Unruhe, Ängste und Depressionen von Demenzerkrankten reduzieren und ihr Wohlbefinden stärken – dieses Potenzial hat laut neuester Forschung die Musiktherapie. Eine neu konzipierte Schulung soll Betreuungskräfte in Pflegeeinrichtungen befähigen, mit Mitteln der Musik dazu beizutragen, altersbedingten körperlichen und geistigen Veränderungen vorzubeugen und Begleitsymptome der Demenz zu reduzieren. Ein vorauseilender Weg, dem Politik und Krankenkassen leider noch nicht folgen.
Musik als Brücke zu Menschen mit Demenz
„Wenn nichts mehr geht, Musik geht immer“ – das wissen Pflege- und Betreuungskräfte ebenso wie An- und Zugehörige von an Demenz erkrankten Menschen. Wissen allein aber reicht nicht aus. Es geht – wie so oft – um das liebe Geld. Ein großer Anteil an Pflegeeinrichtungen kann (oder will?) sich musikgeragogisch oder musiktherapeutisch geschulte Fachkräfte nicht leisten. Die Krankenkassen sind hier oft nicht hilfreiche Partner, weil sie um die Kraft der Musik für Demenzpatienten zu wenig oder nichts wissen.
Angesichts der massiv ansteigenden Anzahl von Demenzerkrankungen in der Gesellschaft ist es dringend an der Zeit, dass sich Pflegeeinrichtungen demenzfreundlich(er) aufstellen. Waren im Jahr 2021 etwa 1,8 Millionen Menschen von einer Demenz betroffen, könnten es im Jahr 2050 über 2,8 Millionen Erkrankte über 65 Jahren sein. Das „Team Gesundheit. Gesellschaft für Gesundheitsmanagement“ (TG) aus Essen hat von einer Gruppe von professionellen Musiktherapeuten unter dem Titel „LebensKlang – Demenz im Takt der Erinnerungen begegnen“ ein Schulungskonzept entwickeln lassen, das Mitarbeiter befähigen soll, den Bewohnern der Einrichtungen mit musikalischen Mitteln weiterzuhelfen. Hier sind die Einrichtungen selbst gefragt, um dieses kostenpflichtige Angebot zu buchen. TG ist dabei derzeit noch der einzige Anbieter.
Es geht dabei auch um gesellschaftliche Teilhabe – auch Menschen mit Demenz haben darauf ein unverbrüchliches Anrecht und auch selbst die Fähigkeit dazu. Das Gesamtprojekt LebensKlang zielt laut Homepage des TG auf die „Förderung von kognitiven Ressourcen, psychosozialer Gesundheit und die Prävention von Gewalt“. Ein weiterer Grundpfeiler des Projektes ist die Etablierung eines Gruppenangebotes zum Thema Musik. Primäre Zielgruppe für diese Schulung sind Betreuungskräfte (nach § 43b SGB XI) in Pflegeeinrichtungen. Diese Betreuungskräfte haben oftmals keine Berufsausbildung, nur einen Lehrgang (von ca. 40 Ausbildungsstunden), der ihnen alle nötigen Grundlagen für die soziale Betreuung pflegebedürftiger Personen vermittelt. Mit der Schulung „Musik als Brücke zu Menschen mit Demenz“ bekommen sie eine weitere Qualifikation und eine gezieltere Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit ihren Schutzbefohlenen.
Um an der Schulung teilzunehmen, braucht man keine besonderen musikalischen Fähigkeiten. Im Rahmen der Schulung, die von erfahrenen und qualifizierten Fachkräften aus den Bereichen Musikgeragogik und Musiktherapie durchgeführt wird, werden drei Ziele verfolgt, die das Team um die Musiktherapeutin Kerstin Jaunich im Konzept formuliert hat: 1. Musik erleben und reflektieren, Selbstbewusstsein stärken bei der Anwendung von Musik, 2. Sensibilisierung für den Einsatz von Musik und dessen Nutzen im Betreuungs- und Pflegealltag erkennen und 3. Praktische Methoden für Einzel- und Gruppenangebote selbstständig umsetzen.
Die Schulung beginnt mit einer musikbasierten Gruppenstunde, die der Referent in der Einrichtung mit Bewohnern durchführt. Sie dient als praktisches Anschauungsmaterial. An zwei Schulungstagen müssen die Teilnehmer dann sechs Module à 90 Minuten absolvieren. Verpflichtend sind dabei die Module „Unterstützungspotentiale von Musik für Menschen mit Demenz“ und „Gestalten eines Gruppenangebots mit Musik“. Die vier anderen Module können aus einem Pool ausgewählt werden. Angeboten werden zum Beispiel „Musik mit der Stimme“, „Musik und Bewegung/Tanz“, „Beziehungen gestalten mit Musik“, „Herausforderndem Verhalten musikalisch begegnen“, „Musizieren mit einfachen Instrumenten“.
Nach einer mehrwöchigen Praxisphase, in der die Schulungsteilnehmer die erlernten Methoden im Betreuungsalltag ausprobieren, findet ein weiterer Schulungstag statt. Hier zeigen die Teilnehmer der Schulung in einer Praxisstunde, was sie gelernt haben und wie sie es umgesetzt haben. Die Referenten geben hierzu ein Feedback und zeigen weitere Möglichkeiten auf, wie Bewohner und Mitarbeiter der Einrichtung langfristig an professionellen musikalischen Angeboten teilhaben können.
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