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Der Titelheld inmitten seiner Mannen: Anke Vondung brillierte als Giulio Cesare in Dresden. Foto: Matthias Creutziger
Der Titelheld inmitten seiner Mannen: Anke Vondung brillierte als Giulio Cesare in Dresden. Foto: Matthias Creutziger
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Nicht ohne meinen Löwen - Sächsische Staatsoper wagt sich recht spät an eine Händel-Ehrung

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Wir befinden uns im Jahr 250 nach Händels Tod. Ganz Deutschland ist von der Händel-Ehrung belebt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von traditionsverliebten Deutschen bevölkertes Städtchen im sächsischen Elbtal hätte es beinahe verpasst. Nun hat die Sächsische Staatsoper Dresden kurz vor Jahresschluss noch rasch eine Ehrung nachgeholt. Sie gilt neben Julius Cäsar, dem römischen Imperator, Helden und Herrscher, natürlich vor allem Georg Friedrich Händel, der dem Diktator mit seiner Oper „Giulio Caesare in Egitto“ 1723 ein musikalisches Denkmal gesetzt hat.

Dieser Dreiakter wurde genau 75 Jahre nach seiner Dresdner Erstaufführung im Festspielhaus Hellerau, nun endlich auch in der Semperoper gezeigt. Von Touristen ist das 1985 wiedereröffnete Theater schon mal als Barockbau verkannt worden, doch mit barocker Oper hatte die Heimstatt von später Klassik und früher Romantik bislang eher wenig am Hut. Also wurde diese erste Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in Dresden zunächst einmal mit Skepsis erwartet. Würde die vornehmlich an Wagner und Strauss geschulte Staatskapelle an Barockmusik bestehen oder scheitern? Um die Antwort vorwegzunehmen: Sie bestand, und zwar auf hohem Niveau. Mit namhaften Gästen, die in der authentischen Musizierpraxis zu Hause sind, brillierte der traditionsreiche Klangkörper unter der so elegant wie präzisen Stabführung von Allessandro De Marchi. Großartige Stimmen – Anke Vondung sehr kraftvoll und doch nuancierend in der Titelpartie, Laura Aikin als potent und vital überragende Cleopatra, Max Emanuel Cencic im Counterfach als machtgieriger Tolomeo – beherrschten den Abend, der freilich auch durch sein Bühnengeschehen bestach. Der Regisseur und sein Ausstatter Mathis Neidhardt fanden überzeugende Lösungen, um das antike Drama via Barock und Kolonialstil ins heute gültige Zeitbild zu übersetzen. Zwar warb man im Dresdner Stadtbild noch mit pyramidabler Kunst, doch auf der Bühne war für ägyptische Urlaubsszenen kein Raum. Statt dessen ist in bezaubernder Weise  barocker Spieltrieb bedient worden. Lautlos heben und senken sich Wände, der wandelbare Palast ist in pastös verwaschene Farben getaucht, das Mobilar gediegen, aber nicht protzig. In solch stimmungsvoll funktionalem Ambiente bewegt sich das Ensemble bestens geführt. Im bereits bewährten Verbund mit Choreograf Ramses Sigl erarbeitete Jens-Daniel Herzog eine ebenso frische wie faszinierende Produktion, deren knapp vier Stunden Spieldauer in keinem Moment langatmig wirkte.

Dass dem Regieteam zur Premiere dennoch mit einigen Buh-Rufen begegnet worden ist, mag als geschmäcklerisch abzutun sein. Vielleicht ist dieser marginale Protest aber auch den vorsichtigen Aktualisierungen geschuldet? Im Zeitalter globaler Kriegseinsätze und durch die Welt jettender Soldatensärge wäre meiner Meinung nach allerdings ein Verzicht auf die Allgemeingültigkeit von Macht und Intrigen, die zu Cäsars wie zu Händels wie in heutigen Zeiten mit blutiger Unterdrückung einhergeht, der tatsächliche Grund für einen Vorwurf gewesen.

Dresdens „Giulio Cesare“ ist ein Aufeinandertreffen römischer Imperatoren in kolonialistischen Uniformen vom Beginn des 20. Jahrhunderts mit arabisch gewandeten Ägyptern, deren Elite auch schon mal sehr schick zu europäischen Dresscodes greift. Das scheint stimmig, bringt zudem eine Schar Schwarzer Witwen auf die Bühne, deren Anblick jetzt wie einst für Beklemmungen sorgt. Bis ins Detail überzeugen Neidhardts Kostüme und Accessoires. So könnte der um Cesares Sicherheit bemühte Curio samt Hut und Mantel durchaus „Casablanca“ entsprungen sein, wirkt das Schattenbild des nach seiner Flucht gen Ägypten ermordeten Pompeo in stummer Rolle als finstere Triebkraft auf dessen Sohn Sesto und amüsiert ein waschechter Kostümlöwe, ohne den für Cleopatra schier gar nichts geht.

Die historisch ja einigermaßen verbürgte Geschichte um Cesare, der seinen geschlagenen Rivalen Pompeo bis Ägypten verfolgt, wo dem Sieger ungewollt der abgeschlagene Kopf des einstigen Gegners übergeben wird, um den Römer in den Thronfolgestreit der Geschwister Cleopatra und Tolomeo hineinzuziehen, wird munter und spannend mit all ihren Verwicklungen erzählt. Tolomeo hat bei seiner Untat nämlich weder damit gerechnet, dass Cesare nur Abscheu dafür empfindet, noch hat er die Kraft der frisch entflammten Liebe zwischen Cesare und Cleopatra ins Kalkül gezogen. Doch auch ihn übermannen die Gefühle, als er Pompeos Witwe Claudia erblickt, deren Zurückweisung und innere Festigkeit ihn nur umso mehr erregt. Ein um das andere Mal wird deutlich, wie nah sich Liebe und Hass sein können.

Die Regie belässt es freilich nicht dabei, die Handlungsstränge der drei Akte bierernst nachzuerzählen und so womöglich nur den Boden für herausragende Stimmakrobatik zu legen. Ohne je zu Lasten der letzteren zu gehen, haben an den dramaturgisch richtigen Stellen stets eine Portion Witz und nicht selten auch voll aufgedrehte Slapsticks ihren Platz. Filmreife Bühnenkämpfe stehen da neben einer Massenhinrichtung, die aus den täglichen Nachrichten stammen könnte. Verrat und Verschwörung geben den Ton an – und nur durch den Geist des Musiktheaters erheben sich die zuvor kräftig gefledderten Leichen, auf dass sie nochmalig umfallen; nun aber so, dass sie den nächsten Umbau nicht stören. Tote können also auferstehen, doch eine Erlösung gibt es nicht.

Betrogene Betrüger sind die Potentaten und ihre jeweiligen Gefolge letztlich alle. Und die Geschichte ist bekanntlich nach der Heirat von Julius Cäsar und Kleopatra auch im wirklichen Leben noch weitergegangen. Bei Händel endet hier aber die Oper, und bei Herzog landen Cesare und Cleopatra in einem gewaltigen Brautbett, das ebensoviel Frieden verkündet und ihn sowenig garantieren kann wie einst Yoko Ono und John Lennon.

Ein solches Herangehen der Regie steht und fällt mit den Protagonisten. Zu erleben, wie Aikin, Cencic und Vondung hier mitziehen, ist eine enorme Theaterfreude. Gesangsleistung und darstellerisches Vermögen gehen Hand in Hand. Nicht minder beeindruckend agieren der Chor sowie Christa Mayer als selbstbewusste und stimmschöne Witwe Cornelia. Ihr Sohn Sesto Pompeo reift in der Gestaltung durch Janja Vuletic von rachegetriebener Schüchternheit zu mannhafter Stärke. Beide zeichnen sich durch ein breites vokales Spektrum aus, dass von zarten Tönen bis hin zu kämpferischem Ausdruck reicht. Neben dem für seinen raschen Aufstieg bereits international gefeierten Max Emanuel Cencic ist mit Christopher Field als Cleopatras Vertrautem Nireno ein zweiter Countertenor mit Bestleistungen präsent.

Das größte Rätsel des Abends waren die frei gebliebenen Publikumsplätze. Wer lässt sich denn eine so lust- und kunstvolle Oper entgehen? Die spinnen, die Dresdner!

Nächste Aufführungen: 16., 19., 23., 26., 28. Dezember 2009 sowie 2. Januar und 6., 13., 20. Mai 2010
www.semperoper.de

 

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