Wenn (Groß-)Mütter zu sehr lieben: Was das heißt, weiß der halbwüchsige Sohn des Hauses nur allzu gut. In eine Vitrine haben sie ihn gesteckt, ein hinter den Kopf geschnalltes Kissen soll ihn allzeit sanft betten. Das Interesse fürs andere Geschlecht können die in Fürsorge sich gegenseitig überbietenden Frauen indes nicht von ihm fernhalten. Am Ende ist er eines Sexualmordes zumindest schwer verdächtig.
Es ist ein düsterer Stoff, den Eunyoung Kim für ihre erste Oper gewählt hat, doch zusammen mit ihrer Librettistin Yona Kim, die bei der Uraufführung auch Regie führt, baut die koreanische Komponistin daraus ein gut einstündiges, zwischen Absurdität und Horror, Soap und Tiefsinn eigenwillig, wenn auch nicht immer überzeugend changierendes Stück. Zusätzliche verfremdet wird die im Grunde schlichte Handlung – der geliebte Sohn wird vor dem ermittelnden Kommissar versteckt, der den unmoralischen Deal, den die Mutter ihm anbietet, brutal ausnutzt – durch die bewusste Zurschaustellung der einzelnen Musiktheaterelemente.
Mal steht lange Zeit der gesprochene oder nur andeutungsweise musikalisch deklamierte Text im Fokus, sporadisch grundiert vom hinter der Bühne platzierten 20-köpfigen Orchester; mal dominiert die szenische Aktion (wenn etwa der Sohn zu einem aus tiefster Kindheit stammenden Blödel- und Kuschelritual genötigt wird); dann schiebt sich aber auch, gegen Ende verstärkt, die Musik in den Vordergrund: Ein Kicherterzett wird nach der schrecklichen Kunde vom Tod des Nachbarmädchens in ein Schluchzensemble umgedeutet, den sich unmittelbar anschließenden szenischen Stillstand dominiert ein einzelner perkussiver Schwebeklang.
Gleichzeitig ist die Musik auch Bühnenrequisit: Nach und nach landen zellophanierte, eingeschnürte oder nach Zersägung mit Scharnieren versehene Instrumente auf der Bühne. Am Ende wird der Kommissar die protestierende Großmutter an einem entsprechenden Instrumentenhaufen festbinden, um sich ungestört seiner körperlichen Bestechung bedienen zu können. Selbst der Ort der Uraufführung wird per Echtzeitvideo mit hereingenommen. Auf den mit Seidenmalerei verzierten Hintergrundvorhang projiziert, wird der Gang in den Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteig zum Entree ins Stück.
Die Verortung des Geschehens im heutigen Seoul bleibt in Ben Baurs schlichtem Bühnenarrangement dagegen eher vage (etwas klarer sind in dieser Hinsicht Hugo Holger Schneiders Kostüme). Die in Korea weit verbreitete Fixierung auf den männlichen Nachkommen (die Mutter hat zwei Abtreibungen weiblicher Föten hinter sich) wird – auch in der Figur des Kommissars – zum Fallbeispiel für Misogynie. Und auch die Komponistin vermeidet eindeutige Assoziationen mit der Klangwelt ihrer Heimat. Den instrumentalen Apparat – solistisch herausgehoben ist das Akkordeon – setzt sie stark perkussiv ein, häufig im Sinne rhythmischer, von Alltagsgeräuschen inspirierter Ostinati. Zusammen mit den nicht durchweg opernhaft präsenten Stimmen ergibt das einen musikalisch insgesamt fast zu stark zurückgenommenen, mitunter zur Schauspielmusik tendierenden Gestus, was andererseits aber die wenigen, alle Parameter dramatisch zusammenführenden Momente in der Wirkung entsprechend verstärkt.
Im Finale spitzt sich die Stimmung dann auch szenisch in eine etwas vordergründige Drastik zu. Die Vergewaltigung der Mutter muss der Sohn hilflos mitansehen, eingesperrt in seine Vitrine beschmiert er sich ausgiebig mit Theaterblut. Dass er als stummer Schauspieler (Philipp Grimm) ein Stück weit außerhalb steht, unterstreicht seine besondere Stellung in der Kleinfamilie, die Besetzung der Großmutter mit einem Countertenor ist von gespenstischer Komik. Wie auch Rebecca Nelsen in der Rolle der titelgebenden „Mama dolorosa“, durchmisst Daniel Gloger die verschiedensten Vokalzustände von Sprechen über Zischen bis hin zum Singen und Schreien bravourös, die weiteren Rollen sind mit Christian Miedl (Kommissar), Julia Rutigliano (Nachbarin) und Simone Lichtenstein (Nachbarmädchen) ebenfalls erstklassig besetzt.
Unter der sicheren Leitung Sebastian Beckedorfs zeigte das Staatsorchester Braunschweig (dort wird die Produktion ab 13. Juni zu sehen sein) seine Kompetenz im zeitgenössischen Fach. Man darf gespannt sein, wie das Abonnementpublikum auf das etwas disparate, aber kurzweilige Opus reagieren wird.