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Raschelt es? Foto: Hufner
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Meine Sicht: Das wichtigste Instrument beim Musical? Raschelnde Banknoten

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Angeblich gilt das Genre als Gesamtkunstwerk: Laut Wiki ist das Musical ja eine literarische und eine musiktheatralische Gattung. HaHa, Kunstwerk… Es begab sich zu der Zeit, als der Wahlspruch „Ich bin jung und brauche das Geld nicht“ noch was galt. Als früher Fan der Stones, der Kinks, der Troggs ging mir der subjektiv als Soft-Gedudel samt Kitsch-Lyrik empfundene Musical-Sound-Brei kilometerweit am Trommelfell vorbei. Wir langhaarigen Head-Banger waren in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts gesellschaftlich als „Gammler“ geächtet und überdies als Kommunistenpack politisch verdächtig. Das galt damals als „knorke“. [Vorab aus SILBERHORN]

Doch dann gab es echten Konfliktstoff. Während wir bei Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg den großbürgerlich-demokratischen Reiz von Tränengas, das Wonnebad im Wasserwerferstrahl genossen, reimten und komponierten 1967 die raffinierten amerikanischen Stoff-und-Dollar-Absauger Gerome Ragni, James Rado, und Galt MacDermot den angeblich pazifistischen Polit-Softdrink namens „Hair“. Eine unsäglich unglaubwürdige Sülz-Plotte über Kriegsdienst-Verweigerung in den USA. Und plötzlich hüpften und krischen Mittdreißiger und Mittfünfziger, bislang treue Verfechter der Bundeswehr und des Monopol-Kapitalismus zu „Let the Sunshine In“, „Aquarius“ oder „Good Morning Starshine“. Banker trugen ihre modische Voku-Hila-Mähne schamlos in die Tresor-Räume und ausbeuterischen Broker-Etagen. DAX-Firmen-Chefs verzichteten auf die obligatorische Krawatte und schlüpften in Schlabbersoft-Anzüge von Armani gockelgleich samt kühnen Farben. Vielleicht hatten sie auch nur etwas einseitigen Business-Englisch-Unterricht genossen.

Genau genommen aber war das schon das Ende der glorreichen 68er-Revolution. Denn sonst änderte sich – gesamtgesellschaftlich betrachtet – leider wenig der asozialen Marktwirtschaft Ungeliebtes. Ich selbst stürzte, kulturell betrachtet, noch eine Etage tiefer. Gab mich her als Regieassistent für Operetten wie „Der Graf von Luxemburg“ (unbeschreiblich unsäglich), geriet in Weltschmerz beim Anhören der sogenannten Rock-Musicals „Tommy“ oder „Quadrophenia“ der einst verehrten Gruppe „Who“. Und dachte angesichts des Welterfolges von „Jesus Christ Superstar“ über eine Auswanderung in die DDR nach.

Natürlich aus rein professionellen Gründen ließ ich „Cats“ an mir vorbeischnurren, mich vom „Starlight-Express“ plattwalzen und vom „Phantom der Oper“ in der Pause aus dem Theater jagen. Ich verwandelte mich musikverlegerisch betrachtet vom Paulus zum Saulus. In bester Absicht freilich: Selbstverständlich höchst qualitätvolle Kindermusicals wie „Ritter Rost“ oder die seinerzeit schon höchst integrativen Ethno-Storys von Veronica te Reh und Wolfgang König fanden ihre erste Heimat in meinem kleinen Verlagshäuschen – begleitet von sehr unterschiedlichem und damals eher zarten Banknotengeraschel. Dann schien kurz Dagobert Duck bei uns einzuziehen: Mit „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ trampelte ein echt fetter kommerzieller und auch künstlerischer Brocken ins Haus. Zu monstös für meine Speiseröhre – ich stieg belächelt und für doof erklärt aus. Mittlerweile versucht sich die dritte oder vierte Version im insolventen eigens errichteten Füssener Festspielhaus – viel Glück. Und für mich gilt: Mamma mia, nochmal Schwein gehabt…

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