht Roth nicht davon aus, Chefdirigent Michael Sanderling in seinem Entschluss umstimmen zu können: „Dafür kenne ich ihn zu gut, er ist absolut geradlinig.“ Sie sei aber froh, dass bis 2019 noch umgesetzt werde, was gemeinsam vereinbart worden ist. Und hofft darauf, „dass die Politik diesen Faden für Dresden wieder aufnehmen wird.“

„ … diese Rechnung geht nicht auf“

Sanderling unterstrich auf Nachfrage, dass seine Entscheidung endgültig sei: „Ich gehöre zu denen, die, wenn sie einmal einen Entschluss fassen und für richtig halten, den dann auch durchziehen. Ich wünsche mir natürlich sehr, dass die äußeren Gegebenheiten nochmal überdacht werden und habe ein Fünkchen Hoffnung, dass die Vernunft siegen und auch das passieren kann, was man uns durch die Stilistik verwehrt hat, nämlich Gespräche mit den einzelnen Fraktionen zu führen, um denen klarzumachen, diese Rechnung geht nicht auf.“

Bei so deutlicher Betonung des Rationalen wäre zu fragen, warum sich nicht sämtliche Entscheidungsträger beizeiten an einen Tisch gesetzt haben, um die anstehenden Probleme zu klären. Nun aber erinnert das Prozedere fatal an den ebenfalls abrupten Weggang von Marek Janowski, der seinen Chefposten bei der Philharmonie 2003 nach nur zwei Jahren wieder räumte, weil das Versprechen besserer Auftrittsmöglichkeiten nicht eingelöst wurde.

Die sind nun zwar zu erwarten, wenn im April nächsten Jahres der Kulturpalast nach fünfjährigem Umbau – und einem ebenso langen Tingeln des renommierten Orchesters durch Interims-Spielstätten wie Museen, Theater und Kirchen – wiedereröffnet wird. Die Tage von Michael Sanderling allerdings sind dann wohl gezählt. „Er hat uns durch diesen ganzen Umzugszirkus so wundervoll begleitet, wir sind ihm zu großer Dankbarkeit verpflichtet“, resümiert Orchestervorstand Peter Conrad. Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch mutmaßt allerdings dies: „Mir erscheint das Vorgehen von Herrn Sanderling jetzt so, als hätte er nach einem Grund gesucht, Dresden zu verlassen, weil er ja auch für sich ausschließt, dass wir nochmal miteinander ins Gespräch kommen.“

„Anfang einer Spirale“

Der Dirigent jedoch – der seinen Wohnsitz nach wie vor in Frankfurt am Main hat – bleibt bei seinem Vorwurf in Richtung Kommunalpolitik. Es sei für eine Kulturbürgermeisterin „inakzeptabel“, ihn als künstlerischen Leiter dieses höchst erfolgreichen Orchesters vorab nicht einmal über den Ernst der Lage informiert zu haben. Gespräche kämen für ihn nun zu spät. Er sieht in der Budgetkürzung eine eklatante Bedrohung dieses kulturellen Leuchtturms der Stadt. 250.000 Euro mögen angesichts des Gesamtetats von 18 Millionen Euro gering erscheinen, da jedoch das Gros aus institutionellen Fixkosten vor allem für Personal und Unterhalt gebunden sei, würde jede Kürzung den künstlerischen Bereich treffen. Mit seinem Schritt wolle er in erster Linie Verantwortung für sein Orchester übernehmen, um klarzumachen: „Was hier läuft, ist der Anfang einer Spirale, die den künstlerischen Untergang der Dresdner Philharmonie beginnen lässt.“

Diesem Appell schließt sich inzwischen auch Jan Vogler als Intendant der Dresdner Musikfestspiele an, der erwartet, zu einmal gemachten Versprechen zu stehen: „Hier werden wichtige Zukunftsentscheidungen für Dresden in Grabenkämpfen zwischen Stadtrat und dem Oberbürgermeister gefährdet. Wir halten uns an die im September 2016 erfolgte öffentliche Zusage der Stadt, dass wir mit einem Zuschuss von 300.000 Euro pro Jahr die internationale Bespielung des neuen Saals im Kulturpalast organisieren sollen. Die Künstler sind engagiert und alle Absprachen getroffen. Diese Entscheidung umzukehren, würde die Stadt Dresden weit mehr als die bereits zugesagte Fördersumme kosten.

Ich kann den Stadtrat und den Oberbürgermeister nur daran erinnern, dass unsere Beteiligung bei der Bespielung des Kulturpalastes bereits 2014 vom Stadtrat beschlossen wurde. Seitdem arbeitet das Team der Dresdner Musikfestspiele mit viel Engagement an dieser auch für den Tourismus in Dresden wichtigen Aufgabe. Die Musikfestspiele haben gerade auf dem internationalen Parkett in den vergangenen Monaten und Jahren viel für Dresden bewegt. Es ist nun an der Stadt, wenigstens zu ihren Versprechen und Zusagen zu stehen.“

 

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