Sciarrino wird sich immer ähnlicher. Und Wuppertal hilft nach Kräften. Jetzt ist im Barmer Opernhaus bereits das vierte Werk des Italieners in Szene gegangen. Nach „Luci mie traditrici“ (2002), „L’infinito nero“ (2004) und „Macbeth“ (2006) erstmals eine Uraufführung: „La porta della legge“ nach Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“. Das ausweglos Vergebliche der Dichtung schockgefroren in schönster Sciarrino-Ästhetik.
Ora no. Jetzt nicht. Der Türhüter macht sich gerade auf seinem Stuhl. Immer, wenn der „Mann vom Lande“ um „Eintritt in das Gesetz“ (Kafka) nachsucht, hebt der Hüter einhaltgebietend die Hand. Ora no. Bassist Michael Tews macht dies ganz vorzüglich. In den übertreibenden Gestus der Abwehr, des Abwimmelns legt Tews etwas Humoristisches. Wenn er nach vielen Runden des Abwartens und Nachfragens im Bodenfenster erscheint, das von der Bühne übrig geblieben ist, um sich in Allmachtspose über den daliegenden erstarrenden Körper nach hinten zu beugen als sei er ein Wiedergänger des Doktors aus dem Wozzek, selbst in dieser Ursituation von Herr und Knecht, von Pozzo und Lucky liegt dann ein Moment von Komik. Die Figur kippt, aber sie fällt nicht.
In Augenblicken wie diesen streift das streng Emblematische, das Regisseur Johannes Weigand in seiner Inszenierung gesucht hat, die Karikatur. Es sind diese Szenen des Nichtidentischen, die den neuen Wuppertaler Sciarrino zu einem außerordentlichen Theatervergnügen machen. Gewiss, ein Vergnügen, das im Subtilen zu Hause ist, zu Hause sein muss. Wie die Musik dieses bei lebendigem Leibe zum Klassiker gewordenen Minimalisten aus Palermo. Hilary Griffiths hält das Sinfonieorchester Wuppertal konsequent auf Zimmerlautstärke, wirft einen seidenen Umhang übers Vergeblichkeits-Geschehen. Tonlose Luftgeräusche im Blech, reibende Streicher, zitterndes Lastro, dazu Multiphonics der Holzbläser, Streicherflageoletts, flatterzüngelnde Blechbläsereinwürfe, sehr hohe, sehr lange Pfeiftöne der Geigen, die mikrotonal zerfallen wie Atomstaub. Es ist der Stoff, aus dem die Sciarrino-Ästhetik gewoben ist.
In „La porta della legge“ hat Sciarrino seiner musikalischen Figurenlehre ein weiteres Denkmal gesetzt. In dieser Wirklichkeit der Kunst ist alle andere Wirklichkeit verschlungen. Dazu passt, dass der Komponist seine Kafka-Oper als einen „kreisenden Monolog“ konzipiert hat. Auf Szene I mit Mann I (Bassbariton Ekkehard Abele) folgt als exakte Wiederholung Szene II mit Mann II (Countertenor Gerson Sales). Und wie schließt solcher „monologo circolare“, wie kann er schließen? Mit einer abrupt abbrechenden Schlussszene. Schließlich könnte es ja immer so weitergehen, wofür die Wuppertaler Regie ein unerhört plastisches Bild gefunden hat. In kaleidoskopartig vervielfachten Paternoster-Kabinen fahren die Abgewiesenen, fahren Mann I und Mann II, rauf und runter. Auf ewig verdammt in die internetlose, in die bürokratisch-postchristliche Vormoderne. Eine Art antike Prometheus-Strafe. Und eine verzweifelte Männerphantasie dazu wie sie zuletzt Wagners Holländer widerfuhr, nur dass der Librettist für diesen immerhin noch eine Senta vorgesehen hatte.