Romeo Castellucci und Teodor Currentzis spannen Bela Bartóks psychologisierenden Einakter „Blaubarts Burg“ und Carl Orffs Weltuntergangsoratorium „Das Spiel vom Ende der Zeiten“ in der Dunkelheit der Felsenreitschule zusammen.
Wenn Romeo Castellucci inszeniert, dann sind das eigentlich keine Inszenierungen im üblichen Sinn, sondern szenische Installationen. Mit oft verblüffenden Zeichen. Bei ihm entstehen Räume, in denen sich Protagonisten bewegen. Und auf die man sich einlassen, und die man auch als Zuschauer gedanklich betreten muss. Sonst hat man keine Chance. Wer auf Schritt und Tritt nachvollziehbare Verknüpfungen zwischen Musik und Wort erwartet, geht an so einem Abend verloren. Im günstigsten Fall findet er sich in eigenen Assoziationsräumen oder Erinnerungen wieder. Für die Salzburger Festspiele und da besonders für die Felsenreitschule ist der Gesamtkunstwerker Castellucci, der in der Liste der Favoriten von Intendant Markus Hinterhäuser ziemlich weit oben steht, ein Glücksfall. Seine vergleichsweise helle „Salome“ etwa wurde zum Musterbeispiel einer Festspielproduktion. Der „Don Giovanni“, den er im vorigen Sommer schon mit Teodor Currentzis auf die Bühne des Großen Festspielhauses wuchtete, auch.
Gerade hat der viel Gefragte in Aix-en-Provence an abgelegener Spielstätte der dortigen Festspiele die Auferstehungssinfonie von Gustav Mahler mit der Freilegung eines zufällig von einem arglosen Schimmel und dessen Reiterin entdeckten Massengrabes konfrontiert. Auferstehung ganz wörtlich genommen. Als hilflose Reaktion auf verloren gegangenen Glauben an ein Jenseits.
In Salzburg bleibt er im Grunde in diesem Umfeld, am Rande der Existenz. Vor allem mit seiner Einrichtung von Carl Orffs Opern-Oratorium „De fine temporum comoedia“. Bei diesem „Spiel vom Ende der Zeiten“ steht es sogar im Titel. Wobei Orffs sperrige, sich ziemlich esoterisch gebärdende, immer wieder auftrumpfende Raunen vom Ende der Zeiten versöhnlicher endet, als das, was Castellucci der Auferstehung zubilligte. Da blieb es bei dem Versuch, den Toten die Würde der Individualität zurückzugeben. Bei dem unter Leitung von Herbert von Karajan 1973 in Salzburg uraufgeführten Solitär (gespielt wird die 1981 kurz vor Orffs Tod entstandene Fassung), für das der Komponist in seinem Libretto auch sibyllinische Weissagungen und orphische Hymnen verarbeitete und Altgriechisch, Latein und Deutsch verwendet, gibt es nach einem ausführlich zelebrierten Blick in den Abgrund des Höllenschlundes sogar so etwas wie eine Vergebung für Lucifer. Dessen mehrmaliges „Vater ich habe gesündigt“ und das Ablegen der dunklen „Berufskleidung“ des Fürsten der Finsternis bis auf ein unschuldsweißes Büßerhemd genügt, um den einst Abgefallenen wieder ins Göttliche aufzunehmen, wo er am Anfang der Zeiten ein Lichtbringer war. Eine erstaunliche Wende bleibt das, vor allem nach dem akribisch von Orff ausformulierten Schrecken.
Bei seinem szenischen Rettungsversuch des Stückes befleißigt sich Castellucci selbst einer gleichsam auf mephistohafte Weise einer quasi dialektischen Ästhetik: Erhellung durch Verdunklung, Antworten durch Fragen, Lösungen durch Rätsel.
Sibyllen schreien die Apokalypse herbei, zelebrieren ein Steinigungsritual, imaginieren mit dem Würgen von Kindern, bis die nicht mehr mit den Beinen strampeln, Menschenopfer. Dann dominieren skandierend stampfende Mönche um einen aufgerichteten Baumstamm, der so zum Totempfahl wird. Das Bodentuch wird in die Höhe gezogen – auf dem Kopf stehend ist dort „Meine Haut“ zu lesen. Eindrucksvoll, wenn aus dem Boden lauter gesichtslose Wesen hervorkriechen. Das Futter fürs Jüngste Gericht? Oder für die Auferstehung? Die jedenfalls verschwinden in einem Schlund wie Flusen im Staubsauger. Für die betont gruppenbezogene Choreographie sorgte Cindy van Acker. Und dann kommt Lucifer (Christian Reiner). Das Letzte, was man von diesem heimgekehrten, verlorenen Sohn zu sehen bekommt, ist seine Rückenansicht mit ausgebreiteten Armen aus denen es plötzlich kurz dampft …
Ein Stück und eine Inszenierung, die nach Salzburg passen, schon weil die pure Länge und sperrige Exklusivität am ehesten einem, diesem Festspielpublikum nahezubringen ist. Inklusive des dramaturgischen Umfeldes, das allein schon der „Jedermann“ sichert, der es ja schließlich auch geschafft hat, von platter Religionspropaganda zum Mimenschmankerl zu avancieren. Bei Orffs oratorischem Untergangsraunen mit verhaltenem Happyend ist die Prognose freilich so düster wie die aktuelle Inszenierung.
Auch die ungewöhnliche, sich prozyklische in der Wirkung verstärkende und nicht auf Kontrast setzten Kombination mit Béla Bartóks Einakter „Blaubarts Burg“ aus dem Jahre 1918 passt zu Regisseur und Dirigent und zu Hinterhäusers Anspruch, Besonderes zu bieten. Beim sicher im Repertoire verankerten Einakter, vermag sich allerdings der Zuschauer selbst einen Reim darauf zu machen, wenn er in der ostentativen Dunkelheit der Bühne nur die verschlossenen Türen ahnt, die natürlich nicht real vorhandenen sind, und dann vor allem hört, was sich dahinter verbirgt, wenn Judith Blaubart die Schlüssel und damit einen Zugang abringt. In einem beeindruckenden vokalen aber stellenweise auch choreographierten Pas des deux laufen Mika Kares als Blaubart und Ausrine Stundyte als Judith zu Hochform auf. Leuchten gleichsam im Dunkel. Auf einem mit Wasser bedeckten Boden, bei dem man natürlich an den See aus Tränen denkt, der sich hinter einer der Türen des Schlosses verbirgt. Mit Flammenzeichen im Raum. Dieses Licht tropft ins Dunkel wie das Blut von den Wänden in Blaubarts Burg. Am Ende, wenn sich durch die Spiegelung im Wasser da Wort ICH formt, ist das ein Verweis auf Judiths triumphierendes Ringen um den Mann, aber auch um sich selbst. Begonnen hatte es in völliger Dunkelheit vor zugehängten Arkaden und einem unsichtbar ans Pult huschenden Dirigenten mit dem Schreien eines Babys und dem Weinen einer Frau. Als Verweis auf ein Trauma bei ihr? Dann betreten beide ein Reich der Dunkelheit. Beginnen die Selbsterforschung des Unsichtbaren. Schritt für Schritt. Vor allem Judith ist hier auch körperlich gefordert. Mit Gesten der Hingabe und des Verlangens.
Statement für die Autonomie von Kunst und Künstlern
Musikalisch ist der Abend Luxus. Davor aber auch ein Statement für die Autonomie von Kunst und Künstlern. In dem Falle des nach wie vor in Russland residierenden Griechen Teodor Currenztis, der bislang das demonstrative Bekenntnis gegen den Aggressor Putin nicht abliefert, vor allem aber mit Finanziers in Verbindung steht, die als kremlnah gelten. Vom sicheren Hort einer großenteils öffentlich-rechtlich finanzierten Kultur und von deren journalistischen Beobachtern im Westen lässt sich trefflich „Haltung“ fordern. Von innen betrachtet sind solche schwarz-weiß Konstellationen aber meistens grau. Man muss sich nur die samt Familien vor allem in Russland lebenden Künstler für die Currentzis sich verantwortlich fühlt und die Androhungen russischer Gesetze selbst für einen bestimmten Sprachgebrauch in einem Zusammenhang vorstellen.
Dass Currentzis als Künstler etwa mit seiner Programmwahl Position bezieht, übersieht der journalistische Eifer (Hinterhäuser nennt das Kampagnenjournalismus) da schon mal. Sein gerade in Gang gesetztes Orchester-Projekt „Utopia“ zu nennen, ist so gesehen sowohl Programm, als auch Selbstermunterung. Bei den über einhundert Musikern aus 28 Ländern sind auch Ukrainer und Russen dabei. Die Finanzierungszuflüsse von Orchestern lassen sich halt nicht so punktgenau zu- oder auch aufdrehen wie es bei Gasleitungen der Fall ist. Das „Utopia“-Projekt soll durch Konzerteinnahmen, von der Kunst und Kultur DM Privatstiftung und europäischen Mäzenen finanziert werden und im Oktober starten.
In Salzburg fiel jedenfalls auf, dass der als Exzentriker geltende Dirigent dem Publikum keine auch nur ein augenzwinkernde Möglichkeit ließ, seine Person zum Gegenstand dezidierter Zustimmung oder Ablehnung zu machen.
Den Beifall für sein exzellentes Dirigat freilich nahm er als verdienten Lohn selbstverständlich an. Die Felsenreitschule hat sich besonders bei großinstrumentierten Werken der Moderne schon oft als idealer Raum für die Entfaltung von Pathos oder Archaischem erwiesen. Auch „Blaubarts Burg“ ist ja ein eher großformatiges Kammerspielduett. Mit den Bläsern auf der Seitenempore sozusagen über den Köpfen der Zuhörer, waren Präzision und Klarheit des Zusammenspiel von Currentzis, den Musikern des Gustav-Mahler-Jugendorchesters und dem Vokalistenkollektiv von MusicAeterna ein Hochgenuss. Wo die Szene Rätsel aufgab und Fragen offen lies, versuchte die Musik Antworten zu liefern. Vor allem bei Bartók gelang das auch.