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Markus Hollop und Tim Fluch in Lucia Ronchettis "Last Desire" in Berlin. Foto: Thomas Bartilla
Markus Hollop und Tim Fluch in Lucia Ronchettis "Last Desire" in Berlin. Foto: Thomas Bartilla
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Männerphantasien – aus weiblicher Klangsicht: Warten auf Salome als „Last Desire“ von Lucia Ronchetti an der Berliner Staatsoper

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Sieben Szenen aus dem englischen Original von Oscar Wildes „Salome“ hat die Librettistin Tina Hartmann als „Tragedy in One Act“ für die Komponistin Lucia Ronchetti eingerichtet, die es in einer eigenwilligen Mischung zwischen dem Stil ihres Lehrers Salvatore Sciarrino und Michael Nyman pendelnd, aber auch mit Quasi-Zitaten von Rossini, Purcell und Schumann vertont hat. Die im Dezember 2004 in Stuttgart uraufgeführte Kammeroper für vier männliche Solisten, einen Bratschisten und Live-Elektronik wurde nun in der Werkstatt der Berliner Staatsoper im Schillertheater erstmals nachgespielt.

Ronchetti verzichtet in dieser Wilde-Collage weiblich initiierter Männerphantasien klanglich nicht auf die hohen Lagen, denn ein Knabensopran schlüpft neben der naheliegenden Rolle des Pagen auch in jene des Propheten Jochanaan, und ein Counter ist sowohl der junge Syrer als auch Herodias.

Faszinierend ist die Reduktion des Orchesters auf eine Solo-Bratsche, wobei dieses Instrument in allen Lagen zum Einsatz kommt und die Komposition Mehrklänge und Harmonien ebenso umfasst, wie Kantilenen und col legno geschlagene Akkorde.
Der Solist Yuta Nishiama erweist sich als ein wahrer Teufelsbratscher, dessen Bogenhaare nur so bersten und der nicht nur musikalisch, sondern auch vokal zum Dialog beisteuert und damit jene Voices ergänzt, die per Elektronik – etwa als streitende Juden – zugespielt werden.

Am stärksten und obendrein witzig ist Ronchettis Vertonung jedoch, wenn sie Minimal Music reproduziert oder romantische Oper zitiert, wobei dann der rumänische Countertenor Valer Barna-Sabadus kraftvoll stimmlichen Wohllaut verströmt.

Der Bassist Markus Hollop verkörpert vornehmlich den Herodes und geilt sich stöhnend an gerahmten Dias der Salome auf. Repetierende Töne des Counters übernimmt mit kräftiger Stimme der Knabensopran Tim Fluch; er spielt mit Maskenbildnerköpfen, als einer Vervielfachjung des abgeschlagenen Kopfes des Täufers. Eine schwarze Binde wird ihm um die Augen gelegt, wie jene übertragen gemeinte Binde, von der Salome im ungekürzten Original der Dichtung (und auch in der Vertonung von Richard Strauss) erzählt, die sich Jochanaan vor die Augen gelegt habe, um Gott zu schauen.

Am Ende dann vertauschte Rollen: der Bratschist wird zu Herodes, Herodes zu Jochanaan, der Knabe zum Syrer, und der Syrer zupft auf der Bratsche und streicht eine leere Saite.

Dirigent Harry Lyth leitet mit geradezu stoischer Ruhe auf der Empore der Werkstatt des derzeit die Staatsoper beheimatenden Schillertheaters per Monitor die Solisten und die Live-Elektronik (Thomas Zengerle).

Das vergebliche Warten auf Prinzessin Salome, der damit eine Überwirklichkeit à la Godot zuteil wird, evoziert Projektionen, die in Berlin auch ganz bildlich auf spermabeschmierte Glas-Trennwände erfolgen (Ausstattung: Esther Dandini, Video: Irene Selka).

Die Rumpf-Story hat Regisseur Elmar Supp als addierte Isolations-Neurosen intensiv ins Bild gesetzt, mit einem in seine weiße Unterhose onanierenden Bassisten, einem Bratschisten, der sich bis auf den Slip aus- und dann ein silbernes Paillettenkostüm anzieht um sich vom Countertenor die Beine liebkosen zu lassen, – neben einem Knaben, um dessen jochanaaneske Unschuld man besorgt sein muss.

„Ursprünglich mit dem Originaltitel „Last Desire“, dann mit dem brechtisch anmutenden Titel „Lehrstück“ angekündigt, ist das Kammeropern-Spektakel nach nur 50 Minuten vorüber. Das Publikum, zu beiden Seiten des Laufsteges hautnah am sicher nicht jugendfreien Treiben sitzend, dankte mit freundlichem Schlussapplaus.

Weitere Aufführungen: 7., 9., 12., 13., 15., 22. und 23. Oktober 2011.

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